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Reise: Caroline allein in Celle

Verbannt an den Rand der Lüneburger Heide: Drama um die einstige dänische Königin kommt jetzt in die Kinos.

Ob schon die Königin die Enten im Französischen Garten gefüttert hat? Wenn man sich dem kreisrunden Teich im Südwesten des langgestreckten Parks nur nähert, kommen sie schon angeschnattert. Das dürfte im 18. Jahrhundert nicht anders gewesen sein. Der Teich samt dem dort für Caroline Mathilde gebauten „Lusthäuschen“ gehörte zu ihren Lieblingsorten in Celle. Aber schickte sich das Entenfüttern damals für eine dänische Monarchin, zumal wenn sie wegen erwiesenen Ehebruchs geschieden, ihr Geliebter hingerichtet und sie selbst in die ehemalige Residenzstadt am Rande der Lüneburger Heide verbannt worden war?

Traurige Schicksale schöner Frauen von edlem Geblüt haben die Herzen der Menschen und damit der Touristen seit jeher bewegt und zum Besuch der jeweiligen Erinnerungsstätten beflügelt. London hat die nach ihrem Unfalltod vielbeweinte Lady Di, Wien die Sissi, Celle hat Caroline Mathilde. Nicht mal drei Jahre waren ihr dort vergönnt, bis sie am 10. Mai 1775 im Alter von nur 23 Jahren starb, wahrscheinlich an Scharlach. In der Erinnerung der Stadt jedoch ist sie präsent geblieben, durch Orte, wo sie wohnte oder sich gern aufhielt, allen voran das Celler Schloss, durch ihr Grab in der Stadtkirche, durch Denkmäler und Ausstellungen.

Die Neugier auf den royalen Skandal dürfte noch steigen: Am 19. April kommt der Film „Die Königin und der Leibarzt“ in die Kinos, der im Februar auf der Berlinale zwei Silberne Bären (Bester Darsteller, Bestes Drehbuch) erhielt. Er schildert das Kopenhagener Drama um König Christian VII., Caroline Mathilde und ihren geliebten Leibarzt Johann Friedrich Struensee, der seine Rolle allzu wörtlich genommen hatte. Einige Szenen spielen in Celle, gedreht wurde hier allerdings nicht.

In Deutschland ist die ebenso pikante wie blutige Affäre trotz einiger Bücher und eines Spielfilms von 1957 mit O. W. Fischer weitgehend unbekannt, in Dänemark hingegen Schulstoff. Sie beginnt 1766 als Eheallianz zweier europäischer Höfe: Christian VII., König von Dänemark und Norwegen, heiratet Caroline Mathilde, jüngste Schwester des britischen Königs Georg III. Er ist an ihr nur wenig interessiert, zieht sich nach der Zeugung eines Thronfolgers zurück – ein psychisch labiler Mann mit Anzeichen einer beginnenden Geisteskrankheit. Erst unter dem Einfluss Struensees bessert sich sein Zustand. Der den Gedanken der Aufklärung zugeneigte Mediziner begleitet Christian auf einer längeren Reise und wird Anfang 1769 sein Leibarzt. Auch die Königin vertraut sich ihm bald an. Die Liebesbeziehung zwischen beiden beginnt Ende desselben Jahres.

Gut möglich, dass Christian etwas ahnt, Anstoß an der Affäre nimmt er jedenfalls nicht. Struensee steigt rasch auf, wird mächtigster Mann im Staat. Mit Unterstützung des Königs startet er ein gigantisches Reformprogramm. Bald aber regt sich Widerstand, beim Adel, der um seine Pfründe fürchtet, wie beim Volk, das gegen den Deutschen, der den König stürzen wolle, aufgestachelt wird. In der Nacht auf den 17. Januar 1772 kommt es zum Sturz Struensees, den Haftbefehl hat der eingeschüchterte Christian unterzeichnet. Nach einem Scheinprozess werden der gescheiterte Aufklärer und ein Vertrauter am 28. April 1772 in Kopenhagen wegen Majestätsbeleidigung geköpft, die Reformen rückgängig gemacht.

Auch gegen Caroline Mathilde wird prozessiert, ihre Ehe geschieden. Schlimmeres verhindert ihr Bruder Georg III., der sogar mit seiner Flotte droht. Er ist zugleich Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, in einer Personalunion, der sich die hannoverschen Welfen seit 1714 erfreuen, und entscheidet, dass die dänische Königin – den Titel hat man ihr gelassen – in seinem Herrschaftsgebiet, in Celle leben soll. Am 20. Oktober 1772, gegen 5 Uhr nachmittags, trifft sie ein, vom Volk umjubelt. Man glaubt hier an ihre Unschuld, erhofft sich viel für die Stadt, die mit dem Tod des letzten Herzogs zu Braunschweig-Lüneburg 1705 ihre Residenzrolle verloren hat. Im Schloss wird sie festlich empfangen, unternimmt danach eine Rundfahrt durch die Stadt, wie in einer alten Schrift vermerkt ist: „Nach 7 Uhr waren alle Straßen erleuchtet, und gegen 8 Uhr geruhten Ihre Majestät in einer prächtigen Staatskutsche die Illumination aller Orten zu besehen.“

