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Zeit in Szene gesetzt. Uhren aus DDR-Produktion sind Teil der Ausstellung im Museum von Glashütte.

© Ralf Hirschberger, picture-alliance

Die Kunst der Urmacherei: Minuten im Takt

In Glashütte werden schöne, teure Uhren gefertigt. Besucher dürfen zusehen.

Uhrmachermeister Daniel Malchert sitzt in einem hellen Raum im renovierten Alten Bahnhof von Glashütte, in dem die Firma Nomos heute residiert. Schön ist das Gebäude mit seinem neuen Eingangsbereich: Klare rechteckige Flächen und Fenster im Bauhausstil, alles in Weiß und Grau gehalten. Der 30-Jährige mit dem kräftigen Kinn und den großen braunen Augen entspricht mit seinem zurückhaltend-freundlichen Auftreten ganz dem Bild, das die Öffentlichkeit sich von ihm und seinesgleichen macht: „Introvertiert, ruhig, ausgeglichen und bodenständig zu sein, sagt man uns Uhrmachern ja immer nach“, meint er lächelnd.

Eigentlich wollte Malchert Tierpfleger werden. Doch schon sein Uropa war Uhrmacher, er selbst verbrachte viel Zeit bei ihm in der Werkstatt, und als sich nach der Wende zeigte, dass die Uhrenfabrikation in Glashütte neuen Schwung bekam, begann er 1997 eine Lehre in der Uhrmacherschule. „Handwerkliches Geschick muss man mitbringen, Verständnis für technische Zusammenhänge und räumliches Vorstellungsvermögen: Allein unser einfachstes Uhrwerk ,Alpha‘ besteht aus rund 100 Teilen, die auf verschiedenen Ebenen aufeinander aufgebaut sind.“ Vier Jahre arbeitete er als Geselle, dann machte er seinen Meister und blieb bei der Firma.

Nomos Glashütte wurde 1990 von dem Düsseldorfer EDV-Experten Roland Schwertner gegründet und begann in einer kleinen Wohnung mit drei Angestellten. Heute sind dort über 90 Uhrmacherinnen und Uhrmacher, Techniker und Technikerinnen tätig. Nomos Glashütte ist neben „Glashütte Original“ und „A. Lange & Söhne“ die dritte Uhrenmanufaktur am Ort: Sie stellt das Uhrwerk und andere Komponenten zum großen Teil selbst her und baut nicht, wie die meisten Firmen, nur Fremdteile zusammen. Etwa 20 Betriebe arbeiten weltweit noch so.

Gefertigt werden die meisten Einzelteile im Erdgeschoss des Bahnhofs. Es riecht nach Öl, und all das Neonlicht und die vielen Glastüren erinnern eher an ein Labor als an eine Fabrik. Maschinen beherrschen das Bild, Menschen sieht man nur wenige: Ein automatischer Bohrer schneidet und fräst Messingrohlinge zu und wechselt, wenn nötig, seine Werkzeuge selbst. Er fertigt Platinen, Trägerplatten für das Automatikwerk ,Epsilon’. Eine Werkzeugschleifmaschine sorgt dafür, dass stets mit präzisem Gerät produziert wird. Und ein „Steinsetzer“ presst automatisch winzige künstliche Rubine an die vorgesehenen Stellen in den Platinen und setzt auch gleich die dazupassenden Lager und Stifte ein.

In der Chronometrie, die in der Stadt weiter oben am Hang liegt, zeigt sich, dass Nomos zu Recht den Titel Manufaktur trägt: Hier werden die Einzelteile zusammengesetzt, und dies überwiegend in Handarbeit. An Tischen, die so hoch sind, dass man die Unterarme auflegen kann, passen Frauen und Männer in weißen Kitteln und mit Lupe winzige Teile namens Ankerkloben, Automatikbrücken, Korrektorräder oder Datumhebeldecken ein. Aus fast 100 Teilen besteht ein „Kaliber“ der Serie Alpha – 90 Prozent davon werden hier zusammengebaut. Führen dieses angespannte Arbeiten und das konzentrierte Schauen denn nicht zu gesundheitlichen Problemen? Daniel Malchert hat keine, er joggt zum Ausgleich. „Und die Augen trainieren wir schon bei den Auszubildenden. Sie sollen immer eine Lupe verwenden, die etwas kleiner ist als erforderlich. Das hält das Auge elastisch.“

