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Ein tolles Finish hat jeder Läufer in Athen, wenn er das Panathenäische Stadion erreicht.

© Spiridion Antonopoulos, picture-alliance

Athen-Marathon: Der Ur-Lauf

Für ambitionierte Langstreckler sind die 42,195 Kilometer von Marathon nach Athen das Nonplusultra, Sightseeing inklusive.

Ob es am 11.11. beim Athen-Marathon karnevalesk wird, bleibt vor allem den Teilnehmern selbst überlassen. Allerdings sind im Jahr 2502 nach dem Urlauf von 490 vor Christus keineswegs Narren am Start. Nein, es ist den meisten Athleten ernst, denn zum einen ist die Strecke Marathon–Athen der Klassiker schlechthin, zum anderen steht die 30. Ausgabe des Laufs in der Moderne bevor, an dem mehr als 10 000 Marathonis dabei sein wollen. Eine außergewöhnliche Erfahrung in jedem Fall, denn selbst wenn die vorausgesagten 20 Grad Celsius keinen mörderischen Hitzelauf erwarten lassen, kann es möglicherweise heiß hergehen im Athen dieser Tage. Dabei hoffen die aus aller Welt angemeldeten Läufer jedoch, dass ihnen genügend Zeit und Muße bleibt, auch das besondere touristische Programm zu absolvieren, das Athen immer bietet. Wer zur Tour de Athen jedoch vor dem Lauf antritt, sollte vorsichtig sein: Eine Stadtbesichtigung kann Ermüdungserscheinungen hervorrufen.

„Hier sehen Sie lauter Kopien. Denn die Originale des Parthenon-Frieses stehen im neuen Akropolis-Museum. Beziehungsweise ein Großteil im Britischen Museum, das bis heute die Herausgabe verweigert.“ Nicht nur unser Stadtführer Nikos findet das ärgerlich. Es ist ein nationales Anliegen, das seit der Eröffnung des Museums 2009 mit Nachdruck verfolgt wird. Marathonis sind in der Regel Frühaufsteher, und das kommt ihnen vor dem Lauf in Athen zugute. Denn wer um acht Uhr morgens auf den Stufen der Propyläen, dem monumentalen Eingang der Akropolis, steht, hat schon hier die Nase vorn. Denn die Touristen kommen erst etwas später, um den nach jahrelangen Restaurierungsarbeiten heute nahezu gerüstfreien „Wallfahrtsort“ zu bestaunen. Der Athene-Nike- Tempel glänzt wieder strahlend weiß. „Die Ersatzsteine stammen aus denselben Steinbrüchen wie der antike Marmor mit seiner heutigen Patina“, erklärt Nikos. Aber die neuen Steine werden nicht mehr auf alt getrimmt, sie werden sich mit der Zeit natürlich anpassen. Auch am Parthenon und Erechteion ergibt sich ein Puzzle aus Alt und Neu. In der Ferne – der Hafen von Piräus, und rundherum: Groß-Athen mit seinen rund vier Millionen Einwohnern.

„Mehr als 40 Kilometer! Es ist verrückt, das zu laufen. Das wollen wir noch nicht einmal mit dem Auto fahren“, sagt Markos, ein deutsch-griechischer Begleiter. Er lebt in Athen und hat die Strecke von Marathon schon oft absolviert – im Stau. Der dichte Verkehr ist eigentlich immer ein großes Thema in der griechischen Hauptstadt. Für Touristen gilt: gar nicht erst mit dem Auto kommen oder es strikt stehen lassen.

Markos ist Reggae-Musiker, doch seine Wurzeln hat er – natürlich – im Rembetiko, dem „griechischen Blues“. Wir gehen in die „Halle der Unsterblichen – Stoa Athanaton“ im Stadtzentrum. Hier wird schon seit Stunden musiziert. Ein Marathon der besonderen Art für die Musiker, ein Genuss für die Gäste. Alt und Jung tanzen, Tabletts mit frischen Obststücken und griechischem Rotwein werden serviert. Es wird spät. Teilnehmern am Marathon werden hier erste Zweifel kommen, ob die Anmeldung zum Lauf eine gute Idee war. Eine Läuferin erinnert sich ans vergangene Jahr:

