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Arizona

© Mauritius

Arizona: Kunststück in der Wüste

Der Architekt Frank Lloyd Wright baute eine Bildungsstätte auf den Glutboden Arizonas. Wer dort übernachten will: In der Nähe gibt es zwei grandiose Hotels.

„Willkommen in Taliesin West, an einem weiteren wunderbaren Tag in Arizona. Zunächst wollen wir uns den Kaktus hier ansehen.“ Helen, die an diesem Morgen durch die Architekturschule von Frank Lloyd Wright führt, stoppt bei einem Chain-fruit-Kaktus an einem Mäuerchen und überprüft, ob sich schon Ergriffenheit einstellt unter den Sonnenhüten.

Dabei muss man den amerikanischen Ladys in der Besuchergruppe nicht erst beibringen, was Haltung ist angesichts des singulären Baustils, für den der Erbauer des New Yorker Guggenheim Museums steht. Sie sind elegant gekleidet wie für eine Oscar-Verleihung, spazieren in gut geschnittenen Hosenanzügen um den Pool als wäre es ihr eigener und wissen: Wir befinden uns nicht irgendwo im ereignisarmen Wilden Westen, sondern an einer „Location“ mit reichen Bezügen zu Amerikas Architektur und Filmkultur plus National-historic-landmark-Status.

Sechzig Meilen südlich, bei Stanfield, besaß Marion Michael Morrison alias John Wayne eine Ranch. Hier entspannte der Westernheld, so er nicht gerade – Film-Indianern auf den Fersen – sein Pferd durch rote Felsschluchten bei Sedona scheuchte oder durchs Monument Valley jagte. Wenige Tagesritte von Wrights Wüstensitz liegt „Arizona’s Hollywood in der Wüste“: Die Old Tucson Studios erfreuen mit ihrem nostalgischen Kulissenzauber die Generation Bonanza. Auch dort ritt John Wayne ein und aus.

Zwischen diesen Koordinaten versteckt sich das Basiscamp der modernen amerikanischen Baukunst so vorsätzlich wie die Bösewichter an den Böschungen beim Gleisbett, wenn sie im Westernfilm Raubüberfälle auf die Eisenbahn planen. Auf 160 Hektar Land schmiegt sich Wrights Bildungsstätte mit Orangenhain am äußersten Rand der Metropole Phoenix eng an die McDowell Mountains. Man fährt einfach die Kaktusstraße im Norden von Scottsdale geradeaus bis zum Frank Lloyd Wright Boulevard, hinauf zur vom Künstler aufgepflanzten Felsenfestung. Der Nationalheld der naturnahen US-Baukunst suchte in der Wüste die Zivilisation auszublenden, um möglichst ursprünglich zu empfinden. Organische Architektur war Wrights Ziel. Von Kakteen lernen!

Wright-Jünger reisen heute von weither an, um die Aura des Elementaren zu inhalieren. Als Ideenlaboratorium und Work-in-Progress etablierte ihr Idol auf dem Glutboden der Sonora Wüste seinen Rückzugsort Taliesin West in der Art eines luftigen Campus. Der Empfangsraum, zugleich Zeichenstube des Meisters, ist an den glatten Fels gebaut. „Wright wollte, „dass die Wände an einen Canyon erinnern“ weiß Helen. Der Architekt führte Regie wie am Filmset und dachte zwangsläufig ans Energiesparen. Zentrale Überlegungen galten dem Einfall des Sonnenlichts.

An die Arbeits- und Unterrichtsräume, wo er sein Wissen weitergab, schließt der Privatbereich. Der prominente Mann lebte unglaublich bescheiden. Schmal das Bett, ein Bad, wo man sich gerade um die eigene Achse drehen kann – dafür aus Aluminium, seinerzeit ultramodern.

Weitab vom Schuss prüfte der Meister Materialien, Techniken, Konzepte und entwickelte Designtheorien. Die Natur galt ihm als Musterbuch. „Schauen Sie“, sagt Helen, „an dem Kaktus hängen die Früchte wie an einer Kette.“ Chain Fruits regten Wright zu einem Lüster an.

Nach Feierabend dann beschäftigte ihn die spröde Flora auf der Leinwand. Zum Gebäudeensemble von Talisien West zählt ein intimes Kino. Hier betrachtete er den Old West, genoss, wie Kugeln über Kakteen pfiffen und die Prärie unter den Hufen rasender Rinderherden staubte. John Fords Western „Stagecoach“, der für John Wayne den Durchbruch brachte, war einer seiner Lieblingsstreifen.

