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© Sebastian Leber

Vietnam: Die Katze an der Leine

Zwei Millionen Mopeds fahren in Hanoi. Es gilt die Regel: Wer hupt, hat Vorfahrt. Touristen wundern sich über vieles im Norden Vietnams. Zum Beispiel über Wasserpuppentheater

Deutsche und Vietnamesen sollten besser nicht heiraten. „Das geht nie gut“, sagt Herr Pham, der Tourguide. Am Anfang funktioniere die Beziehung vielleicht, „wegen der frischen Gefühle und so“. Aber früher oder später müssten beide Seiten doch einsehen, dass die Unterschiede zu groß sind. Gewaltig sogar! Welche Unterschiede genau? Da zögert Herr Pham und grinst, als sei ihm das ein bisschen peinlich. „Na ja, zum Beispiel: Wir Vietnamesen lieben Wasserpuppentheater.“

Wasserpuppentheater. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Wer auf seiner Reise durch Vietnam den größtmöglichen Kulturschock riskieren will, der kaufe sich in Hanoi eine Karte für eine halbstündige Vorstellung im „Thang Long Theatre“ am Rande der Altstadt. Man sitzt wie im Kino, die Beine muss man schräg anwinkeln, so eng stehen die Stuhlreihen hintereinander. Vorn ist ein quadratisches Wasserbecken aufgebaut. Und dann marschieren sie ein, einer nach dem anderen: der Wasserbüffel, der Krieger, der Reisbauer, vier Drachen, noch ein Wasserbüffel, der Fischer, das Einhorn. Alle aus Holz und bunt bemalt, sie waten durchs Wasser, tauchen kurz unter, wirbeln zur einen Seite und spritzen zur anderen. Die Figuren werden unter der Wasseroberfläche mit Bambusstöcken bewegt. Am Beckenrand warten zwei Sängerinnen, begrüßen jedes neue Fabelwesen mit schrillen Tönen. Worüber singen die? Gibt es überhaupt eine zusammenhängende Handlung? Und hat es einen Grund, dass die goldene Riesenschildkröte ein Schwert in ihrem Maul trägt?

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Herr Pham vor dem Ho-Chi-Minh-Mausoleum.

© Sebastian Leber

„Ich hatte Sie gewarnt“, sagt Herr Pham nach der Vorstellung. Wie viele seiner Kollegen spricht er ausgezeichnetes Deutsch. Das hat er in den 70er Jahren in Ost-Berlin gelernt, als Gaststudent im sozialistischen Bruderstaat. Eigentlich heißt der Mann Pham Van Tinh, von Weitem sieht er aus wie Inspector Columbo, ohne Trenchcoat natürlich, es sind ja 33 Grad im Schatten. Einer wie Herr Pham ist das Beste, was einer Reisegruppe in der Sechs-Millionen-Metropole Hanoi passieren kann: Er kennt alle Museen und Ho-Chi-Minh-Denkmäler, er kann verlässlich beurteilen, von welcher Garküche ein Westler speisen und in welche Reisnudelsuppe er lieber keinen Löffel senken sollte, er verrät auch die einzig erfolgversprechende Methode, als Fußgänger heil über die Straße zu kommen: „Langsam losgehen, nie die Richtung ändern und bloß nie stoppen!“

Nur eines kann Herr Pham nicht recht erklären: was an der „Sozialistischen Republik Vietnam“ heute noch sozialistisch ist. Das kann hier niemand. 34 Jahre nach dem Sieg der Vietcong ist kaum etwas übrig von deren kommunistischen Idealen: Landwirtschaft und Industrie sind privatisiert, westliche Konzerne operieren offen, vor zwei Jahren trat Vietnam der Welthandelsorganisation (WTO) bei. Soziale Sicherungssysteme gibt es wenige, dafür viele Millionen Klein- und Kleinstunternehmer. Deren hastiges Treiben kann man als Tourist gut beobachten, etwa in den Altstadtgassen Hanois, wo die Händler billiges Plastikspielzeug und gefälschte Designermode anbieten. Dazwischen T-Shirts mit Ho-Chi-Minh-Motiven, der 1969 verstorbene Revolutionsführer ist allgegenwärtig, wird auch von den Jungen verehrt – als Befreier, Präsident und warmherziger Mensch. Bloß bezweifeln viele, dass „Onkel Ho“ heute noch überzeugter Kommunist wäre.

