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Alte Gewölbe, dicke Mauern – Herberge in der 500 Jahre alten Kaiserstallung.

© usd

Deutschland: Wendeltreppen ins kühle Design

Innen alles schick: In Nürnberg besticht die Jugendherberge in der ehrwürdigen Kaiserburg mit modernem Standard.

Aha, modern ist es geworden. Kostspielige Technik gleich in der Rezeption. Das hätte der Gast nicht vermutet beim Betreten des Quartiers. Doch der Bayerische Jugendherbergsverband hat sich das Aufpolieren seines alten, neuen Flaggschiffs einiges kosten lassen. Für fast 20 Millionen Euro wurde in den vergangenen beiden Jahren die Kaiserburg hoch über der Stadt Nürnberg restauriert und zu dem hergerichtet, was die Verantwortlichen herausfordernd „die modernste Burg-Jugendherberge der Welt“ nennen.

Wie ein strahlender Altar wirkt die Grafik, zu der drei Stufen hinaufführen. Während linkerhand der Getränkeautomat leise brummt, nähern wir uns. Die magisch-erhabene Leuchtinstallation entpuppt sich jedoch nur als künstlerisch ausgestalteter, überdimensionierter „Quick Response“-Code. Wer sich dessen Fleckgewirr aufs Smartphone lädt, erhält einen Link auf die Internetseite des Bayerischen Jugendherbergsverbandes.

Hier also hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Am Empfang ein stattlicher Flatscreen, der TV- und Internetbilder ausstrahlt. Geradeaus der Blick auf eine blitzende Gastronomie – Theke, offene Küche, Anrichten – vor schlichten Bänken und Tischen aus Massivholz, platziert zwischen Säulen aus Sandstein und durch Bögen miteinander verbunden, die mit Backstein abgesetzt ist. Licht kommt aus Na-ja-Designlampen und aus Fenstern mit geräumigen Fensterbänken, die ihren Namen alle Ehre machen. Das ganze ebenerdige Ensemble erinnert an ein klösterliches Refektorium, wenn da nicht die Kaffeeautomaten wären, ein bierzapfender Herbergsvater und Gäste, die sich durch ihre T-Shirts als Fans und Spieler der Faustballabteilung des TSV Calw ausweisen.

Die gemischtaltrige Abordnung aus der Hermann-Hesse-Stadt, unterwegs zu einem Auswärtsspiel im Fränkischen, ist klassisches Jugendherbergspublikum. Zu ihnen gesellen sich Touristenfamilien mit Kindern, denen die übliche Hotellerie entweder zu teuer oder zu langweilig ist. Hinzu kommen zahlreiche Schulklassen, die nach Nürnberg gekommen sind, um deutsche Zeitgeschichte nachzuvollziehen – Stichwörter: Nürnberger Gesetze, Reichsparteitage, Kriegsverbrecherprozesse. Eine eigens dafür angestellte Pädagogin arbeitet für solche Schulklassen spezielle Programme aus und führt die Jugendlichen zu den Stätten, die mit der jüngeren Geschichte der Stadt verbunden sind.

Zu den Themen „Mittelalter“ und „Menschenrechte“ gibt es in der Jugendherberge ähnliche pädagogische Angebote für die Schülerinnen und Schüler, die hier nächtigen. Sie erreichen über Treppen, Wendeltreppen und Aufzüge auf fünf Stockwerken ihre Flure, die rechts zu Seminar- und Multimediaräumen führen, links zu den Schlafräumen. Auch hier verbünden sich Natur- und Kunstlicht, sandsteinerne Säulen, Backstein und Holz zu einem Ambiente, von dem eine gewisse Magie ausgeht, mindestens ein Fingerzeig ins Mittelalter, als die heutige Jugendherberge ein Teil der Burg Nürnberg war und als „Kornhaus an der Veste“ diente, aber auch immer dann als „kaiserliche Stallungen für Vieh und Pferde“, wenn die Monarchen in Nürnberg zu tun hatten.

Das „Richard Wagner“ der Brauerei Wagner hellt die Stimmung auf

Spartanisch, aber hell.
Spartanisch, aber hell.

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Die Majestäten nächtigten meist nicht auf der Burg, sondern logierten bei wohlhabenden Untertanen in der Nürnberger Stadtmitte. Die nachgeborenen Herbergsgäste schlafen heute in 355 Betten, die auf 93 Zimmer verteilt sind. Alle sind, wie es zum heutigen Standard gehört, ausgestattet mit eigenen Duschen und WCs.

Nach Süden sind die attraktivsten Schlafräume ausgerichtet – dorthin, wo der Blick hinunter auf die Altstadt geht, vorbei an den Türmen von Rathaus, Frauen-, Lorenz- und Sebaldskirche bis zum Horizont, vor dem die Silhouetten von Opernhaus und Frauentor auszumachen sind.

Wie ein Parallelogramm, dessen Ecken vier Tore bilden, schließt sich die Stadtmauer um die Altstadt von Nürnberg. Durch ihre Mitte fließt die Pegnitz und teilt das Gemeinwesen seit altersher in die Quartiere Sebald und Lorenz. Der Stadtkern wurde in den 1950er Jahren als Altstadt wieder- aufgebaut, nachdem diese durch Bombardements im Krieg völlig zerstört worden war. Die historisch korrekte Rekonstruktion hat der Stadt gutgetan, auch touristisch: Sie gehört zu den zehn bedeutsamsten Reisezielen Deutschlands, registriert 2,5 Millionen Übernachtungen jährlich. Nürnberg lockt auch viele ausländische Besucher, die meisten kommen aus den Vereinigten Staaten von Amerika.

