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Deutschland: Leuchtturm auf großer Fahrt

Die „Elbe 1“ musste 40 Jahre lang ihre Position als Feuerschiff halten. Nun darf sie manchmal von der Kette – nach Helgoland.

Ausschlafen ist heute nicht. Denn pünktlich um 8 Uhr heißt es „Leinen los“ für eine zünftige Nostalgiefahrt mit der „Elbe 1“, die an diesem Montag ihre 60 urlaubenden Gäste vom Bollwerk Alte Liebe in Cuxhaven nach Helgoland bringen wird. Fast 20 Minuten dauert das etwas mühselige Ablegemanöver, dann nimmt der Oldtimer, wegen seines typischen knallroten Anstriches „Rote Lady“ genannt, langsam Fahrt auf.

Ganz Eilige erreichen Helgoland in etwa 25 Minuten – mit dem Flugzeug. Wer von Cuxhaven aus den Katamaran nimmt, schafft es in etwas mehr als einer Stunde. Die reguläre Fähre braucht immerhin schon zweieinhalb Stunden. Bei einer Fahrt mit der „Elbe1“ hingegen ist „der Weg das Ziel“, so die Eigenwerbung: Fünf Stunden hin und fünf Stunden zurück dauert die Überfahrt mit dem außer Dienst gestellten Feuerschiff. Helgoland selbst wird dabei fast zur Nebensache.

„Schneller“, ruft der Steppke vorn auf dem Peildeck, „schneller, schneller!“ Doch das Schiff gehorcht ihm nicht. Warum sollte es auch? Vier lange Jahrzehnte durfte sich das schwimmende Seezeichen überhaupt nicht bewegen, sondern hatte exakt und unter allen Umständen auf Position zu bleiben, nämlich auf 54°0´00´´ Nord, 8°10´ 40´´ Ost. Dort wies das auf „Bürgermeister O’Swald II“ getaufte Schiff als schwimmender Leuchtturm einen sicheren Weg durch die Sandbänke der Elbmündung, wurde dabei so oft wie kein anderes Feuerschiff von Schiffen, die den Begriff Ansteuerungspunkt wohl allzu wörtlich genommen hatten, gerammt (nämlich 50-mal), um am 22. April 1988 außer Dienst gestellt zu werden. Die Ära der bemannten Feuerschiffe vor Deutschlands Küsten war damit zu Ende.

Das 51 Meter lange Schiff hatte Glück und kam nicht wie so viele andere zum Abwracker, sondern wurde von der Stadt Cuxhaven übernommen – allerdings mit der Auflage, es als nautisch-technisches Denkmal und in einem betriebsbereiten Zustand zu erhalten. Diese Aufgabe übernehmen seit nunmehr zehn Jahren die Mitglieder eines Fördervereins, die sich auch auf dieser Museumsfahrt rührig um Schiff und Gäste kümmern.

Die machen es sich jetzt erst mal gemütlich und suchen sich irgendwo ein Plätzchen: auf herbeigeschafften Plastikstühlen oder auf den zwischen Aufbauten und seitlich an der Gangbord angebrachten Holzbänken, auf Pollern oder den Holzkisten mit Rettungswesten. Bücher werden hervorgeholt, Ferngläser ausgepackt. Camcorder und Fotoapparate baumeln allzeit bereit vor Männerbrüsten. Bewaffnet mit einer „Bord- und Verzehrkarte“ werden halbe Brötchen und Kaffee oder das erste Bierchen vom zum Minirestaurant ausgebauten Hinterdeck geholt. Ein buntes Treiben auf einem ebenso bunten Schiff, dessen Außenhaut, Rettungsboote und Laternenmast in Rot, Lüftungsköpfe, Spills und Nebelhornmast in Ockergelb, Ankerspill, Kette und Anker in Schwarz, Aufbauten in Weiß und der Rest in Grün gestrichen wurden. Ein wirklich schönes, Aufsehen erregendes Schiff, das da auf der Nordsee mit sechs Knoten gen Helgoland schaukelt.

