zum Hauptinhalt
Alles Handarbeit. Einzig ein ruhig geführter Pinsel garantiert absolute Präzision. Porzellanmalerin in einer Manufaktur von Jingdezhen

© Katrin Schumann, picture-alliance

Chinesisches Porzellan: Schönes ist zerbrechlich

Jingdezhen, im Norden Chinas, ist die Hauptstadt des Porzellans. Touristen aus dem ganzen Land kommen, um das Hutian Ancient Folk Kiln Museum zu besichtigen. Nur Langnasen verirren sich selten dorthin.

Lin ist einer von etwa 100 Angestellten, die im Hutian Ancient Folk Kiln Museum unmittelbar vor den Toren der Stadt Jingdezhen arbeiten – ein schlaksiger Teenager, gerade 15 Jahre alt. Aber er wirkt routiniert und flink an der Drehscheibe. Er sitzt auf einem schmalen Brett knapp über dem erdigen Fußboden und bringt das Material in jene Form, die später drüben im Laden als feines Porzellan mit klassischen Formen und Mustern verkauft wird.

Von den Töpfern geht es weiter zu den Malern, von Lin zu Sheng, einem der ältesten hier – und einem der berühmtesten. Sheng ist 83, ein dünner, grauhaariger Mann mit faltigem Gesicht, aber mit sicherer Hand. An seinem spartanischen Arbeitsplatz hängt seine kurze Biografie, so wie bei allen anderen Malern in dieser Manufaktur. Danach ist Sheng 1930 geboren, begann schon mit elf Jahren als Porzellanmaler und gestaltet heute rund 200 Schalen pro Monat. Faszinierend, wie genau und schnell der alte Mann Bambus und Lotus mit wenigen Strichen auf eine Vase zaubert. Eindrucksvoll, wie akkurat seine 20 oder 30 Pinsel verschiedenster Größe in Reih und Glied neben der fotografischen Vorlage für die Vase liegen, an der er gerade arbeitet.

Um 900 sind hier die ersten Porzellane entstanden. Im Jahr 1004 ernannte der Kaiser die Stadt zur Imperialen Porzellanmanufaktur, die nach dem Song-Kaiser Jingde Jingdezhen genannt wurde. Seither gilt sie als Hauptstadt des Porzellans. Blau wie der Himmel, weiß wie fernöstliche Jade und dünn wie Papier musste das Porzellan sein, um den kaiserlichen Ansprüchen zu genügen. Lang war der Weg, auf dem die kostbare, zerbrechliche Fracht von Jingdezhen über Flüsse und Kanäle dann bis ins ferne Peking transportiert wurde.

Seit 1982 gehört das Hutian Ancient Folk Kiln Museum zu den schützenswerten Denkmälern der Volksrepublik. Heute ist es ein Freilichtmuseum, die geziegelten Brennöfen sind gut restauriert und voll funktionsfähig. Eingerahmt von den Bergen, in denen Kaolin, Quarz und Feldspat für die Porzellanherstellung gewonnen werden, und umgeben von lichten Bambushainen sowie dichten Kiefernwäldern, ist das Museum ein Magnet für Touristen aus dem ganzen Land.

Langnasen verlaufen sich dagegen selten hierher. Wer in Deutschland kennt schon Jingdezhen, auch wenn die Stadt mit ihren gut 1,5 Millionen Einwohnern für deutsche Verhältnisse nicht eben klein ist? Laternen und Ampeln am Straßenrand in der ganzen Stadt haben Masten aus Porzellan, sogar Papierkörbe und Straßenschilder sind aus dem Material, alle mit klassischen Motiven von Landschaften, Bambus oder Pfirsichen bemalt. Auf einer Kreuzung steht eine überdimensionale Porzellanvase, und im Zentrum wacht ein gut 20 Meter langer Porzellandrache über die Stadt.

Lastwagen, Dreiradkarren, Motorräder knattern vorüber, beladen mit Kisten voller zerbrechlicher Fracht. In Schaufenstern und vor Läden stapeln sich Teller und Schüsseln, Restaurants und Hotels sind mit Vasen, Schalen und Skulpturen aus dem weißen Gold dekoriert. Keine Frage: Jingdezhen ist stolz auf seine Porzellan-Tradition.

