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Reise: Brote aus Eis

Früher wurde Schnee auf Mallorca gesammelt. Die Häuser existieren noch.

In der Nacht ist Schnee gefallen. Der Puig d’en Galileu im Tramuntana-Gebirge ist weiß. Die Brüder Xisco und Joan, elf und zwölf Jahre alt, wohnen im zehn Kilometer entfernt gelegenen Bergdorf Caïmari. Heute ist ihr Tag! Sie werden in die Berge steigen, dort Schnee sammeln und Geld verdienen. Während die Familie noch am Feuer sitzt, ziehen die Jungen los. Gemeinsam mit Gleichaltrigen und einem Erwachsenen, der die Gruppe führt, steigen sie den Berg hinauf bis zum „Casa de neu“, dem Schneehaus, und verstauen ihren Proviant: Sardinen und ein bisschen Fleisch. Zwei, drei Wochen werden sie nun hier oben leben und arbeiten.

So ähnlich muss es gewesen sein bei den „Nevaters“, den Schneemännern Mallorcas, erinnert sich Pep Estelrich, Pfarrer im Ruhestand. Er ging noch mit den letzten dieser Zunft auf Bergtour, als sie längst erwachsen waren. In den Bergen der Tramuntana, im Nordwesten Mallorcas, befinden sich immer noch rund 44 Schneehäuser, einige mehr, andere weniger gut erhalten. Das Schneehaus am Puig d’en Galileu wird zurzeit vom mallorquinischen Umweltministerium renoviert. Auch der Weg hinauf, heute ein offizieller Rundwanderweg, ist – wie einst – wieder mit Natursteinen gepflastert.

Pep Estelrich fühlt sich nicht mehr kräftig genug, um den Aufstieg zum Puig d’en Galileu zu wagen. Aber sein Bekannter Lorenzo Pasqual, der ein kleines Landhotel betreibt, ist heute mit seinen Gästen unterwegs. Die Wanderung ist anstrengend, obwohl sie erst am Kloster Lluc, dem religiösen Zentrum Mallorcas, beginnt, nur zweieinhalb Stunden dauert und keine sechs oder sieben wie bei den Schneemännern aus Caïmari, die obendrein noch Werkzeug mit sich trugen. Doch die mühevolle Tour auf den 1181 Meter hohen Gipfel entlohnt mit herrlichem Meerblick. Da ist zu verschmerzen, dass oben ein frostiger Wind weht.

Das Schneehaus befindet sich etwas unterhalb, auf einer Ebene. Hier lässt sich leichter Schnee sammeln und transportieren als am Hang. Die Grundmauern und eine Wand, die das Haus teilte, stehen wieder. Von dem Kamin, den es hier gegeben haben soll, fehlt aber jede Spur. Der größere Teil des Hauses diente den Schneemännern als Schlafplatz, und im kleineren wurden die Maulesel untergebracht.

Im Abstand von einigen Metern zum Wohnhaus der Schneemänner geht es plötzlich steil hinunter, in eine riesige, fünf Meter tiefe Grube. Eine Mauer aus Natursteinen stützt die Wände. Dort unten lagerten die Nevaters den Schnee. Hatten sie eine Schicht aufgeschaufelt, legten sie Carritx, das Gras, das hier oben auch im Winter wächst und sehr dicke Halme hat, darauf und stampften das Ganze platt.

Die Grube fasste rund 85 Tonnen Schnee. Die starke Last drückte den Schnee zusammen, bis er zu Eis gefror. Das Eis war in der Grube gut isoliert, es hielt sich bis zum Hochsommer. Im Frühjahr bereits aber kamen erwachsene Arbeiter, schnitten das Eis in sogenannte Schneebrote, „pans de neu“, und transportierten es auf Mauleseln den schmalen Weg hinunter. In Caïmari wurde das Eis auf eine Kutsche geladen und nach Palma gebracht, bis zu den Eisdielen, in denen auch der österreichische Erzherzog Ludwig Salvator gern zu Gast war. In seinem Buch „Die Balearen in Wort und Bild“ schrieb er, dass die Menschen im Sommer gern in den Cafés „Gefrorenes“, Süßspeisen aus Mandeln, Milch und dem Eis der „Schneehütten“, aßen.

Ein Pfund Eis kostete damals bis zu einem halben Tageslohn. Trotzdem leisteten es sich auch arme Leute, um eine fiebernde Stirn zu kühlen und Verbrennungen zu lindern. Das Eis war begehrt.

Mehr als drei Jahrhunderte blühte das Geschäft mit dem Schnee. Besitzer der Fincas in den Bergen waren sogar per Gesetz dazu verpflichtet, den Schnee sammeln und lagern zu lassen, bis im Jahre 1927 die Zeit der Schneemänner endete: Eine Maschine, die Eis produzierte, ging in Palma de Mallorca in Betrieb.

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