Den einen oder anderen mag es in diesem Jahr hierherziehen, weil auch Nürnberg sein Wagnerjahr begeht. Der Großmeister, vor 200 Jahren geboren, hielt sich zwar nur neun Mal in der Frankenmetropole auf, schrieb aber – inspiriert durch die Besuche – die „Meistersinger von Nürnberg“, die als seine heiterste Oper gelten. Von dieser Heiterkeit ist in der Ausstellung „Wagner – Nürnberg – Meistersinger“, die noch bis zum 2. Juni als Sonderausstellung im Germanischen Nationalmuseum zu sehen ist, leider nur wenig zu spüren.

An sakral erleuchteten Exponaten vorbei – unter anderem Postkutschen- und Eisenbahnfahrpläne – arbeiten sich die Besucher durch ein dusteres, geräuscharmes Ambiente vor bis zur Originalpartitur der Meistersinger, handschriftlich von Richard Wagner verfasst. Gut, dass es unten im Museumscafé das erlösende Bier zur Ausstellung gibt – das „Richard Wagner“ der Brauerei Wagner aus Merkendorf ist ein Dunkelbier, das die Stimmung prima aufhellt.

Wer will, kann ein paar Häuser weiter im Eisenbahnmuseum der Deutschen Bahn dort weitermachen, wo er im Nationalmuseum aufgehört hat. In Nachbarschaft von alten Dampflokomotiven und vor einem kleinen Roten oder einem großen Hellen gibt’s dort (fast) jeden Sonntag formidable Jazzkonzerte. Ein Stockwerk darüber präsentiert die Bahn neuerdings ein „Kinder-Bahnland Kibala“, mit allerlei grinsenden Lokomotiven und ICE-Lokomotivführerstand-Simulationen, aber natürlich ohne eine Einführung in die faszinierende Welt der Verspätungen und Schienenersatzverkehre.

Hier liegen Große wie Veit Stoß und Albrecht Dürer

Die Pegnitz durchfließt Nürnberg auf ungefähr 14 Kilometer Länge.
Die Pegnitz durchfließt Nürnberg auf ungefähr 14 Kilometer Länge.

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Die erste Eisenbahn Deutschlands fuhr von Nürnberg nach Fürth, heute verbindet eine U-Bahn die beiden Nachbarstädte. Daran wäre nichts weiter bemerkenswert, wenn die Linien 2 und 3 nicht automatisch führen, führerlos. Drohnen im öffentlichen Personennahverkehr! Dröp-NV! Mit etwas Glück finden Fahrgäste einen Platz unmittelbar hinter der Frontscheibe und können durch die Unterwelt von Nürnberg wie U-Bahn-Führer huschen. Selbst für Berliner Kinder, erfahren durch Doppeldeckerfahren in der ersten Reihe oben, ist das ein Erlebnis!

Wer die historische Altstadt zu Fuß inspizieren will, kann sie einmal umrunden und, immer an der Stadtmauer entlang, Abstecher zu den Sehenswürdigkeiten machen, im Nordwesten etwa zu einem der eindrucksvollsten Begräbnisstätten Europas, dem St.-Johannis-Friedhof. Hier liegen Große wie Veit Stoß, Hans Sachs, Anselm Feuerbach und Albrecht Dürer unter wuchtigen Grabplatten begraben. Sie sind mit Epitaphen verziert, die uns tief in mittelalterliche Biografien führen.

Unweit des Johannisfriedhofes, am Tiergärtnertor, passieren wir einerseits das Albrecht-Dürer-Haus, in dem natürlich auch eine Kopie seines berühmten „Feldhasen“ zu sehen ist. Andererseits machen wir vor einer zeitgenössischen überlebensgroßen Bronzeskulptur desselben Feldhasen halt, einem Untier ähnelnd – von Jürgen Goertz. Ein umstrittenes Kunstwerk, das eine Weile die Stadtdiskussion angefeuert hat. Die einen witterten gleich den Untergang des Abendlandes, die anderen überhöhten es als große Kunst.

Von hier können wir die Stadt durchqueren und der „Historischen Meile“ folgen, die von Touristikern akribisch ausgearbeitet wurde. Sie führt vom Königstor zu den „Fleischbänken“ und hat den wunderbaren Vorzug, an Verkaufsstellen für Rostbratwürstchen („Drei im Weckla“) vorbeizuführen, aber immer mal wieder auch über mittelalterliche Pegnitzbrücken, etwa über den Henkersteg – Gruselfaktor inklusive –, wo im Mittelalter der Scharfrichter wohnen musste.

Heiterer geht’s unter Umständen in der evangelischen Lorenzkirche zu. Hier kann dem Gottesdienstbesucher die ernste Andacht vergehen, wenn er in Sichtweite einer Maria mit Doppelkinnansatz Platz nimmt, die einen grinsenden Jesusknaben weit von sich hält, als sei sie kurzsichtig und dabei schaut, als sagte sie: „Was habe ich mir denn da für einen angelacht?“

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