Schon ist der nächste Morgen da. Und nach zehn Wochen Training und zehn Minuten vor dem Start, gibt es kein Zurück mehr. Die Sonne scheint warm auf das internationale Läuferfeld. „Lauflegenden“ sind dabei. Etwa die Amerikanerin Joan Benoit, Jahrgang 1957, bei den Spielen von Los Angeles 1984 erste Olympiasiegerin im Marathonlauf oder ihre Landsfrau Kathrine Switzer, 65, die erste Frau, die sich zu einem Marathon anmeldete und als Vorkämpferin des Frauenlanglaufs gilt. Meilenweit ist das „Grenglisch“ des griechischen Ansagers in Marathon zu vernehmen. Mit vor Glück sich überschlagender Stimme verkündet er, was inzwischen alle Anwesenden wissen: Im Jahr 490 vor der Zeitenwende gewannen die Griechen hier die Schlacht gegen die Perser. Ein Bote namens Pheidippides soll die rund 40 Kilometer nach Athen gerannt sein, um zu berichten „Nenikekamen – wir haben gesiegt!“ Dann fiel er tot um. Eine Legende war geboren. Manche sagen, es war der Anfang der Demokratie in Europa. Nun hat der Sprecher alles gegeben, jetzt sind wir dran: 42,195 Kilometer laufen und Original-Marathoni werden.

Manch einer bekommt einen Lorbeerzweig gereicht

Anders als beim legendären Lauf geht es nicht mit Rüstung quer durch die Berge, sondern zunächst gemächlich durch den Ort. Eine Ehrenrunde um das Grabmal für die 192 vermutlich hier bestatteten Athener Krieger. Und dann die Küste entlang: durch den Badeort Néa Mákri, das Hafenstädtchen Rafína. Rechts die Hügel des Pentelikon, links ab und zu das glitzernde Meer. Man sieht sie nicht – aber da unten am Strand müssen sie sein: Menschen, die an diesem Morgen ein erfrischendes Bad im Meer nehmen. Für uns bleibt vorerst nur das Bad in der Menge der Mitläufer. Eine frische Brise macht die noch immer stechende Sonne erträglich. Alle paar Kilometer: Wasser, Verpflegung und erste Hilfe für die einsetzenden Krämpfe. Bedürftige finden sich von Anfang an genug. „Geht’s?“ fragt ein Mitläufer. „Ja, aber es läuft nicht.“

Also mit Seitenstechen bergauf und bergab über die Hügel der Halbinsel Attika. Am Straßenrand: vereinzelt Bäume, zweistöckige Häuser, Geschäfte. Und: kein Schatten, nirgends. Das Läuferfeld ähnelt jetzt eher einer Wandergruppe. Die einzigen fröhlichen Menschen stehen am Straßenrand: Sie winken, klatschen und rufen. Wenn der Applaus stürmisch wird, dann gilt er meist einem Griechen, der einen Zwischenspurt einlegt. Doch auch mit anderen meinen es die Zuschauer gut, mancher bekommt gar einen hübschen Lorbeerzweig gereicht, den er bis ins Ziel retten will. Einfach wird das nicht. Stunden sind vergangen, die Mittagshitze schlägt zu. Noch gut zehn Kilometer. Jetzt nur nicht auffallen, sonst nehmen einen die Sanitäter aus dem Rennen. Bei Kilometer 32 ist der höchste Punkt erreicht – Agia Paraskevi, 240 Meter über dem Meer. Darauf ein „Nero!“ – Wasser. Endlich geht es abwärts durch die Athener Stadtteile Chalandri und Cholargos. Es wird urban – vorbei an der US-Botschaft, dem Hilton Hotel, an den Helikoptern des Kriegsmuseums. Das Ziel ist schon in Hörweite und dann endlich: Schatten! Die Irodou-Attikou-Straße bietet Kühle unter dichten Baumkronen. Die letzten zehn Minuten bis ins legendäre Panathinaikon-Stadion sind eine wahre Wonne. Die Sieger stehen längst fest. Egal, hier zählt nur der Sieg jedes Einzelnen über sich selbst. Geschafft!

Gewiss, niemand muss hier den Marathon laufen. Und dann ist Athen auch in diesen heißen Tagen durchaus sehr entspannend. Auch wenn auf dem Syntagma- Platz vor dem Regierungsgebäude weiterhin nahezu täglich demonstriert wird, flanieren und sitzen keine 500 Meter weiter Einheimische und Touristen gleichermaßen in der Plaka, der wunderschönen Altstadt am Fuß der Akropolis. Hierher kommen sie alle her zum Bummeln, Shoppen, Essen und Trinken. Die nach dem Lauf zu echten Marathonis Geadelten hingegen wollen einfach nur noch ausruhen und genießen. Und die wärmende Sonne ist jetzt durchaus willkommen.

Ursula Thomas-Stein

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