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Bremerhaven: Wo Besucher Wind machen

Das "Klimahaus-Museum" in Bremerhaven erklärt globale Phänomene – zum Ausprobieren.

Die schwierigste Frage für manche Theatergänger lautet: „Was soll ich bloß anziehen?“ Neuerdings gilt dies auch für Museumsbesucher – jedenfalls wenn sie das soeben eröffnete „Klimahaus Bremerhaven 8° Ost“ erkunden wollen. Denn da durchwandern sie die Antarktis bei minus sechs Grad und – wenig später – eine 35 Grad heiße Wüste.

Schon das Gebäude allein ist ungewöhnlich: Es sieht aus wie ein riesiges Schlauchboot. „Am Längengrad 8“ lautet die Anschrift, und damit ist alles gesagt: Die weltweit angeblich einzigartige Wissens- und Erlebniswelt entführt die erhofften 600 000 Besucher pro Jahr auf eine Weltreise: zunächst gen Süden ungefähr auf dem 8. östlichen Längengrad und dann wieder nordwärts auf der anderen Erdhälfte, auf dem 172. westlichen Längengrad. Neun Stationen zeigen dabei, wie das Klima das Leben beeinflusst und was der Klimawandel anrichten kann. Das alles geschieht nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durchaus unterhaltsam.

Der verwinkelte 1,2-Kilometer-Rundgang führt zuerst ins „Schweizer Isenthal“. Aus dem Beton- und Gipsgebirge ragen zwei lebensgroße, fast echt anmutende Kuh-Hinterteile heraus. Einmal die Zitzen anfassen – schon strullt Milch, nein, Wasser in einen Eimer, und eine Stimme raunt: „Na, geht doch!“ Videofilme zeigen, wie schmelzende Gletscher die Lebenswelt einer real existierenden Bauernfamilie bedrohen.

Weiter geht’s mit einer imitierten Seilbahnfahrt und einem Video-Flug nach „Sardinien“. Zwischen riesigen Kunststoff-Grashalmen fühlt man sich dort klein wie ein Insekt. Mitten auf der Wiese: eine begehbare verbeulte Getränkedose. Sie dient zugleich als Wetterstation: An Computern lässt sich simulieren, wie das Wetter in Sardinien wird, wenn man weit entfernt die Luftfeuchtigkeit und woanders die Windgeschwindigkeit ändert. Kleiner Anlass – große Wirkung. Wer die passenden Einstellungen findet, kann es sogar real regnen lassen: Im Nebenraum wird dann ein echter Fiat 500 nass.

So geht es weiter rund um die Welt. Hier ein ausgetrockneter See und ein Wüstenabschnitt aus dem Niger; dort ein Fluss mit begehbarer Hängebrücke und ein von Abholzung bedrohter Regenwald samt Tiergeschrei wie in Kamerun, allerdings nur mit Plastikpflanzen.

Auf halber Strecke endlich Verschnaufpause im Bistro, das mitten im Meer zu liegen scheint. Eine Treppe höher ein Abstecher in die Kältekammer. Brrr, schnell raus aus der Antarktis! Über eine Wendeltreppe hinauf in den Sternenhimmel und wieder hinab nach „Samoa“. Südseebewohner haben im Klimahaus zwei Hütten nachgebaut. Ziemlich heiß hier. Kühler wird es im Gang mit den Aquarien, die ein Saumriff mit echten Korallen zeigen.

Ein Tunnel mit Meeresrauschen führt nach „Alaska“. Die Yupik-Ureinwohner schleuderten sich einst gegenseitig mit Tüchern in die Luft, um Jagdbeute zu erspähen. Im Klimahaus tut es ein Trampolin.Vor der Rückkehr nach Bremerhaven landen die Reisenden noch auf der Nordsee-Hallig Langeneß. Wer mag, kann sich von der steigenden Flut umspülen lassen. Bitte zusammenrücken, sonst gibt’s nasse Füße. Um die Reisestationen möglichst authentisch darstellen zu können, sind die Gestalter mehrfach durch die Welt gereist. Ein Dokumentarfilmer hat die Gespräche mit den Einheimischen festgehalten.

Neben der Reise um den Globus bietet das Klimahaus noch drei andere Ausstellungsbereiche. In der Abteilung „Elemente“ erfährt man einiges über Feuer, Erde, Wasser und Luft. Per Video erklärt eine Platt sprechende ältere Frau anhand von Marmorkuchen-Scheiben, was „Plattentektonik“ ist. Und man kann selber experimentieren, etwa mit Vakuumpumpe oder Windgenerator.

Dann die „Perspektiven“: Hier wird vorgeführt, wie sich der Klimawandel bis 2050 auf das Leben derjenigen Menschen auswirken könnte, die man auf der Weltreise per Video kennengelernt hat. Und schließlich die Abteilung „Chancen“: Zum Beispiel mit einem Fahrsimulator können die Besucher erfahren, wie sich der Kohlendioxid-Ausstoß auch individuell beeinflussen lässt.

Das Klimahaus arbeitet mit einem „umweltschonenden Energiekonzept“ und soll „ein Pilgerort werden für alle am Klima Interessierten“, sagt Carlo Petri, einer der beiden Betreiber, zugleich Chef des erfolgreichen Bremer Wissenschaftsmuseums „Universum“. Er und ein Kompagnon tragen das Betreiberrisiko, während das 100 Millionen Euro teure Bauwerk von den Steuerzahlern finanziert wurde.

Mit dem Klimahaus vollendet die Arbeitslosenhochburg Bremerhaven ihr ambitioniertes Tourismusprojekt „Havenwelten“: Nach dem traditionsreichen Deutschen Schifffahrtsmuseum und dem „Zoo am Meer“ wurden zuletzt das Deutsche Auswandererhaus, ein segelförmiges Hotelhochhaus und ein mediterran anmutendes Einkaufszentrum eröffnet – hier ein Hauch Dubai, dort eine Prise Mittelmeerflair. Dumm nur: Die Baukosten des Ensembles stiegen so stark, dass sich demnächst wohl ein Untersuchungsausschuss damit befassen wird.

Aber was zieht man denn nun an fürs Klimahaus? Die Antarktis ist schnell durchquert, weil wenig attraktiv dargestellt. Deshalb doch lieber nur ein T-Shirt für die heißen Klimazonen.

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