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Reise: Der Holzmund soll lächeln

Im Erzgebirge gibt es mehrtägige Schnitzkurse für jedermann. Meisterlich werden die dort fabrizierten Werkstücke selten – aber es steckt Herzblut drin.

Der Mann mit dem Ziegenbart, der scharf gebogenen Nase und dem meckernden Lachen, der so erstaunlich an ein fröhliches Teufelchen erinnert, dass er sich selbst einmal als solches geschnitzt hat, hält sich nicht allzu lange mit einer theoretischen Einführung auf. Ein paar Worte zur Entstehung der erzgebirgischen Schnitzerei – nicht Bergleute waren es, sondern Bauern, die damit begannen –, ein kurzer Hinweis auf ihre Eigenarten – klein, gedrungen und detailreich sind die Figuren –, dazu eine Zeichnung, die die Proportionen des menschlichen Körpers erklärt – schon entlässt Volker Krämer seine Schülerinnen und Schüler in die Praxis.

Ein paar Stücke Lindenholz hat er grob vorgesägt, nun darf jeder der acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer entscheiden, woran er sich die nächsten drei Tage abarbeiten will. Der Rentner wählt einen stehenden dicken Mann. Die beiden Frauen und der Facharbeiter wollen aus einer unterarmlangen Leiste Gesichter schnitzen. Der Ingenieur aus dem benachbarten Vogtland war schon einmal hier und möchte dem damals geschaffenen Holzmann zu einer Holzfrau verhelfen. Seine kleine Tochter schnitzt einen Pilz, ihr jugendlicher Bruder entscheidet sich für eine Schale, und der Schreiberling versucht sich an einem Schneemann – angeblich genau das Richtige für Anfänger.

Die helle, weite Werkstatt liegt im zweiten Stock im Haus des Gastes, mitten in Annaberg-Buchholz. Zwischen Bandsägen, Hobelbänken und einer Schleifmaschine ragen alte Balken schräg in den Raum, in Vitrinen stehen Bergleute, Wildschweine, Nachtwächter, eine Krippe – Produkte der Paul-Schneider-Schnitzschule. Auf Regalen zeigen Modellreihen, welche Schritte von einem Stück Holz zu einem Ei, einem Hirsch oder einem Bergmann führen.

Gelegentlich wehen aus der Fußgängerzone Fetzen von Weihnachtsliedern hoch, manchmal duftet es nach Glühwein. Es ist die passende Umgebung für die besinnliche, stille, winterliche Tätigkeit des Schnitzens. Und Volker Krämer ist der richtige Lehrer. Wie so viele im Erzgebirge hat der 47-Jährige schon als Kind zu schnitzen begonnen und verdient seit Jahren sein Geld damit: „An Weihnachten kann ich keinen Engel und keinen Bergmann mehr sehen.“ Seit 2003 hält er zusätzlich Kurse ab.

Jetzt geht er in aller Ruhe von Platz zu Platz und schraubt die Rohlinge in den Schnitzgalgen, so dass beide Hände zum Arbeiten frei bleiben. Dann erklärt er die ersten Schritte, bringt das passende Werkzeug und zeigt, welches wofür vorgesehen ist: Ein Hohleisen fürs Grobe – wer zunächst die Kanten seines Holzstücks runden muss, nimmt am besten ein „9/5“. Die Frauen, die ihre Leiste an einer Flachseite dachförmig zuspitzen müssen, arbeiten mit „Stich 1“, einem flachen Stemmeisen. Erst als sie darangehen, die Züge nachzuformen, die ihnen auf einer Modellleiste als Vorbild dienen, kommen die V-förmigen Geißfüße und das kleine Schnitzmesser zum Einsatz.

Erste Probleme tauchen auf: „O weh – die Nase ist weg“, klagt die Münchnerin. „Warum kriege ich die borstige Stelle nicht glatt?“, wundert sich der Rentner. Und auch der Würfel, der den künftigen Schneemann in sich birgt, verliert seine Kanten und Ecken nur sehr allmählich: „Schnitzen ist schön“, denkt der Reporter. „Macht aber viel mehr Mühe als gedacht.“

Volker Krämer begutachtet, berät, beurteilt. „Sieht doch schon ganz ordentlich aus“, befindet er. Oder: „Auah – der ist gegen die Wand gelaufen.“ – „Aber wenn man von links unten guckt, ähnelt er einem chinesischen Krieger“, entgegnet die Lübeckerin. „Genau“, grinst das Teufelchen. „Menschen gibt es viele. Ganz sicher auch solche“, sagt der Experte schmunzelnd. Was, wie die Teilnehmer lernen, die erste Schnitzer-Ausrede ist.