In Hanois Innenstadt wird man oft auf Deutsch angesprochen. Meistens will jemand Bücher verkaufen oder Sonnenbrillen. Aber die Händler sind weniger aufdringlich als in Bangkok. Wenn sie merken, dass man ganz sicher nichts kaufen wird, wünschen sie höflich eine gute Zeit. Der Reisende wundert sich ständig in Vietnam – oft ist es aber auch umgekehrt: Dann wundern sich die Einheimischen über die Touristen. Zum Beispiel, wenn man in der Drogerie vor den Sonnencremes steht und alle Empfehlungen der Verkäuferin ausschlägt, so lange, bis sie endlich eine Creme ohne Bleich-Effekt aus dem Regal holt. „No skin-whitening? Are you sure, Mister?“ In Vietnam ist helle Haut so begehrt, dass junge Frauen auf der Straße ihr Gesicht vermummen.

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Verkehr in Hanoi.

© Sebastian Leber

Hanoi kann stressen. Das liegt an den verdreckten Bürgersteigen, den ungewohnten Gerüchen, viele davon sind süßlich, vor allem aber am dichten, lauten Verkehr. Zwei Millionen Mopeds sind registriert, und eine wichtige Verkehrsregel lautet: Wer hupt, hat Vorfahrt!

Am besten, man wird selbst Teil dieses Chaos und steigt hinten auf ein Moped. Und lässt sich durch die Stadt kutschieren, idealerweise abends: einmal rund um den Hoan-Kiem-See, dort, wo morgens die Frühaufsteher Tai Chi machen, und dann quer durch die Stadt Richtung Nordwesten, zum Präsidentenpalast, dem Ho-Chi-Minh-Mausoleum und der Tran-Quoc-Pagode. Wer Glück hat, erwischt einen Fahrer, der nicht schneller als 50 fährt. Man kann auch Pech haben und sich bei einem hinten draufsetzen, der rote Ampeln grundsätzlich ignoriert und sich während der Tour umdreht, um zu fragen, ob Interesse an einer Massage von „Miss Vietnam“ besteht. Da hilft nur: zahlen, absteigen und auf den nächsten Fahrer warten.

Wer nach drei Tagen in Hanoi Erholung braucht, reist weiter in die Halong-Bucht, 150 Kilometer östlich. Auf der Fahrt dorthin sieht man Lotusblüten, Reisfelder und aufgeschüttete Sandhügel am Straßenrand. Der Sand wird zum nächsten Hafen gebracht und dann nach Singapur verschifft, wo er zur Landgewinnung gebraucht wird. Man wird auf der Landstraße aber auch Zeuge kleinerer Unfälle, etwa wenn ein Motorradfahrer eine frei laufende Kuh übersehen hat. Fast immer gewinnt die Kuh.

Der Name Halong-Bucht ist eine Untertreibung, es handelt sich um einen Ausläufer des Südchinesischen Meeres, 1500 Quadratkilometer groß, mit 2000 meist kleineren Inseln. Die Unesco hat die Bucht zum Weltkulturerbe ernannt, und bei der gerade stattfindenden Wahl der „sieben neuen Naturwunder“ ist sie unter den Finalisten, neben Schwarzwald, Amazonas und Kilimandscharo. Von der Hafenstadt Halong aus legen täglich Schiffe ab, die zwischen den Inseln kreuzen. Manche bleiben eine Nacht auf offener See, solche Fahrten buchen aber nur ausländische Touristen. Vietnamesen wollen abends wieder an Land sein, in einer der Karaoke-Bars feiern, sagt Herr Pham.

Unser Schiff ist die „Paradise I“, ein 40 Meter langer Dreimaster mit dunkler Holzverkleidung. So sahen die Boote in der Bucht schon vor 100 Jahren aus, sagt der Kapitän. Die „Paradise I“ hat großzügige Einzelkabinen, einen Massagesalon und Whirlpools unter Deck. Andere Reeder bieten deutlich preisgünstigere Touren. Wichtig ist nur, dass das Schiff über ein Sonnendeck verfügt, auf dem man freie Sicht auf die bizarre Felsenwelt hat. Die Inseln sind aus Kalkstein geformt, die meisten so klein und steil, dass sie unbewohnbar sind. Trotzdem leben hier Menschen: In den windgeschützten Buchten einiger Inseln sind Siedlungen entstanden, die „schwimmenden Dörfer“. Alle Häuser stehen auf Pontons, sie haben nie mehr als drei oder vier Zimmer. Und an vielen weht der gelbe Stern auf rotem Grund, die vietnamesische Flagge.

