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Dangast

© dpa

Dangast: Das Schimmern im Watt

1907 suchten Maler der „Brücke“ eine inspirierende Umgebung – und fanden Dangast am Jadebusen. Landschaft und Licht machen heute noch süchtig.

Künstler brauchen Inspiration. Einen Ort, der ihnen neue Impulse gibt, ihr Talent herausfordert und ihre Kreativität beflügelt. Aber wie findet man so einen Platz? Die „Brücke“-Maler Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff entdeckten ihn mit dem Finger auf der Landkarte. 1907 war es, als die beiden in Dresden über einem großen Atlas saßen und, so erzählte Heckel 1958 rückblickend in einem Interview, eine Küste suchten, „die auf besondere Weise herausstach“. Die Wahl fiel auf den Jadebusen bei Oldenburg. Am Südrand, bei Dangast, lockten nicht nur Sanddünen und Meer, sondern auch Marsch, Moor und Geest.

Das Praktische: Man kam mit der Eisenbahn hin. Im Mai 1907 setzte sich Schmidt-Rottluff in den Zug, stieg im Ort Dangastermoor aus und quartierte sich ein im Gasthof „Zum Fürsten Bismarck“. Nun heißt es „Landhaus Tepe“, aber das alte Bismarck-Schild haben sie – als Reminiszenz – auch noch drangeschraubt. Begeistert schrieb der Maler nach Dresden: „Die Gegend ist großartig und man muß das alles unbedingt malerisch festhalten.“ Fünf Jahre lang, wenn auch nicht ununterbrochen, wirkten er, Erich Heckel und Max Pechstein hier. Für den Kunsthistoriker Andreas Hüneke haben die Dangast-Bilder „zweifellos einen hohen Stellenwert“ im „Brücke“-Expressionismus: „Hier entstanden in den Jahren 1907 bis 1912 einige Meisterwerke der deutschen Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts.“

Heute ist die Straße von Varel nach Dangast gepflastert. „Aber die Landschaft sieht im Großen und Ganzen noch so aus, wie sie die „Brücke“-Künstler sahen“, erklärt Ewald Gäßler, Direktor des Stadtmuseum Oldenburg. Sogar die Windmühle, auf einer Geest hinter Dangastermoor, von Heckel 1909 in Öl gemalt, von Schmidt-Rottluff im selben Jahr in Aquarell verewigt, steht noch. Wenn sie auch längst ihre majestätischen Flügel verloren hat.

Noch immer wellt sich das Land der Halbinsel bei Dangast, noch immer reicht der Baumbestand im Westen des Ortes fast unmittelbar an den Strand. Noch immer ist auf den Rhythmus der Gezeiten Verlass. Ein Reiseführer aus dem Jahre 1912 warnte: „Da zur Zeit der Ebbe der Jadebusen mit Ausnahme einer schmalen Fahrrinne ganz trocken liegt, kann nur zur Flutzeit gebadet werden, und einen einmaligen Besuch muß man unter allen Umständen so einrichten, daß man die Flut trifft.“ Für Schwimmer war die Zeit knapp – wie heutzutage. Am 9. September etwa wird man sich nur von 11 Uhr 03 bis 13 Uhr 33 in die Fluten stürzen können.

Der Maler Franz Radziwill, von Schmitt-Rottluff 1921 auf Dangast aufmerksam gemacht, zog hin und blieb bis zu seinem Tod 1983. Und sorgte sich schon lange zuvor um „sein“ Dangast. „Eine gute Landschaft zu erhalten, ist genau so wertvoll und wichtig wie gute Bilder zu malen, aber beides ist in dieser geistig armen Zeit kaum gefragt“, klagte Radziwill 1958.

In Dangast hat man sich um seine Mahnungen wenig gekümmert. Erst recht nicht mehr in den 70er Jahren, als der Tourismus hohe Renditen versprach. Besonders im Osten des Ortes wurden hunderte einfallslose Ferienappartements gebaut. Scheußliches Einerlei ohne jeden Charme. Zwischen Seeseite und Ortsmitte war früher eine Pferderennbahn, die Max Pechstein 1910 als Motiv diente. Heute befindet sich an derselben Stelle ein privater Campingplatz, auf dem sich die Ferienvehikel drängen. Schön ist das nicht. Auch das große Sole-Freizeitbad am Meer, mit riesigem Parkplatz davor, vermittelt kaum idyllischen Charme.

Alles vergangen und vorbei? Das Dangast der „Brücke“-Künstler ist noch da, wenn es sich auch ein wenig versteckt hat. Ein vor wenigen Jahren angelegter Kunstpfad führt zu jenen Plätzen, an denen die Maler einst ihre Staffeleien aufstellten. Und die Ölfarbe laut Heckel verwendeten, „wie sie aus der Tube kommt“: Unverdünnt und unvermischt trugen sie Blau, Grün, Gelb und vor allem jenes legendäre „Brücke“-Rot auf. An den 15 Stationen des Pfades sind Reproduktionen der Originalgemälde zu sehen, so dass der Betrachter die Bilder mit der Wirklichkeit vergleichen kann. An den Gebäuden wurde vieles verändert, und fast alle reetgedeckten Fischerhäuser sind verschwunden, aber manches sieht aus wie früher. Das alte Kurhaus zum Beispiel, das auf einem Geestrücken oberhalb des Strands thront. Max Pechstein hat diese Ansicht 1910 in seinem Ölbild „Dangaster Landschaft“ verewigt. Auch die Strandmauer aus roten Klinkern, die 1895 gebaut wurde, um das Land vor Sturmfluten zu schützen, steht unverändert.