Die Region im Grand-Canyon-Staat, wo Wright 1937 mit siebzig Jahren Taliesin West als Pendant zum namengebenden Taliesin im heimatlichen Wisconsin gründete, hatte er zehn Jahre zuvor auf einer Geschäftsreise entdeckt. Er sollte beim Bau einer vornehmen Unterkunft Beraterfunktionen wahrnehmen: Phoenix bekam das Arizona Biltmore Hotel. Wright gefiel die Gegend. Insbesondere die kalte Jahreszeit verbrachte er aus gesundheitlichen Gründen am liebsten in warmen Gefilden. Entschlossen studierte er das Terrain. „Als Mister Wright nach Phoenix gebeten wurde“, sagt Helen, „packte er ein Zelt ins Auto und kampierte erst einmal im Freien.“

Als „Wunderwerk aus Stahl und Beton“, dessen Legendenbildung 1929 begann, setzte das Biltmore Zeichen mit seiner indirekten Beleuchtung, Decken aus Blattgold und dem stilisierten Palmblatt im „Biltmore Block“: Der Fassadenschmuck wurde zum Signet der feinen Adresse. Von Wrights Philosophie inspiriert und ein frühes Beispiel für serielles Baudekor, ist das Hotel eine Ikone der Wüste, leider heute ohne Pferdeställe. Clark Gable schwang sich hier einst in den Sattel, während Marilyn Monroe in ihrem Lieblingspool plantschte. Und wer weiß schon, dass Irving Berlin neben anderen Weisen sein „White Christmas“ am Rand eben dieses Pools komponiert hat. Und Präsidentschaftskandidat John McCain hat im Biltmore geheiratet. Im kommenden Februar feiert der Wüstenpalast seinen 80. Geburtstag. Zugleich wird man des 50. Todestages von Wright gedenken. Er starb 1959 in Phoenix, 92 Jahre alt.

Größter internationaler Magnet des metropolitanen Architekturerbes bleibt seine Schule, sie empfängt rund 150 000 Besucher im Jahr. Zu den Hauptsehenswürdigkeiten zählt darüber hinaus das Gammage Auditorium im Stadtteil Tempe, eines seiner letzten Projekte, fertiggestellt erst im Jahr 1964 .

Ein neues Hotel in Phoenix hätte Wright auch gefallen. Das „Wild Horse Pass“ mitsamt einer Western-Stadt, völlig abgeschieden mitten im Indianerreservat, ist ein aufregendes Hybridhotel. Cowboy- und Indianerkultur prallen aufeinander, der Mythos bebt. Niveauvoll die Dekoration voller geschichtlicher Anspielungen, Wandmalereien und Informationsvitrinen. Im Freien führen „Native Americans“ stolz wie Winnetou über den kilometerlangen Naturlehrpfad.

Zu der riesigen Anlage, um die herum Koyoten streunen, gehören gepflegte Ställe mit flotten Mustangs neben dem Aji Spa, in dem die Indianerin Belen Großstädtern den Stress wegmeditiert: „Und jetzt lassen Sie das weiße Licht von der Stirn zum Bauch herunterwandern …“

Ist genug entspannt, wird gespeist. Das Restaurant Kai ist ein Gourmettempel und die Patisserie unwiderstehlich. Saguaro-Kakteen aus weißer Schokolade mit Pistazienstacheln wappnen für die letzte Attacke des Tages. „Are you ready for a gunfight?“, brüllen die Cowboys zur Abendshow vorm Saloon ins Publikum, während die furchtlose Valerie ihre „Annie-get-your-Gun“-Serenade anstimmt und die Arizonasonne sich flammend verzieht. Dass sie gern eines Kuhhirten Sweetheart wäre, schmettert das „Cowgal“ und später – immer noch im schwingenden Rock –, erzählt sie, was sie außerhalb ihrer Wild-West-Auftritte treibt. Valerie ist Gästeführerin in Phoenix und Architekturkennerin, war auch Guide in Taliesin West.

Wright hätte die Lady mit dem Colt vermutlich gut gefunden. Er installierte in seinem Reich ein „Cabaret Theater“ mit State-of-the-Art-Bühne, tiefen Sitzen und perfekter Akustik. Der Stararchitekt liebte die Bühnenkunst wie die Baukunst, einige seiner Töchter wurden Musikerinnen. „Jeder große Architekt“, sagte er, „ist ein großer Poet – er muss sein Zeitalter originell interpretieren.“

Dabei wäre er selbst, jeder Zoll Aristokrat und nach außen gewiss kein Naturbursche, schlankweg als Friedensrichter, Eisenbahnunternehmer oder sittenstrenger Patriarch durchgegangen – Yee haw!

Dorothee Baer-Bogenschütz

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