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Balearen: Wörter wie Stiere

Spanisch lernen auf Mallorca: Morgens zur Schule, nachmittags die Insel erkunden. Ein Erfahrungsbericht.

Urlaub auf Mallorca? Niemals! Ein dreiwöchiger Spanischkurs auf der Insel jedoch, das möcht’ schon gehen. Nun ja, vorurteilsbeladen sind viele, die die Insel nicht aus eigener Anschauung kennen. Hätte ich allerdings vorher gewusst, dass mein Hotel an einer beliebten und entsprechend belebten Touristenmeile zwischen Palma und Arenal liegen sollte, dass rechts neben meinem Zimmer zwei nächtens lärmende Russinnen logieren, gleich links der „Ballermann“ beginnt, sich dahinter die Autobahn und darüber die Einflugschneise des Flughafens befinden – ich wäre wohl doch noch zurückgezuckt. Tatsächlich ist es jedoch weit weniger schlimm gekommen, als das Szenario zunächst vermuten lässt.

Am Vorabend des ersten Schultags versuche ich im Hotel die vor ein paar Jahren in Madrid erworbenen Sprachkenntnisse wie ein eingerostetes Räderwerk mühsam in Bewegung zu setzen. Damals hatte ich bei Gasteltern gewohnt, diesmal ziehe ich die Anonymität eines Hotels vor. Ein Fehler, wie sich später herausstellt, weil man so nicht zu unablässiger Konversation gezwungen ist.

Während des Abendessens bin ich umgeben von rüstigen Rentnern sowie Jugendgruppen vom spanischen Festland. „Sie sprechen Spanisch? Muy bien“, lobt der flinke Kellner Francisco, als er mir meinen Platz zuweist. Er quittiert anschließend allerdings jeden Versuch zur Kontaktaufnahme mit „muy bien“.

Der tägliche Schulweg gehört zum Schönsten jedes Tages. Kurz vor neun geht’s über den Dorfplatz von Can Pastilla mit der unscheinbaren Kirche und seinen fünf Kiefernbäumen, die Morgenluft ist frisch, das Wasser hinter den gestapelten Liegestühlen am leeren Sandstrand tiefblau.

Die Schule, etwas versteckt zwischen den ersten Hotelbauten von Arenal, liegt etwa einen Kilometer vom Hotel entfernt, ein paar Schritte hinter den Palmen der Strandpromenade. Im Vorraum stehen zwei Männer: „Du bist Stefan“, stellt einer der beiden fest. Er heißt Carsten. Der Schulleiter. Ein Deutscher. Die Exotik des Sprachurlaubs schrumpft.

Mein Lehrer Luis stammt immerhin aus Spanien, genauer aus der Estremadura und ist Philologe – was will man Authentischeres? Er macht seine Sache engagiert, und ich erkenne mit Missvergnügen, wie viel ich vergessen habe. Jeden Morgen verbringe ich in der Schule, montags bis freitags, drei Wochen lang. Ich habe mich für einen Einzelkurs entschieden, weil ich möglichst viel in möglichst kurzer Zeit lernen will. Vielleicht aber auch, weil ich mich nicht vor anderen blamieren möchte.

Nachmittags sind Hausaufgaben angesagt, die weite Bucht unweit des Hotels bildet da ein angenehmes Ambiente. Am dritten Tag empfiehlt Luis den Besuch des Almudaina-Palasts in Palma, weil mittwochs der Eintritt für EU-Bürger gratis sei – ein neuartiges Gemeinschafts-Erlebnis. Stunden verbringe ich in den mittelalterlichen Mauern mit dem gewissenhaften Übersetzen aller spanischen Beschriftungen, obwohl ausgelaugt nach fünf konzentriert verbrachten Unterrichtsstunden.

Die im Reisepaket vorgesehene Halbpension erzwingt die Erweiterung der Joggingtouren von dreimal in der Woche auf jeden zweiten Tag, und von einer Stunde auf eineinhalb. Während des Trabens rattern Konjugationen und Deklinationen vor dem geistigen Auge auf und ab. Wie war das noch? Wann verwendet man „por“ und wann „para“? Die Grammatikfragen für den nächsten Tag werden gespeichert.

