zum Hauptinhalt
Auch zum Mitnehmen. Bunte Lampions hängen in vielen Souvenirgeschäften der Stadt. Wie sie später in einer deutschen Wohnung wirken, ist eine andere Geschichte.

© Heiko Specht/laif

Lichterfest in Vietnam: Wenn tausend Monde leuchten

Für manche ist Hoi An schönster Ort Vietnams. Viele Touristen kommen. Doch der Zauber bleibt.

Alles ist erleuchtet am Thu-Bon-Fluss. Über uns prangt der runde Mond am kobaltblauen Himmel im Milchstraßenmeer. Vor uns baumeln an jahrhundertealten Händlerhäusern und französischen Kolonialbauten dicht an dicht seidene Lampions von Dachvorsprüngen und Balkonen. Mensch und Materie sind in mildes, verführerisch samtiges Licht getaucht. Es scheint fast so, als habe jemand den elektrischen Zentralstecker aus der Stadt gezogen und das kleine Hoi An in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt. Selbst die Brücke vom neuen ans alte Stadtufer ist mit Seidenmonden bestückt, die leise im Abendwind schaukeln. Wenn Vollmondfest ist in Hoi An, dann ist alles wie verzaubert.

In so einer Vollmondnacht sind wir nach Hoi An gekommen. Es ist eine Zwischensaison, was die Reisezeit angeht: Der Monsun droht. Entgegen dem sonst üblichen Getümmel von Besuchern aus aller Welt sind außer uns kaum andere Touristen zu sehen. Wir sind froh. Denn mit durchaus gemischten Gefühlen hatten wir von wahren Menschenströmen gehört, die das pittoreske Hoi An zur Hochsaison heimsuchen sollen.

Ein Taxi hat uns am Ufer des Hoi-An- Flusses abgesetzt, der weitverzweigt im Südchinesischen Meer mündet. Hier in Hoi An aber, vier Kilometer landeinwärts, wo der Strom die alte und die neue Stadt teilt, nennt er sich Thu-Bon-Fluss. Junge Mädchen hocken schwatzend an seinen Ufern und lassen Papierschiffchen mit Kerzen fahren, um der Seelen untergegangener Seeleute zu gedenken. Hoi An heißt übersetzt „friedlicher Versammlungsort“. Im Angesicht von so viel lyrischer Schönheit sind auch wir ganz still geworden.

Vor 2000 Jahre erstmals erwähnt, war Hoi An einmal eine bedeutende Hafenstadt. An der legendären Seidenstraße gelegen, gingen hier Segelschiffe aus fernen Kontinenten vor Anker. Japanische Lackarbeiten, chinesisches Papier, Porzellan und vor allem Seidenstoffe wechselten die Besitzer. Chinesen kamen und blieben in Hoi An, ebenso Franzosen und Japaner. Holländer, Portugiesen und Indonesier hinterließen Spuren. Amerika zettelte den Vietnamkrieg an und kommt heute, um Urlaub zu machen.

Mit Flair. Auch kleine Lokale in der Altstadt sind in sanftes Licht getaucht.
Mit Flair. Auch kleine Lokale in der Altstadt sind in sanftes Licht getaucht.

© mauritius images

Hoi An war chinesische Handelsstadt, französische Kolonialstadt, Stadt im kapitalistischen Südvietnam und ist jetzt unbestritten die Miss Vietnam der Sozialistischen Republik. Bis ins 19. Jahrhundert hatte Hoi An noch einen sehr wichtigen Hafen. Dann gruben die französischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert im nahen Da Nang einen neuen Hafen, und Hoi Ans Wasser versandeten. Gleichzeitig fiel der historische Stadtkern in eine Art Dornröschenschlaf und wurde glücklicherweise auch im letzten Krieg nicht zerstört.

Als die USA 1994 nach 30 Jahren das Handelsembargo über Vietnam aufhoben und die ersten, das Ursprüngliche suchenden Touristen ins Land strömten, wurde Hoi An wachgeküsst. Die Stadt war in keinem guten Zustand, und die Regierung sah es nicht gern, dass ausgerechnet hierher die Touristen wollten. Seit 1999 gehört Hoi An mit seinen knapp 80 000 Einwohnern zum Weltkulturerbe. Und die Stadt hat sich prächtig herausgeputzt. Schnitzerei reiht sich an Café, Pagode an Versammlungshalle, Maßatelier an Lampionmanufaktur an Friseursalon.

Hoi An ist heute die Stadt der Händler, doch die Spuren ihrer Vergangenheit sind auf Schritt und Tritt zu sehen: die überdachte japanische Brücke mit den steinernen Portalfiguren an den beiden Zugängen; die alten chinesischen Händlerhäuser, in denen allerlei Federvieh gehalten wird. Kam das Hochwasser (so wie es heute noch jedes Jahr zur Monsunzeit eintrifft), dann zogen die Bewohner mit Sack und Pack in die erste Etage. Mehr als 800 Sehenswürdigkeiten soll Hoi An besitzen.

