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Reise: Die Gewürze des Nordens

Smørrebrød war gestern. Die dänische Küche ist top. Die Zaubereien Kopenhagener Köche überzeugten auch die Michelin-Tester. Neun Sterne gab es

Smørrebrød. Das Wort steht hier in der Absicht, es fortan nicht mehr zu erwähnen, denn es hat mit der lebendigen dänischen Restaurantkultur so wenig zu tun wie die Weißwurst mit der bayerischen: es ist kulinarische Vergangenheit. Die neue dänische Küche ist ganz anders, vorwärts gewandt, weltläufig, aber doch auf die eigenen kulinarischen Wurzeln vertrauend. Eine bemerkenswerte Gruppe junger, weitgereister Küchenchefs hat Kopenhagen binnen weniger Jahre zur gegenwärtig kulinarisch interessantesten Stadt Europas gemacht, wenn es nicht um die schiere Masse an Top-Restaurants, sondern um neue Ideen und neue Stilrichtungen geht. Die Stadt hat gegenwärtig neun Michelin-Sterne und drei weitere in Aussicht – das ist mehr, als Berlin oder Hamburg, Brüssel oder Straßburg zu bieten haben.

Die dänischen Top-Köche zogen sehr früh die Konsequenzen aus dem weltweit verbreiteten Überdruss an immer neuen Stilrichtungen. Sie hatten die französische Klassik hinter sich, sie hatten italienisch, mediterran und Fusion-Style gekocht und wussten nicht mehr weiter. 2004 skizzierte ein „Manifest der nordischen Küche“ von Spitzenköchen aus allen skandinavischen Ländern den Ausweg: Sie wollen eine neue Regionalküche aus den authentischen Produkten des Nordens entwickeln, wollen mit Eismeergarnelen, Moschusochsen, Dill und Bier kochen, ohne aber in die Bräsigkeit der Traditionsküche zurückzufallen. Sahne statt Olivenöl – nur eben neu interpretiert.

Einer ihrer Vorkämpfer, Rene Redzepi vom Kopenhagener „Noma“, gilt derzeit als bester Küchenchef des gesamten Nordens. Zwei Michelin-Sterne quittieren seinen kompromisslosen, puristischen Stil, der dritte dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Auf die Holztische des bemerkenswert einfach eingerichteten Restaurants im alten Grönlandspeicher am Hafen kommt nichts, was nicht mindestens das Prädikat „außergewöhnlich“ verdiente. Redzepi hat bei zwei Giganten der Küche gelernt, bei Ferran Adria in Katalanien und bei Thomas Keller in Kalifornien, doch er ist so schlau, nichts von diesen höchst gegensätzlichen Chefs direkt zu übernehmen. Das heißt speziell, dass er kaum Anleihen bei Adrias avantgardistischer Küche der Dekonstruktion macht, sondern auf bester handwerklicher Basis einen eigenen Weg geht.

Wenn er Ziegenkäse als geeisten Schnee mit einer Consommé von Roten Beten sowie Würfeln von geräuchertem Rindermark kombiniert, dann weiß der erfahrene Gast sofort, dass er es mit einem der Großen zu tun hat. Wildkräuter begleiten ein intensiv nach Austern schmeckendes Gelee, dazu gibt es Kleckse von Petersilienmayonnaise und knusprige Roggenbrotchips. Samsø-Kartoffeln „in Texturen" fügt Redzepi mit Königskrabbenfleisch und Wald-Sauerklee zusammen und häuft ein Müsli aus gerösteten Kartoffeln obenauf. Und zum Rehfilet in Heu mit grünem Erbspüree und getrockneten Waldbeeren fügt der Service mit zarten grünen Erbsen in brauner Butter tatsächlich noch eine Dimension hinzu.

