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Der Januar ist puderfarben. Im Naturpark Westhavelland blicken Spaziergänger weit über die flache Landschaft. Damit die Besucher keine nassen Füße bekommen, wurden lange Holzstege gebaut.

© Stefan Berkholz

Brandenburg: Balzen kann so schön sein

Open-Air-Konzert im tiefen Winter: Bei Singschwänen und Nordischen Gänsen im Naturpark Westhavelland.

Wolsier ist ein winziger Weiler mit Fachwerkkirche rund 100 Kilometer westlich von Berlin. Kaum jemand verirrt sich hierhin. Schon gar nicht im Januar. Doch gleich hinter dem Dorf beginnt das Wunder. Weit schweift der Blick über die überschwemmten, teilweise gefrorenen Havelauen. In der Ferne verschwimmt der Horizont, irgendwo ragt ein Kirchturm auf. Das muss Parey sein, wieder so ein Flecken mit wenigen Häusern. Größere Orte gibt’s hier nicht.

Über Nacht hat sich eine dünne weiße Decke über die Wiesen gelegt. Die Landschaft ist im Winterschlaf. Doch still ist es nicht. „Gigigi“, „ang, ang“, „ga“, „go“ oder auch „kükükü“ ist zu hören. Ein vielstimmiges, seltsam berührendes Konzert. Die Singschwäne machen ihrem Namen alle Ehre. Doch wo verbergen sie sich? „Dort hinten könnten welche sein“, sagt Naturführer Martin Miethke, schaut durchs Fernglas und hat fünf, sechs Tiere im Flachwasser entdeckt. Mit bloßem Auge sind sie für Laien kaum auszumachen.

Miethke stellt ein Spektiv auf und mithilfe dieses Beobachtungsfernrohrs rücken die Tiere nah heran. Der gelbe Schnabel mit schwarzer Spitze, wie gemalt. Der lange Hals ist ganz gerade, nicht gekrümmt wie beim Höckerschwan, den wir aus den Berliner Gewässern kennen. Auch dessen typischer Knubbel am Schnalbeansatz fehlt. Einige dunkle Vögel drängeln sich zwischen den weißen Schönheiten, alle bis zum Bauch im Wasser. Sind das Enten? Miethke lächelt milde über die Ahnungslosigkeit der Großstädterin. „Das sind Gänse“, sagt der 54-Jährige freundlich. Gibt aber zu, dass sie tatsächlich „recht klein“ wirken neben den Schwänen, die bis zu anderthalb Meter groß werden können.

Rund vierhundert Singschwäne halten sich derzeit in den Havelauen auf. Tausende Flugkilometer haben sie hinter sich, aus ihren Brutgebieten in der osteuropäischen und sibirischen Taiga sind sie im späten Oktober hier eingetroffen. Nun warten sie den Winter ab und fliegen Ende Februar wieder weg.

Miethke kennt viele Stellen, an denen sich die Tiere aufhalten. „Das wechselt je nach Wetterlage“, erklärt er. Langsam fahren wir den schmalen Plattenweg entlang, der den Naturpark Westhavelland erschließt. „Dort hinten am Grenzgraben ist meist eine größere Gruppe“, sagt Miethke. Und richtig: Dutzende weiße, bewegliche Punkte sind zu sehen. Wir wollen näher ran und stapfen zum Aussichtsturm. Plötzlich liegt eine Art metallisches Sirren in der Luft und fünf, sechs große weiße Vögel überfliegen uns.

Wie majestätisch! „Das waren jetzt allerdings Höckerschwäne“, erklärt der Naturführer. „Bei Singschwänen hören Sie nicht einen Flügelschlag.“ Dafür können Singschwäne nicht mal in der Luft den Schnabel halten, während Höckerschwäne nahezu stumm sind. Unerklärliche Natur.