Im alten Wannengda-Viertel wimmelt es von Mini-Werkstätten

Kunst im Freien. Selbstverständlich sind die Säulen aus feinem Porzellan.
Kunst im Freien. Selbstverständlich sind die Säulen aus feinem Porzellan.

© p-a

Eine Tour durch die Stadt führt zunächst zum Jingdezhen Museum of Porcelain, einem nüchternen, renovierungsbedürftigen Bau. Am Eingangstresen löffeln gelangweilte junge Mädchen Nudelsuppe aus Pappschalen. Unbeobachtet schlendert eine kleine Besuchergruppe durch die Säle zu den Kostbarkeiten aus Song-, Yuan-, Ming-, Qing- und Maozeiten. Einen Museumskatalog gibt es nicht, doch im Shop finden sich einige hübsche Postkarten und Bücher – allerdings nur auf Chinesisch.

Ganz unter sich sind die Besucher auch im Jingdezhen Imperial Porcelain Museum, einer Pagode aus Mingzeiten am Ufer des Changflusses, die vor ein paar Jahren zum Museum für ausgegrabene Porzellane umfunktioniert wurde. Die Ausstellungsstücke stammen allesamt von den historischen Müllhalden der kaiserlichen Brennöfen rund um Jingdezhen, auf denen vor Jahrhunderten der Ausschuss der Manufakturen landete. Heute sind sie wahre Fundgruben, bringen kostbare Bruchstücke zutage, die dann in mühsamer Flickarbeit von Fachleuten wieder zusammengesetzt werden. Eine Sisyphusarbeit, deren Ergebnisse hier in eindrucksvollen Fotos dokumentiert sind.

Im alten Wannengda-Viertel gibt es zwischen stillgelegten Brennereien und Manufakturen etliche Mini-Werkstätten. In schummrigen Hinterhöfen zwischen schnatternden Enten und krähenden Hähnen werden auf engstem Raum Teller und Tassen bemalt, Porzellan, das zumeist als Gebrauchsgeschirr auf dem Markt landet.

Entlang der Ming- und Quingstraße mit ihren Lädchen unter geschwungenen Ziegeldächern wird handgemachtes Porzellan in modernem Design und schrillen Farben präsentiert: zarte Teeschalen in Pink, Türkis und Gelb mit fein eingeritztem Muster, das Stück für rund 35 Euro. Doch die Verkaufsverhandlungen gestalten sich schwierig. Niemand im Laden, niemand in der Nachbarschaft spricht Englisch, niemand akzeptiert Kreditkarten.

Neben all den kleinen privaten Produktionsstätten gibt es die großen, in denen meisterliches Porzellan hergestellt und in alle Welt exportiert wird. Dass Handarbeit aus Jingdezhen wieder rund um die Welt gefragt ist, verdeutlichen die Auftragslisten der Manufakturen, auf denen so bekannte Namen wie Disney, die Queen und die Familie Bush vertreten sind. Staatlich betrieben wird nur noch eine große Fabrik, die Hongye Porcelain Company. Sie präsentiert ihr Programm in hellen, modernen Räumen. Glanzlicht des Angebots ist wohl das Service, das zum 60. Jahrestag des Bestehens der Volksrepublik 2009 entworfen wurde, mit rotem Rand und roten Blumen. Nur 600 Exemplare gibt es davon.

Im Hotel wohnen nur chinesische Gäste, im Restaurant liegen nur chinesische Speisekarten aus, sprechen die Kellnerinnen nur Chinesisch. Erst mithilfe des Managers, der als Einziger im Haus gebrochen Englisch spricht, kommen Spezialitäten der Region auf den Tisch: scharfes Rindfleisch mit Gemüse, Bambussprossen mit Erdnüssen, Fisch im Ganzen. Eine weitere Herausforderung – denn Messer und Gabel gibt es nicht, dafür aber Porzellanstäbchen mit traditionellem Design, hergestellt – natürlich in Jingdezhen.

Karin Schumann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false