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Die Schiffsglocke muss nicht geschlagen werden, wenn das Eisfeld von El Brujo (der Hexer) in Chile zu bestaunen ist.

© Franz Neumeier

Chile-Kreuzfahrt: Albatrosse fürchten sich nicht

Das sagenumwobene Kap Hoorn entpuppt sich als unscheinbarer Felszipfel. Doch eine Schiffsreise dorthin hat’s in sich.

Es ist nur ein schroffer, einsamer Felsen in der stürmischen See. Ein kleines Haus mit Kapelle, Leuchtturm, Fahnenmast, die stählerne Silhouette eines Albatros’ als Denkmal. Und doch hat die Landspitze auf der chilenischen Felseninsel Isla Hornos einen Namen wie Donnerhall: Kap Hoorn. Etwas nördlich davon liegt ein Stück Festland, das die Argentinier „Fin del mundo“ nennen – das Ende der Welt. Die „Veendam“ taumelt und bebt. Kurze, scharfe Wellen schlagen gegen den Rumpf. Die notorischen Westwinde – südlich des 50. -Breitengrads aus gutem Grund „Furious Fifties“ genannt – peitschen gegen die Bordwand und blasen selbst hoch oben auf Deck 12 noch Schwaden von Gischt in die Gesichter der wenigen Passagiere, die nicht hinter Panoramafenstern in der wohlig-warmen Aussichtslounge sitzen.

Morgens um sechs, kurz bevor das Schiff Kap Hoorn erreicht, legt die Sonne einen geradezu mystischen Auftritt hin. Jeder Sonnenstrahl zeichnet sich zwischen den Lücken der düsteren Wolken in der salzig-dunstigen Luft einzeln ab. Das unruhige Meer glitzert im Sonnenaufgang wie Millionen kleiner Kristalle. Die Farbstimmung weckt Erinnerungen an die Musik von Wagners Götterdämmerung, von Mahlers Alpensymphonie.

Albatrosse und Riesensturmvögel umkreisen das Schiff, gleiten majestätisch und scheinbar mühelos durch den eisigen, stürmischen Wind. Ihre Flügelspitzen kommen den Wellenkämmen oft so nahe, dass sie beinahe das Wasser berühren.

Die 1350 Passagiere der „Veendam“ sind am Höhepunkt ihrer Seereise rund um die Südspitze Südamerikas angekommen. Zu einer großen Entdeckertour ist das Schiff der Holland America Line eine Woche zuvor im chilenischen Valparaiso mit Ziel Buenos Aires aufgebrochen. Wo die Anden direkt ins Meer abfallen, steil und schroff, drängen sich in Valparaiso Tausende bunter Häuser an den Hängen. Die Stadt ist durchzogen von abenteuerlich steilen Straßen. Zahlreiche Standseilbahnen verbinden die oberen und unteren Stadtteile.

Doch kaum hat das Schiff die geschäftige Millionenstadt hinter sich gelassen, versetzt es eine sanfte, langgezogene Dünung in angenehm gleichmäßiges Schaukeln. Ein Buckelwal zieht gemächlich vorbei, fast wie ein Symbol für das, was kommt. Denn ab jetzt liegen die großen Städte weit weg an Land, im Norden. Die kommenden zwölf Tage stehen ganz im Zeichen von Wind und Wellen, von dichtem, kühlen Regenwald, von engen Fjorden zwischen steil aufragenden Felsen und eisig schimmernden Gletschern.

Wieder etwas Unerwartetes erlebt

„Veendam“, 2009 aufwendig modernisiert.
„Veendam“, 2009 aufwendig modernisiert.

© Franz Neumeier

Auf den Spuren berühmter und wagemutiger Entdecker wie Ferdinand Magellan im 16. Jahrhundert und – 300 Jahre später – Charles Darwin reisen Kreuzfahrtpassagiere in diesem abgeschiedenen Teil der Welt heute dank moderner Technik weitgehend gefahrlos. Zudem sind sie von Luxus umgeben. Die Navigation in diesen Gewässern zählt jedoch zu den anspruchsvollsten der Welt, wie man spätestens in der engen Passage des Smyth Channel etwas nördlich der Magellan-Straße hautnah spürt. Gespenstisch liegt da auf einem Felsen halb versunken das rostige Wrack der „Santa Leonor“ wie ein Mahnmal, ihr Heck bizarr gen Himmel gereckt. Das kombinierte Fracht- und Passagierschiff der Grace Line war 1968 auf der gleichen Route wie die „Veendam“ – von Buenos Aires nach Valparaiso – auf Grund gelaufen und gesunken. Immerhin blieben alle 57 Menschen an Bord am Leben.

Nach einem Tag sanften Schaukelns auf dem Pazifik tut es gut, den Fuß wieder auf festen Boden zu setzen. In Puerto Montt, einem kleinen Ort im südlichen Chile, zeigt uns ein Koch die Kniffe der lokalen Küche. Gemeinsam mit ihm kaufen wir ein auf dem Markt und hantieren dann nach Anweisung mit Pfannen und Töpfen. Schon vor dem Einsteigen in den kleinen Ausflugsbus wartet eine Überraschung: Reiseleiterin und Koch unterhalten sich in akzentfreiem Deutsch. Sie ist Nachfahrin deutscher Einwanderer, er ist Deutscher und vor vielen Jahren der Liebe wegen nach Chile gekommen und geblieben. Zehn Prozent der Bevölkerung in dieser Region sprechen Deutsch. Fährt man durch die kleinen Ortschaften, sind die Häuser deutschstämmiger Familien auf den ersten Blick zu erkennen: liebevoll gepflegte, bunt blühende Vorgärten, Jägerzaun, Geranien an der Balkonbrüstung.

Um noch etwas Gemüse zu kaufen, halten wir auf dem Weg zum Restaurant am Bio-Bauernhof von Señora Juanita: freilaufende Hühner, ein paar Kühe im Stall, ein großer Blumen- und Gemüsegarten, eine Streuobstwiese, ein prächtig blühender Oleanderbusch und Spitzenvorhänge an den Fenstern.

Im Restaurant des Kochs schließlich verarbeiten wir Seetang und Kingclip (ein aalartiger Bodenfisch), würzen mit geräucherten Muscheln und Chili, pochieren mit Apfelcidre und lernen, dass in Chile mehr als 150 verschiedene Kartoffelsorten angebaut werden.

Wer auf diese Reise geht, erwartet zunächst atemberaubende Natur, Abgeschiedenheit, Wind und Wellen. Deshalb nimmt er den langen Flug bis fast ans Ende der Welt auf sich. Doch völlig unvorbereitet trifft und berührt ihn die Freundlichkeit der Menschen in Patagonien. Beinahe schon irreal wirkt es, wenn Autofahrer ganz selbstverständlich am Zebrastreifen anhalten, Souvenirhändler die Touristen bei der Umrechnung von Pesos in Dollar nicht übers Ohr hauen und selbst die Tänzer bei der unvermeidlichen Folklore- Show wirkliche Begeisterung und Esprit ausstrahlen. Die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen, die sich ehrlich über den Besuch der Kreuzfahrttouristen in „ihrem Patagonien“ freuen, berührt sogar die Seele von Reisenden, die schon alles erlebt haben…

Franz Neumeier

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