Auf dem Sprung zum zweiten Stern sind Rune Jochumsen und Christian Møller vom karg-eleganten „Formel B“ in der Kopenhagener City. Auch sie arbeiten auf der Grundlage des Manifestes, servieren beispielsweise rohe Jacobsmuscheln mit Haselnüssen, Heringskaviar und Sauerklee oder ein Kartoffelpüree mit Austern, Austernschaum und Kresse, zu dem sie – bemerkenswert – einen trockenen Moselriesling offerieren, eine Rarität in Dänemark. Auch im „MR“, dem Aufsteiger des vergangenen Jahres, arbeitet ein Sommelier mit deutschen Erfahrungen; Küchenchef Mads Refslund spielt nicht weniger souverän als seine schon weiter aufgestiegenen Kollegen mit den skandinavischen Grundmotiven: Filigrane weiße Spargel aus Dänemark liegen in einer hellen Karamellsauce auf Kondensmilchbasis, dazu gibt es Holunderblüten, Grapefruit und Spuren von schwarzer Asche, die aus den Spargelschalen stammt.

Wie schnell die Entwicklung voranschreitet, beweist unfreiwillig der große Inspirator der jungen Kopenhagener Köchegeneration: Paul Cunningham, der Chef des „The Paul“ mitten im Gewimmel des Tivoli. Fast alle jungen Überflieger haben mal bei ihm gearbeitet, doch seine Küche wirkt im Vergleich ein wenig müde, uninspiriert, zufällig. Doch das mag ein Zwischentief sein, denn die Aufbruchsstimmung im Lande treibt gerade auch die Küchenhelden der Neunziger Jahre zu neuen Anstrengungen. Sie kommen von draußen, orientieren sich neu in der Hauptstadt, und das, obwohl auch in der Provinz, in Aarhus oder Odense, ständig neue aufregende Restaurants eröffnen.

Der vermutlich wichtigste von ihnen ist Bo Bech, der im „Paustian“ kocht, dem Restaurant des gleichnamigen Möbelhauses nördlich der City, das von dem weltberühmten Architekten Jörn Utzon gebaut wurde. Dies ist ein Platz, wie er dänischer nicht sein könnte, lichtdurchflutet, mit Freischwingern und viel hellem Holz. Bech reflektiert dies mit einer abwechslungsreichen Küche, die stilsicher zwischen Purismus und Vielfalt pendelt: Avocado mit Olivenöl und Kaviar, Krabben mit Tagetesblüten, Rote-BeteBlättern, Artischocken und Parmesan.

Ein anderer in Dänemark sehr bekannter Koch, vom dem wir noch viel hören werden, ist Rasmus Kofoed, der kürzlich eine Traditionsadresse am Kongens Have, dem königlichen Garten in der Innenstadt, übernommen hat. „Geranium“ heißt der große Wintergarten, ein historisierender Bau im Grünen, nur einen Steinwurf von Schloss Rosenborg entfernt. Kofoed, der schon den „Bocuse d´ Or“, den gegenwärtig bedeutendsten internationalen Köche-Preis gewonnen hat, setzt ganz auf organische und biodynamische Lebensmittel und brilliert auch mitvegetarischen Menüs.

Sollte der Eindruck entstanden sein, es werde in Kopenhagen nur noch neodänisch gekocht, so ist das unzutreffend. Das „Era Ora“ beispielsweise gilt als eines der besten italienischen Restaurants nördlich von Mailand. Das gehoben thailändische „Kiin Kiin“ hat die Schwelle zum Stern-Kandidaten bereits ein Jahr nach Eröffnung übersprungen; im „Koriander“ kümmert man sich mit Raffinesse und Präzision um die indische Küche, weit ab von den Curry-Klischees. Und sogar mit scheinbar verblichenen Traditionsadressen ist wieder zu rechnen: Das zeigt der Wiederaufstieg des legendären „Søllerød Kro“. Das über 300 Jahre alte Gasthaus zwischen den Millionärsvillen des elitären Vororts ist nicht nur eins der schönsten dänischen Restaurants, sondern knüpft unter der Küchenregie des jungen Jakob de Neergaard wieder an die Zeiten um 1990 an, in denen es dort das beste Essen Dänemarks gab.

Kopenhagen ist teuer. Ein schlichter Einkauf im Supermarkt zählt zu den finanziellen Abenteuern der Gegenwart. Deshalb mag es interessant sein, dass dies für die erwähnten Restaurants nicht gilt. Sie sind im Durchschnitt nicht billiger oder teurer als vergleichbare Betriebe in Deutschland – und mit dem Flugzeug von Tegel so schnell erreichbar wie eine deutsche Stadt.

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