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Arlberg: Da vorn wedelt der König

Vornehm und teuer ist der Winter am Arlberg. Das Flair lockt viele in diesen Zipfel Österreichs. Doch im Grunde wollen alle hier nur Ski fahren

Am Frühstücksbüfett des luxuriösen Arlberg Hospiz Hotels in St. Christoph begegnet der Professor aus Wien einem Kollegen von der Uni München. „So ein Zufall“, sagt der Wiener, doch der andere erwidert lächelnd: „Na, Sie wissen doch, am Arlberg treffen Sie alle.“ Nicht nur jene, die zahlungskräftig sind, sondern auch die mit Rang und Namen. Die spanische und die jordanische Königsfamilie zum Beispiel, Beatrix der Niederlande oder Caroline von Monaco logieren in jedem Jahr in den Nobelorten Lech und Zürs. Der Arlberg ist Österreichs vornehmstes Skigebiet. Und das teuerste dazu. „Die Preise sind inzwischen nicht mehr niedriger als in Zermatt“, bemerkt ein Schweizer Gast. Sein Tiroler Liftnachbar sagt selbstbewusst: „Was wollen Sie auch in Zermatt, wenn Sie am Arlberg sein können.“

Das Areal lässt sportlich nichts zu wünschen übrig. 85 Bergbahnen und Lifte erschließen 280 Kilometer Pisten aller Schwierigkeitsgrade. Und die liegen, in welchem Ort man auch ist, direkt vor der Haustür. Von St. Christoph aus fährt man mit dem Lift auf den 2185 Meter hohen Galzig hinauf, kann von dort nach St. Anton hinuntersausen oder mit einer blauen Bahn zum 2650 Meter hohen Vallugagrat schweben. Von da aus geht es mit einer weiteren Bahn noch gut zweihundert Meter höher hinauf. „Oben beginnt die Skiroute nach Zürs hinunter“, wissen drei Engländer – und stapfen entschlossen zur Bahn. Nichts da. „Nur mit Skiguide“, sagt der Liftwart und versperrt ihnen den Weg. Man könne sich leicht verirren in dem riesigen, felsigen Areal. Menschen ohne Skiausrüstung lässt der Liftwart hinauf. Damit sie oben, auf einer Aussichtsterrasse, die Aussicht auf ungezählte Gipfel genießen können.

„Viele Urlauber wollen lieber im Gelände als auf den Pisten fahren“, sagt Skilehrer Franz. „Sehen Sie nur, überall sind Spuren im Schnee.“. „Freeriding“ nennt sich das modisch. Früher sprach man einfach vom Tiefschneefahren. Ist das nicht gefährlich? Werner Wörndle, Chef der Skiakademie in St. Christoph, wiegt den Kopf. „Wenn sich einer unbedingt die Felsen runterhechten will, ist dagegen kein Kraut gewachsen“, sagt er. Wer nachts in die Lüneburger Heide stapfe und in einem Sumpf versinke, habe schließlich auch selbst schuld. „Wir wollen einen Naturraum nicht verbarrikadieren", setzt er mit Nachdruck hinzu. Man könne nur an die Eigenverantwortung appellieren. Und deshalb haben sie an den Liftstationen nun Schilder aufgestellt mit dem Satz: „Respektiere deine Grenzen.“

Während alle Pisten nach Liftschluss kontrolliert werden, ist man auf den sogenannten Skirouten auf sich allein gestellt. „Erst gestern habe ich zufällig einen Holländer dort gefunden, der nicht mehr weiterwusste“, sagt Skilehrer Markus. Schaufel und Lawinenpiepser hat er immer im Rucksack dabei. „Heute zum Beispiel gilt Lawinenstufe 3“, erklärt er, da sollte man nicht mehr überall fahren. Und bei Stufe 5 sowieso nur noch auf den sicheren Pisten. Alles andere wäre Wahnsinn, denn, sagt Markus „es kann in Sekundenschnelle raspeln“. Damit jugendliche Draufgänger die Gefahr besser einschätzen können, lockt man sie neuerdings mit kostenlosen „Freeride-Camps“, coole Events mit Lerneffekt.

Gelegenheitsfahrer bleiben lieber gleich auf der schön gewalzten breiten Bahn im Steißbachtal. „Ich nenn’ sie die Piste des Selbstvertrauens“, sagt Franz und moniert: „Viele fahren hier leider zu schnell.“ Unglücklicherweise auch jene, denen ausweichende Schwünge nicht immer gelingen.

Gerade steigt der gelbe Hubschrauber auf, mit einem abenteuerlich am Seil hängenden Verletzten. Schon das zweite Mal an diesem Vormittag. „Der fliegt in die Tagesklinik nach St. Anton“, erklärt Franz. Ist die Verletzung gravierender, geht es von dort weiter per Straße ins Krankenhaus nach Landeck.