Die Flüsterstimmung ist wie weggepustet

Alles frisch auf dem Zentralmarkt.
Alles frisch auf dem Zentralmarkt.

© p-a

So viele Touristen hatten wir erwartet zum Vollmondfest und unsere Erwartungen an eine Idylle auf recht kleiner Flamme gehalten. Stattdessen gibt es außer uns nur eine Handvoll Zuschauer. Wir blicken auf feierlich gestimmte Kleinstädter im Festtagskleid, die den Göttern huldigen und Gedichte rezitieren. Mutter, Vater, Kind spazieren Hand in Hand. Hin und wieder surrt ein Fahrrad vorbei. Mopeds und Autos müssen draußen bleiben an diesem heiligen Abend. Drinnen wie draußen leuchten Lampions. Wir sitzen vorm Haus und schlürfen einen dieser aromatischen Kaffees mit süßer Büchsenmilch, der so köstlich nach Nuss und Zimt duftet. Wir können uns nicht sattsehen am traumhaften Lampiontheater.

Am nächsten Morgen ist der Strand vor unserem Ferienhaus dunstverhangen. Das Meer hat winzige Herzmuscheln angeschwemmt. Es ist aufgewühlt (Baden verboten!), und die Sonne bleibt matt. Während wir unsere erste Kokosnuss ausschlürfen, streichelt der feuchtwarme Wind unsere Haut. Wir fahren noch mal nach Hoi An. Eine Fahrradrikscha schaukelt uns von unserem Strandresort in Dien Dong Village in einem halben Stündchen durch Reisfelder und Rinderherden.

Die abendliche Flüsterstimmung ist wie weggepustet. Am Tage lebt, schnattert und zwitschert Hoi An. Vögel in Volieren flöten und trillern auf den Balkonen. Das Geschäft blüht am Straßenrand. Die Trottoirs sind gespickt mit Männern und Frauen. Sie sitzen unter ihren spitzen Palmhüten auf winzigen Hockern oder einfach in der Hocke, tauchen Bananen oder Süßkartoffeln in sämigen Eierteig und backen ihn auf der Stelle aus. Jedes erdenkliche Menü wird auf der Straße zubereitet und in zierlichen Porzellanschälchen angeboten. Als Spülmaschine dient ein Eimer mit Wasser.

Auf dem Fisch- und Gemüsemarkt, geschützt unter tiefen Planen gegen den Monsunregen, haben die Fischer und Bauern ihre Schätze ausgebreitet. Es duftet nach saftigen Kräutern und exotischen Früchten. Wie viele Süßkartoffelsorten, Bananen und Mangos wachsen in Vietnam? Die weißen Gänse, noch gestern an den Rändern der Reisfelder watschelnd, finden hier ihr gerupftes Ende. Gestapelte Tatamis, kunterbunte Matten, auf deren schwankender Höhe ein altes Mütterchen im Schneidersitz hockt.

Trockenfisch, bratfertige Frösche, Krabben, Teigfladen und träge lebende Hühner werden in flache Körbe geladen, von denen zierliche Frauen gleich zwei an einer Stange tragen und graziös zwischen den vielen Menschen hindurchlavieren. Ach, wie schade, dass der heimische Herd so fern ist. Hier könnten wir aus dem Vollen schöpfen. So heißt es: mit den Augen essen oder stadtauswärts zu Bong Hong Trang marschieren und die frisch zubereiteten Teigtaschen naschen, die sich „weiße Rosen“ nennen und die uns unser vietnamesischer Freund Dat in Berlin empfohlen hat. Das Essen in Vietnam ist Genuss pur.

Wir beschließen, irgendwann wieder nach Hoi An zu kommen und dann in eines der alten Stadthotels im historischen Kern zu ziehen. Mit dem Fahrrad wollen wir die Stadt erkunden und die rundum angesiedelten Handwerkerdörfer und Gärten besuchen, wo Auslagen für all die kleinen Geschäfte gefertigt werden. Und von der vietnamesischen Küche möchten wir noch mehr erfahren. Nein, wir lassen uns keine Kleider in zwei Tagen nähen, und die zarten Schalen im Eierschalendesign lassen wir auch stehen. Nur eine Handvoll hauchdünner Seidenschals in appetitlichen Gewürzfarben passen noch in den Koffer, ein bisschen Kaffee und der dazugehörende Tassenfilter für die Romantik am heimischen Küchentisch.

Die Lampions, die uns so verzaubert haben an unserem ersten Abend, passen sowieso nicht in unsere norddeutsche Wohnung. Aber sie erinnern uns für immer an eine Mondnacht in Hoi An.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false