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Wenn die Wellen hochschlagen, sind Rettungsringe eine ausgesprochene Notlösung. In kalten Gewässern können sich Schiffbrüchige nicht lange an ihnen festhalten. Rettungswesten sind in diesem Falle besser. Sir Alec Guinness konnte als Kapitän in dieser Filmkomödie aus den 40er Jahren gut auf Ring und Weste verzichten. Aber nicht auf Zuspruch. 

© imago

Aus für den europäischen Rettungsring: Zu wenig Auftrieb

Die letzte europäische Rettungsring-Manufaktur kann sich nicht mehr über Wasser halten. Die in Handarbeit hergestellten Ringe sind teurer als die asiatische Konkurrenz

„Mann über Bord!“ Wenn dieser Ruf zu hören ist, zählt nur noch ein Gedanke: Wo hängt der nächste Rettungsring? Seit 1855 werden die runden Schwimmhilfen in Europa in Serie hergestellt, seit Großbritanniens Seenotrettungsorganisation den Rundling zum Muss vor dem Ablegen erklärt hatte. Mit Rettungsringen „made in Germany“ ist nun allerdings Schluss. Die letzte Manufaktur in Pinneberg, die dieses Rettungsmittel noch traditionell herstellen kann, lackiert in diesen Tagen die letzten Rohlinge. Doch nicht nur in Deutschland ist die Herstellung dieser Rettungsringe dem Untergang geweiht.

„Die asiatischen Ringe sind aus Vollplastik und kosten im Einkauf unter zehn Euro das Stück“, sagt Anuschka Ewtuschenko, die für die Produktion in Pinneberg zuständige Projektbetreuerin im Lebenshilfewerk. „Wir aber müssten das Dreifache haben, weil es ja reine Handarbeit ist.“ So wird zur Herstellung der Pinneberger Ringe ein Leinenschlauch mit Styroporschnee gefüllt, anschließend erhitzt – „gebacken“, wie die Profis sagen –, danach werden in der JVA Fuhlsbüttel die Bänder für die Halteleinen angenäht, bis der Rundling zum Schluss in Pinneberg zunächst grundiert und zuletzt rot-weiß lackiert wird. Bei der gemeinnützigen GmbH haben geistig und körperlich Beeinträchtigte bislang noch bis zu 5000 Ringe jährlich hergestellt.

Die Lebenshilfe hatte 2008 die Maschinen des Unternehmens Cosalt Seepilz übernommen, dem bis dahin letzten kommerziellen Hersteller von Rettungsringen in Deutschland. Dort wurden am Ende 10 000 Stück pro Jahr produziert. „Diese großen Stückzahlen werden am Markt nicht mehr nachgefragt“, sagt Ewtuschenko. Auch wenn die Berliner Feuerwehr über einen Händler noch einmal eine größere Stückzahl geordert hatte. Statistisch gesehen muss jeder der rund 500 reflektierenden Reifen ein Mal im Jahr in einer der Wasser- und Eisrettungsstationen wegen Diebstahls ersetzt werden. Sie sind ja einfach auch zu schön.

"Er sieht eben gut aus - ein bisschen schiffig"

Geschlaucht durch Dumpingpreise. Einrichtungsleiter Andreas Flynn und Projektbetreuerin Anuschka Ewtuschenko vor der Dampfpresse.
Geschlaucht durch Dumpingpreise. Einrichtungsleiter Andreas Flynn und Projektbetreuerin Anuschka Ewtuschenko vor der Dampfpresse.

©  Reinhart Bünger

Doch es hilft alles nichts: Die Maschinen in Pinneberg sind veraltet, wieder steht eine Reparatur an – und die nimmt Ewtuschenko nun zum Anlass, den deutschen Rettungsring endgültig zu versenken. Die Zukunft liegt bei industriell gefertigten Rettungsringen aus zwei Halbschalen, die gleich die richtige Farbe haben und Ösen für die Halteleinen. Das Material dieser Ringe ist härter als Kork und Styropor. Hartplastik kann Ertrinkenden allerdings auch gefährlich werden: Treffen die runden Retter beim Zuwerfen Kopf oder Körper, kann das zu schweren Verletzungen und – schlimmer noch – zu Bewusstlosigkeit führen.