Franz startet talwärts und ruft lächelnd: „Ja, da musst schon eine Art Galgenhumor haben und hoffen, dass dich keiner zusammenfährt.“ Zur Freiheit in den Bergen passt offenbar keine Pistenpolizei. „Wir leben eben in einer Zeit der Egoisten“, sagt Werner Wörndle seufzend. Was solle man machen, „wenn manche Leute mit 60 Stundenkilometer runterbolzen und glauben, niederbügeln zu können, was sich ihnen in den Weg stellt“.

Im Skigebiet Lech/Zürs, das zu Vorarlberg gehört, haben sie – anders, als im Tiroler St. Anton – vorgebeugt. Mehr als 14 000 Skifahrer pro Tag lassen sie nicht auf die Pisten. Und vielleicht fahren die Leute hier sowieso ein bisschen verhaltener als in St. Anton, das unter seinen Gästen deutlich mehr „junge Wilde“ hat. Am Arlberg hat sowieso jede Klientel ihren eigenen Ort. „Nach St. Anton fährt man mit den Skiern, nach Zürs mit der Freundin und nach Lech mit der Familie“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Schwierige Pisten gibt es indes hier wie dort. Und Trude Jochum-Beiser, Olympiasiegerin von 1948, meistert sie mit Eleganz. Nicht wegen ihres Alters fällt die 80-Jährige am Berg auf, sondern wegen ihrer zwei Meter langen untergeschnallten Bretter. Mit den modernen kurzen Carvingskiern komme sie nicht zurecht, sagte sie kürzlich.

St. Anton warb schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Spruch „Fröhlichster Wintersport, idealstes Skigelände“. Man pries „63 Tage Schneefall im Jahr“ und ein „prächtiges, zaunfreies Übungsgelände“. Das findet sich heute auch in Lech und Zürs. Anders ist das Ambiente: Lech gleicht mit seinen Holzschindelbauten und der hübschen Kirche einem Bilderbuchdorf, in Zürs reihen sich ausnahmslos Vier-und Fünfsternehotels aneinander. Zwischen beiden Orten pendeln erstaunlich viele Porsche Cayenne und ähnlich teure Karossen. Dabei braucht man überhaupt kein Auto. Alle zehn Minuten fährt ein Gratis-Bus. Und nachts chauffiert das „Taxi James“ günstig und sicher jene nach Lech zurück, die es etwa im Hotel Edelweiss, dem ältesten Logierbetrieb in Zürs, nicht bei einem einzigen Drink belassen wollten. „Schon in den 20er Jahren gab es im Haus die American Bar“, erzählt Chefkeeper Suad und ist sich sicher, dass er hinter seinem Tresen den weltbesten Bellini mixt. Hier fließt der Champagner wie andernorts das Wasser. In Lech und Zürs findet man österreichweit die meisten Haubenrestaurants. Gibt es nicht die Sorge, dass die zahlungskräftige Kundschaft mal ausbleiben könnte? Suad winkt ab. „Die Reichen werden immer reicher“, sagt er, „und es kommen immer mehr dazu.“

Der Mann auf dem Kutschbock, mit Lederjacke und Cowboyhut, nimmt solche Entwicklungen gelassen hin. Wer sich Norbert – „nennen Sie mich einfach Mountain Man“ – anvertraut, erlebt gleich hinter Lech die stille Seite des Arlbergs. Auf Kufen gleitet die Kutsche durch den verschneiten Wald, in dem nur wenige Winterwanderer unterwegs sind. „Hier ist meine Welt“, sagt er, „Prominente interessieren mich nicht.“ Natürlich kommen die schon mal zum Essen ins Museumsrestaurant von St. Anton, ein gediegener Holzbau aus dem Jahre 1912. Jedes Quadrat der originalen Holzkassettendecke hat ein anderes Dekor, der lindgrüne Kachelofen ist reich verziert, ein Schmuckstück. „Wenn Sie hier abends nach draußen schauen in den verschneiten Park, dazu klassische Musik hören und das Knistern im Kamin, das ist Wintermärchen pur“, schwärmt die St. Antoner Pressefrau Wilma Himmelfreundpointner.

Vor der Tür aber ist auch die 22-Millionen-Euro-teure-Moderne zu sehen. Der österreichische Architekt Georg Driendl hat hier anstelle der alten Galzigbahn (1937) vor zwei Jahren einen kühnen Ersatz konstruiert. Hinter Glas drehen sich vier Riesenräder, die den Sportlern einen bequemen Einstieg bieten. „Man muss keine Stufen mehr steigen, sondern wird vom Riesenrad – fast wie auf dem Jahrmarkt – in die Gondeln gehoben“, erklärt Himmelfreundpointner.

Also, Skier gegriffen – und nichts wie hinauf. Winterstille weg, Pistenrummel her. Wie hatte Werner Wörndle gesagt? „Ein klarer Wintertag, an dem einem die Wangen brennen, das hat man nicht in der Karibik, das zieht die Leute an.“ Erst recht, wenn soviel Schnee da ist wie in diesem Jahr. Und wenn es auch in diesen hohen Lagen durch die Klimaveränderungen mal weniger wird? Das wäre ein anderes Kapitel. Und das, so hoffen die meisten hier, wird man am Arlberg so schnell nicht aufschlagen müssen.

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