Mal führt der Trab auf der Strandroute nach Palma, mal gen Arenal. Die Hauptstadtrichtung ist die abwechslungsreichere: Erst joggt man auf der gepflegten Promenade aus dem kleinen Ort hinaus, trifft auf Spaziergänger oder Radfahrer. Letztere erscheinen hier besonders gefährlich, weil sie zum einen oft ungeübt sind, zum anderen häufig in Rudeln auftreten. Es folgt ein Stück unbebaute Natur, denn hier donnern im Zweiminutenabstand die Flugzeuge über einen hinweg. Am Horizont zeichnet sich die Inselhauptstadt ab, mit ihrer gleichermaßen wuchtigen wie filigranen Kathedrale und der Burg im Abenddunst. Nebenan schaukeln die Segelboote im kleinen Hafen von El Molinar, und ihre Masten bimmeln beim Anschlagen der Leinen wie Kuhglocken auf Almen.

Am ersten Wochenende nehme ich die betagt-elegante Bahn nach Sóller hinter den Bergen und wandere zum Dörfchen Fornalutx mit seinem Vorzeigeortsbild. Gut, dass sich die „Ballermänner“ freiwillig Tag für Tag am Strand schichten. Die Ruhe tut dem Auslüften der Seele des einsamen Wanderers gut, der Sprachpraxis nützt es allerdings nichts.

In der zweiten Woche ist Luis anderweitig eingesetzt, eine junge Lehrerin übernimmt den schwierigen Fall. Aranjatu stammt aus Mallorca. Das Kastilische ist also nicht ihre Muttersprache, sie muss manchmal selbst überlegen, welche Präposition in den Hausübungen die richtige ist. Nun ja...

Wenn ich nun beim Fahrkartenkauf am Sonnabend auch so lange brauche wie in der Schule, um eine bestimmte Form des Subjuntivo korrekt herauszuschälen, wird der letzte Zug nach Sa Pobla schon lange abgefahren sein. Im täglichen Auf und Ab der Gefühle – von: das lerne ich nie, bis: jetzt ist der spanische Grammatik-Stier endgültig bei den Hörnern gepackt – stellen sich Selbstzweifel ein.

Das Tief ist jedoch bald überwunden: Nach zwei Wochen fühle ich mich nicht nur in der Sprache, sondern auch im Hotel recht heimisch: Da ist der zerstreute Professor im Ruhestand aus Barcelona, der sich ein ums andere Mal nicht merkt, woher ich komme. Oder jenes Ehepaar aus Guadalajara, das sich bemüßigt fühlt, mir beim Abendessen lautstark Unterricht zu geben. Erst Gramática, dann Pronunciacion. „Pro-nun-cia-ción“, verbessert die Gute ungerührt. Sie muss einst Lehrerin gewesen sein.

Für eine große Inseltour schließlich empfiehlt Aranjatu einen Autoverleih in der Nähe. Technische Fachbestellungen sind die hohe Schule: Ich radebreche Spanisch, der Vermieter auf Deutsch, keiner will nachgeben. Beim Abholen des Descapotable (Schiebedach-Auto) am nächsten Morgen spricht sein Kollege verständliches Spanisch, zudem bin ich ausgeruht rhetorisch etwas wendiger.

Flott geht es die Kurven hinaus zur Nordkette der Tramuntana. Von oben eröffnen Blicke auf das um die Klippen brodelnde mal giftgrüne, mal tintenblaue Meer; der Besuch im Touristenmagnet Valldemossa ist ein Muss, wo in der Nähe einst das verwöhnte Blaustrümpfchen George Sand mit Frederic Chopin in der Kartause einen Winter zubrachte und sich später literarisch nicht genug über die Mallorquiner beschweren konnte. Ich kurble mein Gefährt über gewundene Haarnadelkurven hinunter an enge Buchten und wieder hinauf zum Inselheiligtum Kloster Lluc, wo es nach Wald und Bergwandern riecht. Zwischen Radlerkolonnen und Reisebussen schlängle ich mich bis ans Ende der Insel, dem schneeweißen Leuchtturm von Formentor, und beobachte die Fünf-Uhr-Tee-Briten an der gediegenen Strandpromenade von Port de Pollenca.

Zur Anwendung des fremdsprachlich Erworbenen komme ich bei alldem kaum, dazu mische ich mich irgendwie zu wenig unters Volk. Nach den drei Wochen beschließe ich, meinen Ehrgeiz zu begraben und auf der Habenseite zu verbuchen, dass ich eine Insel voller Schönheit kennenlernen durfte. Dass ich obendrein mein Spanisch immerhin verbessern konnte, ist nach der Rückkehr vom Selbstzweck zur Draufgabe mutiert.

Stefan May

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