Etliche dicke Pötte tauchen auf, denn die „Elbe 1“ läuft bei Hochwasser aus, das die Container-Giganten nutzen müssen, um überhaupt die Elbe nach Hamburg hinaufzukommen. Staunen bei den Landratten. Schiffe gucken satt. Schnell noch ein Foto. Vorbei an der Küstenwache, einer Lotsenstation und pittoresken Krabbenkuttern mit ausgefahrenem Fanggeschirr passiert das Schiff bald seine einstige weit in die Elbmündung vorgeschobene Position. Hier wurde es am 9. November 1948 mit 18 Mann Besatzung erstmals ausgelegt und von einem drei Tonnen schweren Pilzanker und einer 250 Meter langen Ankerkette festgehalten.

Kleine Zeitreise in eine maritime Welt

Crewmitglied Detlef Hoya als Smutje.
Crewmitglied Detlef Hoya als Smutje.

© Bernd Ellerbrock

Es ist sommerlich warm und es riecht nach Farbe, Sonnencreme, Schiffsdiesel und irgendwann herzhaft nach gebratenem Speck. Crewmitglied Detlef Hoya steht schwitzend in der Kombüse und bereitet das Mittagessen vor: eine deftige Schnippelbohnensuppe mit Bockwürstchen wird es geben, rechtzeitig vorm Einlaufen in Helgoland. Acht Jahre war Detlef bei der Marine, seitdem kann er „von der Seefahrerei nicht lassen“. Wie die anderen Crewmitglieder auch (samt und sonders im roten Feuerschiff-Dress) hat er Spaß an diesen seltenen Törns, denn die meiste Zeit liegt das Schiff ja als Museum vor Anker.

Auch einige Kapitäne gehören dem Verein an. Heute steuert Holger Bullmann aus Helgoland das Schiff und bugsiert es auch ohne Seitenstrahlruder sicher an die dortige Ostmole. Das für einige zweifelhafte Vergnügen des Ausbootens mit Helgolands berühmten Börtebooten jedenfalls unterbleibt bei einer Anreise mit dem Feuerschiff, das nun erst mal vier Stunden lang als Attraktion unten nahe den bunten Hummerbuden zu bestaunen ist.

Das Ablegen am späten Nachmittag bedarf zum Vergnügen der Gäste einiger Schlepper-Unterstützung durch ein hier liegendes Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, bevor die „Elbe 1“ in der langsam untergehenden Abendsonne wieder gen Heimat tuckert. Wer vom vielen Treppensteigen und Tütentragen auf der „roten Insel“ nicht müde ist, hat jetzt noch viel Zeit, einen Museumsrundgang anzutreten. Die Vereinsmitglieder jedenfalls stehen für Erläuterungen bereit. Auch auf der Brücke – natürlich inzwischen ausgestattet mit modernstem nautischem Gerät – herrscht reges Treiben und Fachsimpelei. Die kleine Zeitreise in eine maritime Welt der 50er Jahre (Funkraum, Offiziersmesse, Unterkünfte und mehr) lässt sich keiner entgehen an diesem Tag. Und die Vorstellung, es hier in dieser Enge schaukelnd wochenlang bei Wind und Wetter aushalten zu müssen, mag manch einem einen Schauer über den Rücken jagen.

Bei Peter Meister (blauweißes Matrosenhemd, Vollbart, Gemütsmensch – ein richtiger Seebär also) kann, wer will, noch ein typisch maritimes Mitbringsel erwerben: einen fachmännisch geknüpften Schlüsselbundanhänger zum Beispiel.

Als die letzten Nackensteaks und Bratwürste vom Grill verkauft und alle Strichlisten der Verzehrkarten abgerechnet sind, taucht Cuxhaven wieder auf. Ein langer 14-Stunden-Tag voller Muße und Seeluft geht zu Ende. „Achtung“, schallt es von der Brücke und schon halten sich die ersten die Ohren zu. Das gewaltige Nebelhorn dröhnt gewaltig und kündigt die Rückkehr zum Liegeplatz an. Ein ebenfalls heimkehrendes Ausflugsschiff antwortet etwas kläglich tutend. „Lächerlich“, entfährt es Crewmitglied Kuddel, „einfach lächerlich.“ Bei Dunkelheit liegt das stolze Schiff wieder fest verzurrt an der Pier. In vier Wochen darf es wieder los.

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