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Üppiger geht’s kaum. Flammenbäume sind die Stars der Insel. Beschaulichkeit rundherum. Paquetá ist autofrei.

© Ulrike Wiebrecht

Bucht von Rio: Kein Platz für Cabrios

Paquetá ist ein liebliches Inselchen vor Rio. Die Reichen und Schönen meiden es: nicht schick genug.

Es sieht aus wie eine retuschierte Postkarte. Der feuerrote Flammenbaum vor der rosafarbenen Villa, ein an die Mauer gelehntes Fahrrad, davor eine himmelblaue Pferdekutsche. Fast zu kitschig, um wahr zu sein. Aber so ist Paquetá. Irreal. Und altmodisch. Nur eine gute Stunde trennt die Insel vom Festland. Aber wer in Rio die Fähre besteigt, reist in eine andere Zeit. „Sie fährt von der schönsten Großstadt der Welt zu einer ihrer lieblichsten Inseln, und sie kreuzt während der Fahrt die Bucht von Guanabara, die bergumkränzt und inseldurchsprenkelt nicht ihresgleichen hat“, schwärmte Richard Katz vor mehr als 60 Jahren. Vieles, was der Exilant in seinem „Inselbuch“ beschreibt, sieht heute noch genauso aus. Nur, dass uns statt der liebenswerten alten „Quinta“ die „Ipanema“ nach Paquetá übersetzt.

In Rios Zentrum, nahe dem Platz des 15. November, haben wir die Fähre bestiegen. Allmählich rücken die Hochhäuser der Metropole, die glitzernden Fassaden und engen Straßenschluchten voll lauter, stinkender Busse in immer weitere Ferne. Noch einmal grüßt die Christusfigur – dann ist der Moloch vergessen. Neben uns an Bord sitzen Schulkinder, Hausfrauen mit Einkaufstaschen, Männer, die in Rio irgendetwas erledigt haben. Dazu die ambulanten Händler, die den Passagieren eisgekühlten Matetee, Erdnüsse oder Sandwiches anbieten. Man kennt sich, grüßt, plaudert ein bisschen und schaut wieder in die Zeitung oder aufs Smartphone. Nach rund 70 Minunten taucht der kleine Hafen auf: ein paar Häuser im Kolonialstil, grüne Hügel, dazwischen blitzt eine weiße Kapelle auf. Ein Bilderbuch? Nein, lediglich eine Insel, die sich standhaft weigert, in den Strudel der Metropole zu geraten.

„Sorvete, agua, cerveja“ – ambulante Händler auch hier, kaum, dass wir einen Fuß auf das autofreie Eiland gesetzt haben. Während die einen mit Kuchentabletts und Kühlboxen voller Bierdosen, Wasserflaschen und Eis jonglieren, drücken uns andere Werbezettel von irgendwelchen Lokalen in die Hand. Fahrräder, Rikschas und Kutschen drängen sich am Kai, eilig werden Getränkekisten ausgeladen, Koffer und sperrige Gepäckstücke auf Karren gehievt. Ungepflasterte Straßen, rechts und links kleine Villen, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben, aus verwunschenen Gärten recken Palmen ihre Kronen.

Fontes, Machado, Bosco – sie alle haben die Insel besungen

Kaum mehr als ein Quadratkilometer ist die Insel groß und wäre schnell umrundet, gäbe es unterwegs nicht immer neue Blickfänge. Mangobäume und riesige Weihnachtssterne säumen die Wege, am Strand liegen Fischerboote, aus dem Wasser ragen rund gewaschene Felsbrocken, als hätte das Meer archaische Dickhäuter ausgespuckt. Alles sehr fotogen, wie arrangiert für einen Werbespot. Nur dass hier keine Bikini-Schönheiten mit Modelmaßen flanieren. Vielmehr tragen die Insulaner eher verwaschene T-Shirts und Flipflops, manche auch einen Schirm zum Schutz gegen die pralle Sonne.

