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© Mauritius

Costa Brava: Heimat in Prosa

Josep Pla ist Kataloniens meistgelesener Dichter und sprachlicher Eckpfeiler, auf den die Katalanen stolz ihre Bemühungen um Unabhängigkeit stützen. Er liebte sein Land und geißelte die Bauwut.

Ein Sonnabendnachmittag in dem kleinen Fischerdorf Fornells an der Costa Brava: Der achtzigjährige Fischer Romaní Martinet lehnt an der Tür seines Hauses und blinzelt aufs Mittelmeer. „Si, si“, sagt er auf die Frage, ob er sich noch an Josep Pla erinnern kann. In Plas Erzählung „Die kaputte Reise“ sei er sogar namentlich erwähnt. Pla habe eine Zeit lang genau gegenüber gewohnt. Dort, wo heute in Fornells ein großes rotes Gebäude steht. Wenn Martinet in aller Frühe zum Fischen hinaus aufs Meer gefahren war, hat er zuvor dort an die Fensterscheibe geklopft. Das Tok-tok war ihr Erkennungszeichen. Dann seien sie gemeinsam hinausgefahren. Er und Josep Pla. Wann das genau gewesen ist, weiß Romaní Martinet allerdings nicht mehr. Lange her auf jeden Fall.

Das Costa-Brava-Dorf Fornells liegt auf halber Strecke zwischen Barcelona und den Pyrenäen, knapp 100 Kilometer südlich der französischen Grenze und zehn Autominuten von Palafrugell entfernt, wo der Schriftsteller Josep Pla 1897 geboren wurde. Schon am Ortseingang der Kleinstadt, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit der Korkindustrie aufgeblüht war und heute mit ihren 20 000 Einwohnern vor allem vom Tourismus lebt, grüßt ein riesiges Porträt des Schriftstellers, wie immer mit Baskenmütze. In Katalonien ist Pla so etwas wie ein Nationalheiligtum, Schullektüre und sprachlicher Eckpfeiler, auf den die Katalanen stolz ihre heftigen Bemühungen um politische und kulturelle Unabhängigkeit stützen.

Dass Pla anders als seine katalanischen Künstlerkollegen Salvador Dalí oder Antoni Gaudí in Deutschland noch nicht so bekannt sind, könnte sich mit der bevorstehenden Frankfurter Buchmesse ändern, wenn die katalanische Kultur Schwerpunktthema sein wird. Der Berliner Verleger Heinrich von Berenberg, der in den vergangenen Jahren mit der Veröffentlichung zweier biografischer Essays von Pla Pionierarbeit geleistet hat, hat jetzt Plas „Geschichten über das Meer“ publiziert. Im Suhrkamp-Verlag ist soeben in gekürzter Fassung Plas Hauptwerk „Das graue Heft“ (1966) erschienen, eine literarisch verarbeitete Tagebuchsammlung. Der Zürcher Ammann-Verlag präsentiert mit „Die enge Straße“ Plas einzigen Romanversuch.

Für Plas immenses Oeuvre und die zahlreiche Sekundärliteratur über ihn ist in Palafrugells örtlicher Buchhandlung La Polèmica eine ganze Regalwand reserviert. Überraschend ist das dicke, liebevoll gestaltete Handbuch zur katalanischen Küche. „Pla hat zu jedem Thema etwas geschrieben“, meint die Buchhändlerin Mercé Turró. Auch deswegen sei er Kataloniens meistgelesener Schriftsteller.

Wie viele in Palafrugell hat auch Mercé Turrós Großvater Pla noch persönlich gekannt. Ihn und seinen Malerfreund Josep Martinell hat er oft im Taxi kutschiert und dabei auch seine Marotten bemerkt. Dass er nie eines seiner Bücher verschenkt habe, zum Beispiel. Stets habe er betont, schließlich von ihrem Verkauf leben zu müssen.

Wer das ein wenig ins Land versetzte Palafrugell und seine drei ungleichen Schwestern, die eingemeindeten Fischerdörfer Tamariu, Llafranc und Calella, besucht, kann heute wählen, ob er auf den Spuren der Korkindustrie oder lieber auf denen von Josep Pla wandern möchte. Eine Dichterwanderung bietet auch die Fundació Josep Pla an, ein Museum, das noch zu Lebzeiten des Dichters in dessen stattlichem Geburtshaus in der beschaulichen Straße Carrer Nou gegründet wurde. Von dort geht es vorbei an dem kleinen Restaurant Pa i Raim, das entfernte Verwandte des Schriftstellers betreiben, durch Palafrugells historische Altstadt zur Placa Nova, wo sich im alteingesessenen Café Fraternal vor allem Männer diskutierend die Zeit vertreiben. Pla hat hier oft gesessen, Gesprächsfetzen aufgeschnappt und sich Notizen gemacht.

Am liebsten hätte der Dichter „nie endende Erinnerungen“ aufgeschrieben – und lieferte vor allem beschreibende Prosa. Seine gesammelten Werke, im Destino-Verlag in Barcelona publiziert, umfassen 45 Bände. Viele Bücher enthalten seine journalistischen Arbeiten aus der Zeit als Reporter im Ausland, als Josep Pla für wechselnde Zeitungen in Italien, England, Frankreich und Deutschland unterwegs war. Literarisch wurde sein Schaffen erst, als er in den vierziger Jahren nach Katalonien zurückkehrte, sich enttäuscht von den politischen Ereignissen nur noch einem einzigen Thema widmete, der Magie seiner Heimat, der Baix Empordà.

