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Bequem zum Ausguck. Binnen einer halben Stunde ist die Brockenbahn oben. Wanderer müssen erheblich mehr Zeit einplanen. Foto: Heinz

© Marlis Heinz

Reise: Beim Wetterfrosch Der Brocken zieht viele Menschen magisch an.

Manche haben am Gipfel sogar Arbeit gefunden

Das Schnaufen verschwindet im Wald. Eine paar Mal noch hört man die Lok aus der Ferne tuten. Das war der für heute letzte Auftritt der Brockenbahn. Die Sonne geht unter. Glutrot-romantisch, das ist selten hier am Gipfel, wo häufig Nebelschwaden wabern. Ein Pärchen hockt in Decken gehüllt auf dem Stein, der den höchsten Punkt markiert und schaut verzückt in die Weite. Still wird es. Und dunkel. Wer jetzt noch auf dem Berg ist, der sollte bleiben.

Das bedarf allerdings keines besonderen Mutes, denn das Brockenhotel im einstigen Fernsehturm bietet sturmdichte und hexensichere Zimmer, mit vierfachverglasten und fest verschlossenen Fenstern. Ehe die Kellnerin heimfährt und die Gäste ihrer Fantasie und gegebenenfalls dem Notruftelefon überlässt, bringt sie noch eine Runde Schierker Feuerstein, Kräuterlikör vom Fuße des Brockens. Und lässt sich doch noch auf einen Plausch ein, erzählt, dass bei Sturm die Gläser auf dem Tresen klirren. Auch zum legendären „Brocken-Benno“, der den Berg schon mehr als 6000 Mal bestieg (tagesaktueller Stand unter der Adresse www.brocken-benno.de) und dabei reichlich drei Millionen Höhenmeter überwand, gibt sie Auskunft: „Der Benno kommt jeden Tag so gegen elf Uhr hier oben an, macht am Bahnhof oder bei uns eine Pause, stempelt sein Tagebuch ab und marschiert zurück. Aber neuerdings jammert er wegen der Verspätungen, weil er unterwegs so viele Autogramme geben muss.“

Wer Glück hat, trifft Hans oder Daniel Steinhoff, die beiden sind „Der Brockenwirt“ oder exakter: die Brockenwirt & Sohn GmbH & Co. KG, Schierke. Sie behaupten zwar nicht, Haute Cuisine zu bieten, aber eines macht ihnen keiner streitig: Sie betreiben die höchstgelegene Küche des Harzes. Die Geschichte des Hauses ist bewegt wie alles, was mit dem Berg zusammenhängt. „Einige meiner früheren Vorgänger haben ihre Pacht allein mit dem Verkauf von Ansichtskarten finanziert“, hat Brockenwirt-Senior Hans Steinhoff gehört. Aber seit dem Bau der Mauer trugen die Brockenbesteiger 28 Jahre Waffen statt Wanderstöcke, und kein Tourist durfte in die Nähe der Horchposten. Bis 1990. Im Januar hing Hans Steinhoff, zu Hause in Schierke, eine Armee-Gulaschkanone an den Geländewagen der Post, lud paar Säcke Erbsen ein und zerrte alles auf den Gipfel.

Er begann zu kochen und bewirtete die Wanderer, die seit der Grenzöffnung den symbolträchtigen Berg wieder erklommen. Das Militär zog ab, die Gulaschkanone blieb. Steinhoff, der inzwischen noch andere Hotels im Harz besitzt, macht keinen Hehl draus, dass er mit Neidern zurechtkommen muss. Aber eine klassische Tellerwäscher-Story ist es noch nicht – dazu müssen er, sein Sohn und seine Tochter noch viel zu oft selber schwitzen.

Reibungslos verlief die Geschichte auch nicht, denn die Lage lockte Mitbewerber an. „Als die jedoch den ersten Winter miterlebt hatten, haben die sich zurückgezogen“, kommentiert Steinhoff nicht ohne spöttischen Unterton den Ausgang des Gerangels. Brockenwirt zu sein, verlangt neben Geschäftssinn nämlich auch Wetterfestigkeit und Flexibilität, zumal wenn man wie Steinhoffs neben den gastgewerblichen Aufgaben auch noch die der Bergwacht und des Winterdienstes erfüllt, wenn man sich mit dem Nationalpark-Gesetz arrangieren muss und immer auch Bergführer ist.