Dann greift er zu Geißfuß und Messer und zeigt, in welchen Schritten vorzugehen ist: Von der Stirn nimmt er Holz ab, vertieft den Mund, schneidet die Nase schmaler – schon taucht ein Gnom aus dem Holz. Anschließend kerbt er eine Rinne unters Auge, eine Totenmaske erscheint, zwei Augäpfel werden gebohrt und plötzlich lächelt der Bursche drauflos ... Mit ein paar entschlossenen Schnitten verändert der Profi einen Ausdruck, zaubert Leben in ein Gesicht oder rettet, was mangels Kinn oder aufgrund gebrochener Nase schon so gut wie verloren schien.

In der Werkstatt herrscht eine entspannte, fast meditative Stimmung. Jeder arbeitet konzentriert an seinem Werkstück, manche besuchen sich gegenseitig, erörtern Hindernisse und Fortschritte und immer mal wieder tönt Volker Krämers fröhliches Lachen, und irgendeine Geschichte aus dem Leben der Schnitzer – stets in tiefstem Erzgebirger Sächsisch, versteht sich.

Drei Tage dauert der Kurs, vier Stunden jeweils, dann ist die Konzentration erschöpft. Nachmittags besuchen einige Teilnehmer die benachbarte „Manufaktur der Träume“, eine großartige Sammlung von historischem Spielzeug, Engeln, und Bergparaden. Andere fahren ins Daetz-Zentrum nach Lichtenstein, wo Holzskulpturen aus aller Welt ausgestellt sind. Manche kommen frustriert zurück, weil sie es nie zu solcher Meisterschaft bringen werden, andere geradezu begeistert, angetan von den Möglichkeiten, die im Werkstoff Holz stecken.

Ganz allmählich nehmen die Figuren Gestalt an: Die Ahornschale ist ausgehöhlt und wird jetzt von außen abgestemmt. Der dicke Mann erinnert bereits an einen gemütlichen Opa. Die Holzfrau hat einen ausgestreckten Arm, der noch nicht abgebrochen ist. Manche Gesichter auf den Leisten treten schon ausdrucksvoll hervor. Auch der Schneemann rundet sich, wenngleich er stellenweise einem Luftballon ähnelt, aus dem die Luft entwichen ist. Und doch ertappt der Reporter sich dabei, wie er manchmal fast zärtlich darüberstreicht: So glattes, schimmerndes, gewölbtes Holz, wo vorher nur fasrige Flächen und harte Kanten waren.

Und immer noch ist der Lehrer gefragt: „Volker kommst du mal? Volker, hilf mir!“ Und Volker erklärt, rettet, schärft Werkzeug nach – und selbst wenn einmal ein Eisen abrutscht auf eine Hand, weiß er, wofür es gut ist: „Ungeschicktes Fleisch muss weg. Und bekanntlich haucht erst ein Tropfen Blut der Figur Leben ein.“

Am letzten Tag legt er immer öfter selbst Hand an. Er arbeitet die Gesichter der Figuren heraus, etwas grob, fast ein wenig unbeholfen, so, als könnten sie auch vom Schüler stammen. Drei Tage lang alle Mühe, Sorgfalt und Herz-, nein: Daumenblut für eine Figur aufzuwenden und sie am Ende durch ein verunglücktes Gesicht zu entstellen – das Risiko will keiner eingehen. Besser, der „Eigentlich-wollte-ich-Schönheitschirurg-werden“-Meister greift da noch einmal zum Messer.

Und dann stehen sie da: Der behäbige dicke Mann. Der naturgetreue Pilz. Die Greisin, die sich auf ihren Stock stützt. Das Dutzend Gesichter, die Wut, Verblüffung, Ärger, Begeisterung und Schmerz zeigen. Die Ahornschale, die schon mit Bienenwachs behandelt wurde. Und schließlich – hat irgendjemand irgendwann schon einen schöneren Schneemann gesehen?

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