Das alte Kurhaus, vor rund 200 Jahren als Sommersitz des Grafen Bentinck gebaut, war schon zu Zeiten der „Brücke“- Künstler eine Institution im Ort. Und ist es bis heute geblieben. Ein Familienbetrieb in fünfter Generation. Karl August Tapken holt eine Lithografie hervor, ein Frauenporträt. „Das ist meine Großmutter Hanni mit 23 Jahren. Heckel hat sie gemalt“, sagt er. Und vielleicht durfte der Maler danach vom Rhabarberkuchen probieren, dessen Qualität sich weit über Dangaster Grenzen hinaus herumgesprochen hat. Und der noch heute gebacken wird wie vor hundert Jahren.

Am Wochenende – und nur von Freitag bis Sonntag ist geöffnet – sind die beiden Säle und die Terrasse des Kurhauses pickepackevoll. Ältere Herrschaften, Familien mit Kindern, junge Leute, eine bunt gemischte Gesellschaft findet sich hier zum Kaffeetrinken ein. Das Dangaster Kurhaus ist Kult. Sogar das Schlangestehen am Kuchenbuffet. „Unsere Stammgäste sind irritiert, wenn mal weniger als zwanzig Personen hintereinander stehen“, sagt Tochter Maren Tapken schmunzelnd. Die Tapkens sind Gastwirte, im wahrsten Sinne des Wortes. Nie werden die weißen hölzernen Gartenstühle von der Terrasse geräumt, so dass Gäste immer den Ausblick auf Watt und Hafen genießen können, dann eben beim mitgebrachten Picknick. Und an dem zu Tapkens Besitz gehörenden Strand kann jeder liegen, ohne zu bezahlen.

Natürlich war auch Franz Radziwill, dessen nahe gelegenes Haus nun Museum ist, immer wieder im Kurhaus und hat rundherum seine Motive gefunden. Leben wollte und musste er von seiner Kunst, und so hat er auch Einheimischen dann und wann ein Werk zum Kauf angeboten. Wenige griffen zu. Tapken kennt die Geschichte eines Bauern, der ein Bild mit den Worten zurückwies: „Aber Franz, du hast den Roggen ja rot gemalt. Du weißt doch genau, dass er gelb ist.“ Jahre später kam der Bauer wieder zu Tapken und stöhnte über seine Dummheit. Hätte er dieses seltsame Bild nur gekauft. Denn nun sei es so viel wert, dass er sich vier, fünf Hektar Land dafür kaufen könnte.

Die Farben auf den Bildern gab es nicht in der Wirklichkeit, oder doch? „Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, eine Intensität wie sie kein Pigment hat, fast scharf für das Auge“, schrieb Karl Schmidt-Rottluff 1909. Und Radziwill glaubte gar, in Dangast „den farbigsten Ort der Welt“ gefunden zu haben. „Er war auch mal in der Karibik“, erzählt seine Tochter Konstanze Radziwill, aber da, so erklärte der Vater, würde „das gleißende Licht alle Farben verschlucken“. In Dangast wirken sie ungefiltert.

Die Maler durchstreiften nicht nur den Ort, auch in der Umgebung suchten sie ihre Motive. Mit dem Fahrrad war das äußerst praktisch, weil man alle Malutensilien mitnehmen konnte, befand Heckel. Sie malten wie im Rausch. „Die Inspiration der Landschaft trieb sie zur Arbeit“, sagte die Malerin Emma Ritter, mit den „Brücke“-Künstlern in Dangast eng verbunden. Auch sie konnte nicht lassen von den Booten, vom Watt, von den wilden Wolkengebilden. Die Leinwände stapelten sich, die Künstler wussten nicht mehr, wohin damit. Emma Ritter erzählte, sie habe erlebt, wie Schmidt-Rottluff „eine dicke Rolle voller Leinwände bei Ebbe ins Watt warf – mit der Flut aber kam sie wieder an Land“.

Seit die Maler fort sind, haben Bildhauer Dangast entdeckt. Am Strand, gleich unterhalb des Kurhauses, steht der gut drei Meter hohe „Phallus“, 1984 von Eckart Grenzer aus Granit gemeißelt. Erst, so heißt es, hätten sich die Leute furchtbar darüber aufgeregt, jetzt haben sie ihren Frieden mit dem „Ding“ gemacht, mit dem Grenzer die natürliche Begegnung der Geschlechter darstellen will. Alle zwölf Stunden wird der Penis vom Meer umarmt. In der Nähe hat der Künstler Butjatha einen Riesenstuhl ins Watt gesetzt, auf den sich nach seiner Idee „jeder setzen und träumen und Fantasie und Sinnlichkeit empfangen kann“. Anatol, ein Schüler von Beuys, stellte seine Plastik „Jade“ in die Bucht, als Wächterin und Gruß für die Fischer. Ähnlich anregend ist Grenzers Plastik „Tor zum Watt“. Da blickt man durch zwei Steinplatten hinaus aufs Meer und schärft dabei nicht nur den Blick, sondern auch die Gedanken.

Der sagenhaft hohe Himmel, die wilden Wolken, unter denen die Sonne Kreise und Linien zaubert, das weite, schimmernde Watt, all das kann süchtig machen. Auf den Bildern von Franz Radziwill sieht man immer wieder merkwürdige Löcher im Himmel. Eine Marotte, ein ungewöhnlicher Kunstgriff, hat man immer gedacht. In Dangast aber schaut man nach oben – und sieht sie deutlich.

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