Dank kurzer Distanzen erobert man die Celler Altstadt heutzutage am besten zu Fuß. Es ist, trotz aller Modernismen, wie ein Eintauchen in frühere Jahrhunderte. Ja, selbst ein Mitte der sechziger Jahre in die Fachwerkpracht hineingeklotztes Karstadt-Haus im Alulook stört nur kurz die Fantasie, verhindert nicht die Imagination, wie Celle auf Caroline Mathilde wohl gewirkt haben muss. Zwar erinnern heute kaum mehr als ein paar Straßennamen an die alten Befestigungsanlagen, während damals Altstadt und Schloss noch von Erdwällen und breiten Wassergräben umgeben und sogar durch ein Tor voneinander getrennt waren. Aber der historische Grundriss ist erhalten, ebenso das Stadtbild mit hunderten, Giebel an Giebel aufgereihten Fachwerkhäusern, die bis ins späte 15. Jahrhundert zurückreichen, bunt bemalt und oft prächtig verziert, allen voran das sechsgeschossige Hoppener-Haus von 1532.

Das Alte Rathaus mit gotischen Gewölben aus der Zeit der Stadtgründung um 1292 und einem Nordgiebel im Stil der Weserrenaissance hat sogar an zwei Fassadenseiten seine illusionistische, unter vielen Farbschichten verborgene Trompel’œil-Malerei des 17. Jahrhunderts zurückerhalten. Geblieben ist auch die Stadtkirche St. Marien mit ihrem die Stadtsilhouette prägenden, allerdings erst 1913 angefügten Turm. Die Fürstengruft kann besichtigt werden, Caroline Mathilde war die letzte Tote, die dort begraben wurde.

Allerdings: Einen Stadtspaziergang auf den Spuren Caroline Mathildes sollte man vielleicht nicht gerade in der Gruft beginnen, eher empfiehlt sich der Französische Garten. Sein Name erinnert an zwei aus Frankreich stammende Gartenarchitekten, darunter den Hugenotten René Dahuron, der nach Abschluss der Arbeiten um 1700 als Hofgärtner nach Berlin ging.

Mit Caroline Mathildes Ankunft in Celle wurde der Garten im englischen Stil umgewandelt, der Teich, heute mit stattlicher Fontäne, erhielt die runde Form und an seinem Ufer Caroline Mathildes Lusthäuschen, das ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod wieder abgerissen wurde. Dafür gibt es seit 1784 am entgegengesetzten Ende des Parks ein Marmordenkmal, das an die Königin erinnert, von der Ritterschaft und den Landständen des Fürstentums Lüneburg Georg III. vorgeschlagen und von ihm genehmigt.

Ein kleineres Denkmal, wiederum mit Urne, steht am Palais im Prinzengarten, nordöstlich der Altstadt und damit jenseits der Aller gelegen. Prinz Ernst von Mecklenburg-Strelitz, Schwager und Gouverneur Georgs III., hatte sich das heute vom Deutschen Stickmuster-Museum genutzte Palais als Landsitz bauen lassen. Caroline Mathilde war oft zu Gast.

Aber am nächsten kommt man ihr doch im Celler Schloss, einem vierflügeligen Prachtbau, an dem sich Baustile quer durch die Jahrhunderte studieren lassen: Mittelalter, Weserrenaissance, Barock – alles da. Für den Aufenthalt seiner Schwester hatte Georg III. das Schloss, das seit 1705 verwaist war, aufwendig wiederherstellen und neu möblieren lassen, als standesgemäßen Rahmen für einen Hofstaat mit 45 Bediensteten. Caroline Mathilde residierte im zweiten Obergeschoss des Ostflügels mit Blick auf die Altstadt, hatte dort eine Flucht aus Vorzimmer, Audienz- und Speisesaal, Wohn- und Schlafgemach zur Verfügung.

Als Teil des Residenzmuseum, zu dem im Nordflügel prächtige barocke Staatsgemächer aus dem 17. Jahrhundert gehören, ist das ehemalige Audienzzimmer der Königin heute allein ihr gewidmet. Von der alten Ausstattung ist wenig erhalten, doch gibt es zahlreiche originale Objekte, ein Kleid, Gemälde des dänischen Hofmalers Jens Juel von Caroline Mathilde, Christian VII., Struensee und ihren beiden Kindern, die sie in Kopenhagen zurücklassen musste. Zu sehen sind weiter Bilder von ihrer Hochzeit, Grafiken, Bücher, auch Flugschriften, in denen gegen Struensee und sie selbst gehetzt wurde.

Persönliche Aufzeichnungen über ihre Celler Zeit sind nicht überliefert. Man muss sich auf Zeitzeugen verlassen, etwa den berühmten Göttinger Schriftsteller, Mathematiker und Physiker Georg Christoph Lichtenberg, der 1773 durch Celle kam – ein unbestechlicher Beobachter, wovon schon seine wenig schmeichelhafte Beschreibung Caroline Mathildes zeugt: „Die Königin ist nicht sehr groß, dabey recht, was man ausgestopft nennt, alles ist dick.“ Zwar sei ihre Miene „nicht gantz frey, und aus ihren Augen leuchtet, zumal sobald sie aufhört zu lächeln, etwas trotziges bey vielem Feuer hervor“. Aber sie „scheint da sehr vergnügt und ist außerordentlich beliebt“. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

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