Die wegen ihrer sanften Hügel, den endlosen Feldern, mittelalterlichen Wehrtürmen und Burgen von Tourismusmanagern gern als „katalanische Toskana“ gepriesene Landschaft der Baix Empordà war für Josep Pla ein existenzieller Bezugspunkt. Mit distanziert pragmatischer Welthaltung, für die die Katalanen das Wörtchen „seny“ erfunden haben, beschreibt er im Stil eines Chronisten den Alltag seiner Landsleute, die bäuerlichen Traditionen, den Wechsel der Jahreszeiten, die Märkte unter freiem Himmel ... Gleichsam als wollte er den katalanischen Nationalismus in eine Art empordanesischen Patriotismus verwandeln, erhöhen sich in seiner Prosa die Eigenheiten dieses Landstrichs: Er lässt den trockenen Nordwind Tramuntana alle Wolken vom Mittelmeerhimmel fegen, so dass die Landschaft kontrastreich und magisch wie unter einem Vergrößerungsglas erscheint.

Dass Plas Werk noch heute lesenswert ist, Pla sogar für den Tourismus zunehmend vermarktet wird, liegt auch daran, dass er wie ein Besessener gegen das Unheil der heutigen Costa Brava mit ihren grausigen Betonburgen und der zunehmenden Verstädterung angeschrieben hat. Seine Prosa war für ihn immer auch Gedächtnisarbeit. Als solche versteht diese auch Anna Aguiló, die Direktorin der Fundació Josep Pla. „Er ist zu einem Sinnstifter für eine Landschaft geworden, deren ursprünglicher Charakter zu verschwinden droht“, sagt Aguiló.

Ein tadelloses Vorbild ist Josep Pla dennoch nicht. Manche spötteln, dass Pla im Grunde nur wegen des schieren Umfangs seines auf Katalanisch und nicht etwa auf Spanisch verfassten Werks als Kataloniens erster Dichterfürst gilt, dass Quantität bei ihm über mangelnde Qualität hinwegtäuscht. Vor allem Plas politische Undurchsichtigkeit macht ihn zu einer umstrittenen Figur. Seine Sympathien für Franco verübelt man ihm gerade in seiner Heimatstadt Palafrugell. „Hier waren die Kommunisten und Anarchisten stark“, erzählt der 28-jährige Anthropologe Adrià Roca, der gerade für einen Verlag in Barcelona eine Feldforschung zum vergangenen Alltagsleben Palafrugells erstellt hat. „Für die älteren Bewohner vertragen sich Plas politische Tendenzen schlecht mit seinem öffentlichen Ansehen.“

Obwohl die Eigenständigkeit Kataloniens für Pla zeitlebens ein erstes Anliegen war, publizierte er doch zwischenzeitlich auf Spanisch, als Franco nach dem Bürgerkrieg für einige Jahre das Katalanische verboten hatte. Viele kreideten ihm das als Verrat an. Pla war nicht der Mann, der für Ideale ins Exil gegangen wäre, Unbequemlichkeiten oder gar sein Vermögen riskiert hätte. Er selbst beschrieb sich als einen „lokalen Kosmopoliten“, hin und her gerissen zwischen weltzugewandter Moderne und bescheiden bäuerlichem Traditionalismus.

In Llofriu, einem Nachbarort von Palafrugell, hat Pla bis zu seinem Tod 1981 auf dem mittelalterlichen Familienanwesen Mas Pla gewohnt. Im größten Raum des Bauernhauses hatte sich Pla, der stets fröstelte, gegen die Winterkälte einen riesigen Baldachin über den Kamin mauern lassen. Wie eine steinerne Muschel ragt dieser weit über seinen Arbeitstisch in den Raum hinein. Auf alten Fotos sieht man ihn dort neben Dalí oder dem spanischen Prinzen, dem heutigen König Juan Carlos, sitzen, im Mundwinkel wie immer eine selbst gedrehte Zigarette.

Das sorgfältig restaurierte Gebäude bewohnt heute Frank Keerl, Josep Plas 80-jähriger Neffe. Der vornehm zurückhaltende Geschäftsmann, der in der Woche in Barcelona lebt und perfekt Deutsch spricht, besitzt neben den Rechten am schriftstellerischen Werk seines Onkels auch dessen Anwesen. Wie überall in der Empordà, sagt Keerl, sei auch in Mas Pla der landwirtschaftliche Betrieb rückläufig. Die Kühe habe man im vergangenen Jahr verkauft. Im Grunde würde nur noch Mais angebaut.

Mit der Landwirtschaft verschwinden auch die bäuerlichen Traditionen, die Pla so geliebt und unermüdlich beschrieben hat. Schockiert über die ungezügelte Bauwut in der Region, zeigt Frank Keerl kopfschüttelnd aus dem Fenster, wo seit dem vergangenen Jahr, keine hundert Meter von Plas ehemaliger Haustür entfernt, nun eine vierspurige Schnellstraße verläuft. Im oberen Stock des Hauses hat Keerl unlängst eine Bibliothek mit einem Pla-Archiv eingerichtet, wo unter anderem englische Ledersessel von seinen eigenen Lesegewohnheiten erzählen. Und was erwartet man von der Frankfurter Buchmesse? Frank Keerl ist ganz „seny“. Ruhig sagt er: „Wir werden sehen.“

Auskunft: Spanisches Fremdenverkehrsamt Berlin, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin, Telefon: 030 / 88 265 43, im Internet: www.spain.info oder unter der Adresse www.fundaciojoseppla.cat

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