Die Störche kehren in ihre vor Jahren gemachte Nester zurück

Eleganter Start. Sind sie in der Luft, ist ihr Flügelschlag nahezu lautlos.
Eleganter Start. Sind sie in der Luft, ist ihr Flügelschlag nahezu lautlos.

© picture-alliance/dpa

Vom Aussichtsturm aus nehmen wir die „Sänger“ per Spektiv wieder ins Visier. Was ist denn da los? Einige der Schwäne recken den Hals und wippen mit den Köpfen auf und ab, andere plustern sich auf und schlagen mit den Flügeln. „Balzgehabe“, sagt Miethke. „Ein, zwei Tiere fangen damit an und die übrigen machen es gleich nach.“ Ein paar Minuten geht das so, dann hat die Angeberei ein Ende.

Mittags war der Himmel noch verhangen. Nun blitzt an einigen Stellen mattes Blau durch die Wolken, ein rosa Schimmer zeigt sich. Alle paar Minuten ziehen über uns Nordische Gänse hinweg. Ihre Formationen wechseln ständig. Mal bilden sie ein Dreieck, dann einen halben Bogen oder eine Zickzacklinie. Für den Langstreckenflug müsste mehr Ordnung her, aber bis März können sie ja noch üben.

Unten auf der Schneedecke sind Pfotenspuren zu sehen. „Vermutlich ein Mink“, sagt Miethke. Die Schwäne brauchen sich nicht vor ihm zu fürchten. Sie haben auch sonst keine Feinde im Naturpark. „Selbst ein Seeadler würde einen gesunden Schwan nicht angreifen“, sagt der Experte. Zu groß sei er und zu stark.

Bis Mitte, Ende Februar werden die Singschwäne wohl in den Havelauen bleiben. Dann ziehen die Wintergäste zurück in ihre Brutgebiete. Und machen Platz für Kraniche, die im Frühjahr, anders als im Herbst, nur kurz rasten und schnell weiterziehen. Die Störche werden zurückfinden und ihre vor Jahren gemachten Nester in den Dörfern beziehen. Auch jenes in Gülpe, das bizarr auf dem Giebel einer Brandwand thront. Nur in Prietzen wird wieder kein Adebar wohnen. Es ist das einzige Dorf im Umkreis, dass kein Storchennest hat.

Prietzen grenzt an den großen Gülper See. Auch dort steht ein Beobachtungsturm. „Zur Zeit gibt’s da aber nichts zu sehen“, sagt Miethke. Im Sommer indes hielten sich tausende Graugänse in dem Flachgewässer auf. Und im Herbst richten sich die Kraniche hier ihre Schlafplätze ein. Rund 9500 dieser Vögel waren es im bisherigen Rekordjahr 2006.

Seit sechs Jahren lebt Martin Miethke, geboren am Niederrhein, in Gülpe. Gemeinsam mit seiner Frau hat er sich in dem winzigen Dorf zwischen Havelberg und Rathenow ein verwaistes Gasthaus gekauft. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es dort nicht, doch auf Anfrage sind Gäste willkommen. „Wir haben uns in die Gegend verliebt“, sagt Miethke. Und weiß noch genau, wo er das gespürt hat: „Dort ,auf der Deichkrone.“ Wir klettern hinauf und sehen Wasser, Wiesen und ganz viel Himmel. Ein Reh springt eilig ins Bild, versinkt mit den Hinterläufen schon mal tief im Wasser. „Weiter hinten ist es trockener“, sagt Miethke und schaut dem Tier versonnen hinterher.

Der Wahl-Gülper, der sein Geld als Grafiker und Kartograf verdient, hat einen Lehrgang zum „Natur- und Landschaftsführer“ absolviert. Es war ein Angebot der Naturparkverwaltung. Eine gute Sache, denn vor allem Großstädter sind ja ohne Erklärungen ein bisschen verloren auf weiter Flur. Wer nur ins Träumen kommen will bei den Geräuschen in dieser Landschaft, schafft das jedoch auch ganz allein.

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