Von der Praia dos Tamoios, benannt nach den Ureinwohnern des Eilands, geht es zum Moreninha-Strand. An seinem Ende steht die Pedra da Moreninha, der größte Felsblock, der sogar bestiegen werden kann. Oben angekommen, verliert sich der Blick in der weiten Bucht. Weit hinten zeichnen sich die Finger des Orgelgebirges ab. Aber nicht nur deshalb hat uns Bruno hierhergeführt. „Seinen Namen hat der Stein von einem Roman Joaquim Manuels de Macedo“, erklärt er. Der Stoff von „A Moreninha“, was in etwa „kleine Brünette“ heißt, ist nicht sonderlich originell – ein paar junge Männer wetten, dass sich einer von ihnen binnen eines Monats auf der Insel in ein Mädchen verliebt und heiratet. Doch gilt das Werk als erster brasilianischer Roman der Romantik. 1844 veröffentlicht, hat er nicht nur eine neue Epoche eingeleitet, sondern auch Paquetá mit einem Mal berühmt gemacht.

Seitdem sind immer wieder Schriftsteller und Dichter hierhergekommen. Hermes Fontes, Gilka Machado, João Bosco – sie alle haben die Insel in unzähligen Versen besungen. Auch die Malerin Lia Mittarakis, eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Naiven Kunst, ließ sich von ihrer Schönheit inspirieren. Jede zweite Straße ist nach irgendeinem Kreativen benannt. Viele Künstler waren im Haus von Ormy Toledo zu Gast, das unweit der Pedra da Moreninha steht.

Die Reichen und Schönen meiden Paquetá

Das Anwesen mitsamt chinesischer Pagode war so etwas wie ein Musenhof, auf dem die kunstliebende Frau vor vielen Jahrzehnten Musiker, Komponisten, Literaten, Politiker, sozusagen die intellektuelle Crème von Rio, versammelte. Heute knüpft die Casa de Artes an deren Erbe an. Ausstellungen, Konzerte, Filmvorführungen finden in der restaurierten Villa statt. Beim Näherkommen dringen melancholische Chorinho-Klänge aus dem Garten. Unter den Bäumen spielen Gitarristen und ein Saxofonist Melodien aus früheren Zeiten, während sich die Zuhörer Moqueca de peixe (Fischeintopf mit Krabben) schmecken lassen. Dazu noch eine Caipirinha, und der Sonntag ist perfekt.

Verständlich, dass Richard Katz in seinem Buch von Paquetá als dem „Vergnügungsventil Rios“ spricht. Wer ein paar Tage das Pflaster der Großstadt getreten, sich in Lapa ins Nachtleben gestürzt hat, ist reif für die Insel. Reif für Paquetá, das noch immer selig im Dornröschenschlaf schlummert. Im Grunde ist es kaum zu glauben: Da hat die Millionenmetropole direkt vor ihrer Haustür eine Bilderbuchinsel liegen, mit goldgelben Sandstränden, üppiger Vegetation und genau der richtigen Portion Kultur – und überlässt sie einfach sich selbst.

Anderswo hätten längst gierige Investoren von ihr Besitz ergriffen, schicke Hotels errichtet, Chill- out-Lounges und Clubs eröffnet. Boutiquen mit originellen Bademoden? Lifestyle-Tempel? Fehlanzeige. Die Reichen und Schönen meiden Paquetá. Mit abgenutzten Tretbooten in Form von Riesenenten und ein paar Getränkeständen lässt sich schließlich kein mondänes Strandleben inszenieren. Größtes Handicap jedoch: das Wasser. Noch immer gelangen Rückstände von Rios Hafen und nahen Bohrinseln in die Guanabara- Bucht. Ein Skandal, immer wieder angeprangert. Seit langem versprechen die Verantwortlichen, die Bucht zu sanieren. Doch dann stand erst mal die Copa, die Fußballweltmeisterschaft, auf dem Programm …

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