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Im Dorf Cua Van.

© Sebastian Leber

Der Besuch eines schwimmenden Dorfes gehört zu den eindrücklichsten Erlebnissen, die man in der Halong-Bucht haben kann. Unseres heißt Cua Van, mehr als 40 Familien leben hier, die meisten ernähren sich vom Fischfang, es gibt eine Schule, ein Geschäft und eine Bar, alles auf Pontons gelagert. Wir dürfen anlegen und eines der Häuser aus der Nähe anschauen. Nguyen Van Hu, der Besitzer, wohnt hier seit 84 Jahren, sein ganzes Leben schon. Die 20 Quadratmeter Ponton teilt er sich mit seiner Frau Vu, seinem Sohn, der Schwiegertochter und drei Enkelkindern. In Netzen vorm Boot züchten sie Fische. Eine Katze liegt angeleint auf der Veranda.

Die Regierung hat dieses Dorf ausgezeichnet, erzählt der alte Mann. Herr Pham übersetzt. Eine blaue Plakette beweist es: „Lang Van Hooi“ steht drauf, zu Deutsch „Kulturelles Dorf“. Den Titel können Siedlungen erwerben, wenn sie nachweisen, dass es bei ihnen weder Drogen noch Prostitution gibt und dass alle Kinder die Schule besuchen, mindestens bis zur fünften Klasse. Damit die Bucht nicht vom Abwasser der Bewohner verschmutzt wird, hat die Verwaltung unter jedem Ponton einen blauen Behälter anbringen lassen, alle paar Wochen kommt ein Schiff und leert. Aber das sei moderner Unsinn, sagt Nguyen Van Hu, der Hausbesitzer. Er leitet sein Abwasser weiter ins Meer. „Das ist doch ein Kreislauf. Mir hat es jedenfalls nicht geschadet!“

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Nguyen Van Hu lebt seit 84 Jahren in seinem schwimmenden Dorf.

© Sebastian Leber

Zurück an Bord der „Paradise I“, es ist inzwischen Abend. Die Reisegruppe hat alle Liegestühle auf dem Sonnendeck in Beschlag genommen, die Bedienung bringt Cocktails. „Das ist verrückt“, sagt Herr Pham und grinst. „Im Liegen zu trinken, so was machen bei uns nur die Südvietnamesen.“ Ja, es gebe einige Unterschiede zwischen Süd- und Nordvietnamesen. Die im Süden sind geschäftstüchtiger und ehrgeiziger, sagt der Guide. „Aber sie können keine Staudämme bauen.“

Hier in der Halong-Bucht, mit nichts als Wasser und Fels um einen herum, hat man Zeit, nachzufragen. Ist es nicht sonderbar, dass sich alle Vietnamesen gern fotografieren lassen? Dass Zigaretten und Carlsberg-Bier beliebte Opfergaben in den Pagoden sind? Und wie war das jetzt mit der Schildkröte und dem Schwert im Maul? Eine alte Legende, sagt Herr Pham. Eine von vielen. Das Tier brachte den Vietnamesen eine Wunderwaffe, um die chinesischen Besatzer zu vertreiben, damals im 15. Jahrhundert.

TIPPS FÜR VIETNAM

ANREISE
Vietnam Airlines bietet für Abflüge bis 10. Dezember ein limitiertes „Special“ für 666 Euro ab Frankfurt am Main direkt nach Hanoi und Saigon. Das „Rail & Fly“-Bahnticket nach Frankfurt kostet 30 Euro. Mehr Informationen unter www.vietnam-air.de oder telefonisch unter
069 / 297 25 60.

REISEZEIT UND VISUM
Vietnam kann ganzjährig bereist werden. Im Norden herrscht subtropisches und im Süden tropisches Klima. Ein Visum ( 55 Euro) muss man bei der Botschaft in Berlin beantragen. Telefonauskunft: 030 / 53 63 01 08, im Internet: www.vietnambotschaft.org

IMPFUNG
empfohlen gegen Hepatitis A

VERANSTALTER
Neben vielen anderen organisiert Ikarus Tours Vietnamreisen (zehn Tage ab 1500 Euro, neben den Stationen Hanoi, Saigon und Halong-Bucht ist auch ein Abstecher nach Angkor im benachbarten Kambodscha enthalten). Mehr Informationen gibt es unter www.ikarus.com oder unter Telefon 06174 / 290 20.

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