Für den Fachverband Seenotrettungsmittel (FSR) in Köln bedeutet das Aus in Pinneberg nicht den Untergang des Abendlandes: „Der Rettungsring ist ja nicht tot, nur der in Deutschland gefertigte“, sagt der FSR-Vorsitzende Michael Dibowski, der hauptberuflich Geschäftsführer des Rettungswesten-Herstellers Kadematic in Wedel ist. Abgesehen von den hohen Kosten für die Handarbeit müsse man sagen, dass der Rettungsring eigentlich technisch überholt sei: „Im kalten Wasser können die Ertrinkenden den Ring nicht lange festhalten – wenn sie etwa in den Gewässern Nordeuropas bewusstlos werden, ist er keine Hilfe mehr.“ In der Sportboot- und Berufsschifffahrt werde er nurmehr als folkloristisches Anhängsel mitgeführt: „Er sieht eben gut aus – ein bisschen schiffig.“ In Schleusen und an Binnengewässern habe er allerdings nach wie vor seine Berechtigung: „Wie er funktioniert, versteht ja jeder“, sagt Dibowski.

Anfang des vergangenen Jahrhunderts bestanden Rettungsringe noch aus Kork. Ihre Produktion war aufwendig: Arbeiter weichten die Rinden in großen Becken ein, um sie biegsam zu machen. Danach befestigten sie die Streifen mithilfe von Holzkeilen an einem Eisenring und raspelten den Rohling rund. Im nächsten Arbeitsgang verpassten Näherinnen den Ringen einen Bezug, dann Belegbänder und Greifleinen. Ab 1952 produzierte die Paul Merten GmbH in Rellingen bei Hamburg als erstes Unternehmen Rettungsringe aus Styropor. Das ging natürlich schneller. Die alten Merten-Maschinen stehen heute bei der Lebenshilfe in Pinneberg.

Die deutschen Schiffsausrüster, die heute Ringe containerweise aus Fernost ordern, setzten lange auf die Retter aus Rellingen. In den Schlauch wurden dann Styroporkügelchen geblasen – für den lebenswichtigen Auftrieb. In einer Dampfpresse – sie sieht aus wie ein überdimensionales Waffeleisen – erhielt der Rettungsring anschließend bei einer Temperatur von rund 200 Grad Celsius seine charakteristische Form und die nötige Stabilität. Bis zu 100 Kilo trägt so ein Ring aus Pinneberg.

Die Idee, mit Ringen Leben zu retten, liegt zum Greifen nahe seit Menschen die Meere befahren. Doch wann genau nun der Rettungsring erfunden wird, lässt sich heute kaum mehr sagen. Dem Universalgelehrten Leonardo da Vinci (1452–1519) wird die entscheidende Idee zugeschrieben. In einem seiner Skizzenbücher aus dem 16. Jahrhundert finden sich primitive Entwürfe für einen Taucheranzug und einen Rettungsring. Letzterer soll aus Leder und aufblasbar gewesen sein. Dazu schrieb er: „Wenn du dann ins Meer springen musst, so blase die Schöße deines Gewands durch die Säume an der Brust auf, springe dann ins Meer und lasse dich von den Wellen treiben.“

Da Vinci hatte nicht nur an die Rettung durch den Ring, sondern gleich noch ein Stückchen weiter gedacht: Die Luft im Rettungsring sollte im Notfall auch als Atemluft genutzt werden. Der Ingenieur Mariano di Giacopo detto Taccola (1382–1453) hatte ein ähnliches Gerät entwickelt, jenes aber nicht so weit ausgearbeitet wie in da Vincis Zeichnungen.

Die Royal Navy setzte den modernen Ring zuerst ein

Der Letzte sortiert die Ringe aus: Gruppenleiter Martin Looft.
Der Letzte sortiert die Ringe aus: Gruppenleiter Martin Looft.

