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Biarritz: Ein Paradies für Surfer

In Biarritz trifft sich die Weltelite der Surfer. Wer den verwegenen Sport lernen will, kommt hier auf den Geschmack. Aber auch Könner tummeln sich hier.

Pas de problème: Aufs Brett legen, mit den Händen paddeln, Blick nach vorne, und wenn die Welle näher kommt, einen Fuß nach dem anderen aufsetzen, Arme hoch und Twist zur Seite, c’est ça! Auf dem Sand vor dem Casino von Biarritz ist das ein Kinderspiel, beim ersten Wasserkontakt jedoch rutschen die sechs anderen dynamischen Brettturner in meinem Kurs wie Walrösser unter die Wellen. Unser Surflehrer Christophe weiß Rat. „Just stand up and relax!“ Es sei wie im Leben allgemein, immer ein Ziel vor Augen haben, sich nicht in Details verzetteln, einfach vertrauen und loslassen.

Klammert man das 2,40 Meter lange Board, das über eine Schnur mit einer Klettfessel, wie bei einem offenen Vollzug, am Knöchel hängt, an sich, geht es in einem Schwung Richtung Meeresgrund, das Brett vor Kopf und Leib. Andere Sportarten auf Wackelbrettern erscheinen nun lächerlich einfach. Beim Windsurfen gibt’s einen Metallrahmen zum Festhalten, beim Snowboarden hält wenigstens der Berg still.

Aber die Euphorie kennt bei den Surf-Frischlingen kein Ende. Daniel aus dem englischen Reading steht knapp zwei Sekunden auf einem Ausläufer der gut ein Meter hohen Welle. Dann bleibt sein Brett im Sand stecken. Jubel. Die anderen gucken etwas bedröppelt. Christophe winkt sie zu sich, reicht ihnen die Hand, stellt sie aufs Brett. Ab die Post. Während Strand und Casino von Biarritz in der Gischt untergehen, schreit er hinterher: „Look to the beach, relax, relax, relax!“ Locker, locker!? Der hat gut reden! Na ja, vermutlich ließe sich der etwas komplizierte Sport systematischer erlernen, aber dies ist kein Surfcamp, sondern ein offener Kurs für jeden Interessierten an der Grande Plage, Laisser-faire auf dem Wasser sozusagen. Wir befinden uns in Biarritz, dem Surf-Mekka.

Nach einem winzigen Glücksmoment verschwinde auch ich wieder im Meer. „Was für eine miserable Vorstellung!“, rufe ich dem strahlenden Christophe beim Auftauchen zu. Sein Gesicht wird plötzlich ernst, entschieden streicht er seine lange schwarze Mähne zurück. Oh nein, darum ginge es ja nicht, niemals. Schlecht und gut gebe es hier nicht. Jeder müsse seinen eigenen Rhythmus finden. Und immer weiter probieren. Ich begreife. Es geht hier um eine Lebenshaltung. Schließlich bezeichnete schon Profisurfer und Musiker Jack Johnson das Surfen als seine Religion und das Meer als seine Kirche.

Das Meer vor Biarritz ist dagegen eine Bühne, Darsteller sind Surfer und Wellen, die Zuschauer sitzen im Sand. Die Grande Plage, der etwa fünf Hektar große Strand vor dem Casino von Biarritz, hieß schon zu Victor Hugos Zeiten „die Küste der Verrückten“, obwohl es damals noch keine Surfbretter gab, aber mental Kranke, die hier in den 1850er Jahren ein Bad nahmen. Ihnen folgten Könige, Geldadlige, Prominente. Hundert Jahre später erfanden Surfpioniere hier „das Kalifornien Europas“, später kamen Massen und Betonbauten. Erst in den 1990er Jahren wurden über 800 Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Und nun behaupten sich die restaurierten Art-Déco-Gebäude ebenso elegant, experimentierfreudig und kraftvoll vor dem Atlantik wie die Surfer.

Die Sportler haben hier anscheinend Hausrecht, lassen Bretter und Rucksäcke wenige Zentimeter neben den Sonnenbadenden auf den Sand fallen. Menschen ohne Brett haben wenig zu melden, ihnen steht höchstens ein streng bewachtes Viertel des Meeres zu. Vor- und Nachsaison sind mit milden Temperaturen und höheren Wellen ideal. Die Anzahl der Touristen hat sich im Vergleich zum August gedrittelt, mit 30 000 entspricht sie der Anzahl der Einwohner. Man hört überwiegend Französisch, der Anteil der einheimischen Touristen beträgt etwa 80 Prozent.

Ein kurzer Spaziergang von der Kirche Sainte Eugenie auf dem Altstadtplateau hoch über dem Meer hinab zum Strand gießt das Treiben auf der Grande Plage in ein großes Panorama: die Surfanfänger am südlichen Ende, weiter nördlich die Könner, auf dem Sand vor allem Lesende und Schlafende, auf der Promenade vor dem Casino Strandschönheiten, Rucksacktouristen und betagte Charmeure.

Diese allürenfreie Koexistenz setzt sich abends in der Rue Mazagran fort. Bestückt mit zahlreichen Restaurants und Bars, die eine Nachtruhe in den vielen kleinen günstigen Hotels so gut wie ausschließen, schwingt sie sich einmal durch die hügelige Altstadt und öffnet sich am Ende wieder zum Meer. Dort liegt der winzige Strand Port-Vieux, eine Bucht wie ein Amphitheater, lange nach Sonnenuntergang ist die Arena noch gefüllt. In der Bar in den oberen Rängen trinken wir Paxtaran, den süßen baskischen Likör aus Anis, Pflaumen und Vanille, mit gestandenen Surfern.

Alon aus Jerusalem stand bereits heute Morgen um halb sieben Uhr auf dem Brett. Vor Bidart, drei Kilometer südlich von Biarritz, erwischte er ein paar gute Wellen, natürlich nicht so schöne wie vorletzte Woche auf Sri Lanka. Er schwärmt von der perfekten Dünung vor Tel Aviv im Dezember. Paul aus Quebec surft in der kommenden Woche schon wieder vor Cape Cod in Massachusetts.

Um für uns Anfänger den Rausch nach drei Surftagen auszudehnen, werden wir Filme wie „Blue Crush“ oder „Endless Summer“ ansehen, vielleicht noch auf den Wellen der Fähren vor Warnemünde üben und schnell wieder herkommen. Im Herbst tummeln sich hier die Vorbilder. Zwischen dem 23. und 31. Oktober treffen sich rund 300 französische Profisurfer zu den Championats de France de Surf. Und Christophe unterrichtet bis Anfang November.

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