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Eine Zugfahrt, die ist lustig...

© Christina Franzisket

Chinatagebuch 6: Nachtzug nach Shanghai

Die Zeitmaschine hat uns aus der Vergangenheit in die Zukunft katapultiert. Nach 13 Stunden und fast 1.500 Kilometern öffnet sich die Tür unseres Highspeed-Nachtzuges und Shanghai liegt vor uns.

Die Zugfahrt war sehr komfortabel. Es gibt in Chinas Zügen vier Klassen: Die Unterste nennt sich übersetzt harter Sitz, die zweite Klasse ist der weicher Sitz, die dritte die harte Liege und die komfortabelste ist die weiche Liege. Wir fahren mit der weichen Liege. Vier Betten füllen ein Abteil. Bei den harten Liegen sind es sechs Betten pro Abteil. Der Zug ist rappel voll und im Abteil neben uns wohnen Chinesen. Moderne, gut betuchte Chinesen. Ich höre sie noch bis spät in die Nacht quasseln und kichern. Pünktlich auf die Minute rauscht unser Zug am Morgen in Shanghai ein. Das Klima ist gleich wärmer und feuchter, wir sind im Südosten Chinas.

Shanghai ist eine wahr gewordene Zukunftsvision. So könnte die ganze Welt in vielleicht hundert Jahren aussehen: Wolkenkratzer, internationale Viertel, in denen verschiedene Länder nachgeahmt werden, um deren Kultur nicht zu vergessen. Chinesen überall und ein paar Geschäftslangnasen und Touristen.

Die Skyline von Shanghai besteht aus futuristischen Hochhäusern. Der Fernsehturm sieht aus, als würde er jeden Moment ins All starten. Dahinter im Dunst der Stadt steht ein übergroßer Flaschenöffner, das World Finacial Center Shanghai. Wir schlendern am „Bund“, der Aussichtspromenade entlang. Hier hat man den besten Blick auf die Skyline. Überall fotografieren sich Chinesen vor dem bekannten Hintergrund. Und auch wir müssen für ein Foto stehen bleiben. Mit Victoryzeichen und uns Langnasen im Arm lichten sie sich ab freuen und bedanken sich höflich. In hundert Jahren, wenn wir zur aussterbenden Spezies gehören, wird das sicher auch noch so sein.

Im so genannten Französischen Viertel finden wir außer stilechter französischer Architektur und einer Bäckerei noch mehr Internationales: In einem Biergarten sitzen Chinesen und trinken Paulaner Weizen aus Maßkrügen und essen dazu Leberkäse und Sauerkraut. Eine Bar weiter sitzen wieder Chinesen im lauen Abendlüftchen, drehen ihre Spaghetti Bolognese auf der Gabel auf und nippen – drei Finger abgespreizt – an ihrem Rotwein.

Skyline von Shanghai.
Skyline von Shanghai.

© Christina Franzisket

Auf der Nanjing-Road, der Haupteinkaufstraße tanzt der Bär. Tausende Menschen wuseln durcheinander. Wir stürzen uns ins Getümmel. Ich vermute mittlerweile, dass in China Drängeln eine Tugend ist. Ob beim Einsteigen in den Zug, bei der Sicherheitskontrolle, oder beim Überqueren einer Straße ist immer der Ellenbogen im Einsatz.

Shanghai hat knapp 14 Millionen dauerhafte und etwa 5 Millionen temporäre Einwohner. Seit Anfang Mai ist die Expo in der Stadt und mit ihr kamen die Touristen in Scharen.

Die Stadt wurde aufpoliert, um der Welt ihr perfektes Gesicht zu zeigen. Alles blinkt, strahlt, musiziert und ist in XXL. An jeder Ecke akkurat bepflanzte Blumenbeete, Werbetafeln, Shopping Malls. Eine hochmoderne Magnetschwebebahn befördert die Besucher durch die Stadt – natürlich in High-Speed. Bei Nacht besuchen wir ein altes Stadtviertel mit chinesischen Häusern, wie in Pingyao. Nur das diese hier perfekt aussehen, kein Fenster hängt aus der Zarge, der Putz ist ebenmäßig und die Fassaden durch Lichterketten erleuchtet. Die Menschenmassen schieben wie zäher Brei durch die pittoresken Gassen.

Doch plötzlich erfahren wir, dass nicht alles ist wie es scheint. In dieser fortschrittlichen Stadt ist es uns nicht möglich ein Internetcafé zu besuchen. Dafür bräuchten wir eine polizeiliche Einverständniserklärung. Die Antwort auf die Frage warum: Man will vor Pornoseiten schützen.

Ich habe gehört, es gibt auch noch das andere Shanghai, das Unmoderne, Ursprüngliche. Ich werde mich morgen auf die Suche machen.   

Christina Franzisket

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