©  Reinhart Bünger

Der moderne Rettungsring wurde erst seit dem frühen 19. Jahrhundert regelmäßig eingesetzt. Hier darf Lieutenant Thomas Kisbee (1792–1877) von der britischen Royal Navy die Urheberschaft beanspruchen. Der runde Retter trug im Schlepptau folglich seinen Namen: Kisbee Ring. Mit dem Kriegsschiff HMS „Driver“, einer dampfbetriebenen Schaluppe, war Kisbee der Erste, der in den Jahren von 1842 bis 1847 mit einem Fahrzeug dieser Art die Welt umrundete. Die Royal National Lifeboat Institution (RNLI), die britische Seenotrettungsorganisation, übernahm den Ring Kisbee als Standardausrüstung im Jahr 1855. Der Rettungsring ging in Serie und wurde in den folgenden 100 Jahren überwiegend aus Kork hergestellt. Um 1950 machten sich dann vermehrt Styroporkügelchen im Schlauch des Rettungsringes breit. Heute sind die industriell gefertigten runden Retter allerdings aus Vollplastik und meist in einem grellen Orange gestrichen. Rot-Weiß ist zwar die traditionelle Farbe, die damals den größten Kontrast darstellte. Aber eigentlich ist das Rot zu dunkel, und das Weiß – man denke nur an Schaumkronen in stürmischer See – viel zu hell.

Die Produktion von Rettungsmitteln in Pinneberg wird zwar weitergehen. Die zwölf Schützlinge des Lebenshilfewerks, die mit Rettungsringen beschäftigt waren, stehen also nicht gänzlich ohne Arbeit da. Schließlich werden hier auch Tagsignale für Schiffe, Wasserbälle und Rettungsflöße hergestellt. Doch mit den Ringen soll einstweilen Schluss sein. Zuletzt lag die Wochenproduktion noch bei 100 Stück. Bisher wurde vom Händler ein Grundpreis von 15 Euro genommen, der gerade einmal kostendeckend war. Und einen eigenen Vertrieb will man in Pinneberg nicht aufbauen, dies widerspreche dem Geschäftszweck, heißt es.

„Das kaputte Relais, ein Druckminderer, das an der Maschine den Druck auf drei Bar steuert, ist nun das Tüpfelchen auf dem i gewesen“, sagt Einrichtungsleiter Andreas Flynn. Auch durch Mischkalkulation mit den passabel im Geschäft mitschwimmenden Notflößen bekomme der Rettungsring nicht ausreichenden finanziellen Auftrieb. Die Reparatur der Maschine koste zwar nur um die 2500 Euro, aber der nächste und übernächste Schaden komme bestimmt. Die Maschinen, die 30 bis 75 Zentimeter große Reifen pressen können, seien halt reif fürs Technikmuseum. Oder für den Schrott. Senken ließen sich die Produktionskosten nicht mehr – bei der Lebenshilfe wird ohnehin weniger als der Mindestlohn gezahlt. „Rettungsringe sind natürlich toll für Behinderte, weil sie das Endprodukt sehen und ver- stehen“, sagt Produktionsleiter Wolfgang Therre vom Lebenshilfewerk. Rund zwei Stunden haben sich Mitarbeiter seiner Werkstatt im Durchschnitt mit einem Ring beschäftigt.

Wie aber könnte denn ein Retter der Ringe aussehen? „Weitergehen kann es nur mit einer Garantieabnahme von 5000 Ringen im Jahr – was nützen uns 500?“, sagt Flynn. Immerhin wäre ja denkbar, dass es die Lebenshilfe GmbH für ein neues Unternehmen als Dienstleister wieder rundgehen lässt.

Martin Looft, Gruppenleiter für Rettungsmittel, könnte die Produktion mit seinen Schützlingen nach der Reparatur der Dampfmaschine sofort wieder aufnehmen. Momentan bleibt ihm nur, die letzten Rohlinge zu sortieren. Einer der Behinderten, der in der Rettungsringstation des Lebenshilfewerks gemeinsam mit Martin Looft in diesen Tagen „klar Schiff“ macht, würde auch gerne weitermachen: „Das hat Spaß gemacht, aber ich will mich da ja nicht einmischen.“

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