Sobald es richtig finster ist, versammeln sich die meisten Hotelgäste in der Aussichtsetage, schauen hinunter auf die Lichter der Ortschaften oder hinauf zum Firmament.

Für Ingo Nitschke gehört der Blick in den Himmel zu seinem Job. Er ist Wetterfrosch. Und bedenkt man die Lage seines Arbeitsplatzes – die Wetterwarte Brocken – kann er als richtiggehend hohes Tier gelten. Der Harzgipfel ist mit 1141 Metern über dem Meer der höchste Berg im Norden Deutschlands. Und mit 1153 Metern sitzt Nitzschke im Turm des Deutschen Wetterdienstes noch etwas höher.

Manchmal scheint sein Job als Wetterdiensttechniker sehr gemütlich. Er agiert am Schreibtisch und beobachtet das Geschehen auf den Bildschirmen um ihn herum, schaut aus den Fenstern, notiert, telefoniert, setzt halbstündlich eine Wettermeldung ab. Und mitunter hat er sogar einen Blick für seine Fröschesammlung; Rund 500 der vermeintlich wetterkundigen Lurche hat er um sich versammelt.

Aber es kann für Nitschke auch kalt, feucht und stürmisch werden. Wenn er aufs Dach seiner Station klettert und dort Messergebnisse abliest: Temperatur, Windstärke, Niederschlagsmenge oder Radioaktivität im Staub. Im Winter marschiert er zudem über den Brocken, und liest die Schneehöhen an den entsprechenden Messstellen ab. Die liegen unterhalb der Kuppe, denn der Sturm lässt keine Flocke auf dem felsigen Plateau.

Nitschke beginnt seine Nachtschicht. Sieben Mitarbeiter gehören zum Wetterwarten-Team. Aber nachts ist meist einer allein auf dem Gipfel. „Selbst wenn der Brocken evakuiert wird, also im Hotel und den Anlagen der Telekom alle runter müssen – wir bleiben oben. Nicht, dass man sich fürchtet, aber wenn alles tief eingeschneit ist, man das Auto irgendwo an der Strecke weit unten stehen lassen musste und sich zu Fuß durchkämpfte, dann kann man schon irgendwie ein komisches Gefühl bekommen, so als einziger Mensch in den Gewalten der Natur.“

Der Brocken fasziniert Wetterbeobachter schon lange. So studierte bereits Goethe für sein Werk „Farbenlehre“ die Erscheinungen an dem mystischen Gipfel. Mit der Gründung des Preußischen Meteorologischen Instituts 1846 lag die Überwachung der Wetterlagen auf dem Brocken fortan in der Hand der Wissenschaft. Der Bau einer Messstation im Herbst 1895 erleichterte die Arbeit der Beobachter und adelte die Warte als meteorologische Station erster Ordnung.

Wenn der Tag beginnt, greift das Tal wieder nach dem Berg. Wer einen Brocken-Job und somit eine Sondergenehmigung hat, parkt oben sein Auto. Die ersten Wanderer kommen geschnauft und gegen halb elf auch die Brockenbahn. Hans Steinhoff beugt sich über die Gulaschkanone und rührt die Erbsensuppe. Daniel Steinhoff schleppt die Koffer seiner Gäste aus dem Haus, um das Gepäck hinunter ins Tal zu kutschieren. Im Souvenirladen werden die am Faden baumelnden Hexlein in Abflugposition gebracht. Im Nationalpark-Besucherzentrum steigen die ersten Gäste auf den Hexenbesen, um so in ein Harz-Überflug-Video projiziert zu werden.

Inzwischen hat sich der Gipfel gefüllt. Mit Wanderern, Mountainbikern und jenen die es bequemer mögen, also den Brockenbahn-Passagieren. Glücklicherweise steht all dem Aufwärts auch ein Abwärts gegenüber. Birgit Patzelt mahnt ihr Trüppchen zum Aufbruch. Die Nationalpark-Rangerin erzählt im Gehen. Über den Bergmischwald und die Gefahren durch die Brockenbahn, über Totholz und Moore. Manchmal bleibt sie stehen und holt etwas aus ihrem Rucksack: vom Borkenkäfer gezeichnete Rinde. Die Tiere dürfen hier bleiben, wir befinden uns in der Kernzone des Nationalparks. Im Urwald. Der Brocken ist halt was Besonderes.

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