Eine Woche lang lernt die Unruh das Schwingen

Zeit auf zwei Etagen. Zu DDR-Zeiten lieferten die Glashüttener Uhrenbetriebe auch in den Westen, erfahren die Besucher im neuen Uhrenmuseum. "Meister Anker" gab's bei Quelle.
Zeit auf zwei Etagen. Zu DDR-Zeiten lieferten die Glashüttener Uhrenbetriebe auch in den Westen, erfahren die Besucher im neuen Uhrenmuseum. "Meister Anker" gab's bei Quelle.

© Matthias Hiekel, picture-alliance

Am Höhenspielmesstisch wird die Höhenposition der Räder kontrolliert, in der Feinreglage die Spiralfeder mit dem Unruhkloben montiert – das künftige Kraftwerk der Uhr. Dann „lernt die Unruh eine Woche lang schwingen“, ehe sie feinreguliert und mit winzigen Bohrungen quasi „ausgewuchtet“ wird. „Deshalb hat jede unserer Uhren ihr individuell reguliertes Herz“, sagt der Meister. Automatikwerke werden eine Woche lang im Kreis gedreht, überprüft und nachjustiert. Erst am Ende kommen Zifferblatt und Zeiger darauf und unterm Überdrucktisch wird der Deckel mit der Gummidichtung staubdicht aufgeschraubt. „Und dass so viele winzige Einzelteile ineinandergreifen und am Ende einen funktionierenden Mechanismus ergeben, das fasziniert mich einfach immer wieder“, lächelt Daniel Malchert.

Jedes Exemplar, das die Manufaktur verlässt, darf die Aufschrift „Glashütte“ tragen. Die bekommen nur Uhren, deren Wertschöpfung zu mehr als 50 Prozent am Ort erfolgt. Bei Nomos sind es zwischen 75 und 95 Prozent.

Der gute Ruf, den Glashütte in der Fachwelt hat, beruht auf einer langen Tradition. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden am Ort schon Uhren hergestellt, erfährt der Besucher im neuen Uhrenmuseum im Herzen der Stadt. Von 1818 bis 1914 blühte die Industrie: Zeigerfabrikanten, Gravieranstalten, Gang- und Schraubenmacher fanden ihr Auskommen. Vor und während des 2. Weltkriegs wurden überwiegend Fliegeruhren und Marine- Chronometer zusammengebaut. Zu DDR-Zeiten produzierte der „VEB Glashüttener Uhrenbetriebe“ nicht nur die begehrte „Spezimatic“, sondern lieferte auch in den Westen: Die „Meister Anker“ aus Glashütte gab es bei Quelle für 39,50 D-Mark.

Mechanische Uhren erlebten erst nach der Wende ihre Wiedergeburt. In Glashütte gab es noch Meister, die wussten, wie man den „Glashütter Sonnenschliff“ herstellte oder Schrauben auf exakt 300 Grad erhitzte, um sie kornblumenblau zu färben. Dieses Know-how nutzten Investoren aus dem Westen. Walter Lange kam zurück und übernahm den Betrieb, den sein Urgroßvater 1845 gegründet hatte. Und mit den Jahren siedelten sich weitere zehn Firmen an. Heute beschäftigt die Uhrenindustrie rund 1000 Männer und Frauen.

Daniel Malchert hat es, auch wenn er das nie von sich sagen würde, in dieser Gesellschaft von Uhrmachern ganz schön weit nach oben gebracht. Zusammen mit seinem Bruder Benjamin und dem Konstrukteur Thierry Albert entwickelte und baute er das erste „Tourbillon“ der Firma, ein Uhrwerk, bei dem eine rotierende Lagerung der Unruh für noch mehr Ganggenauigkeit sorgt – sozusagen die Königsklasse der Uhrmacherei. 25 Stück wurden für die Juwelierfirma Wempe hergestellt, jede 80 000 Euro teuer. Vier Jahre lang schnitt, fräste und schliff Malchert die Einzelteile für diese Uhr mit dem „ersten deutschen chronometergeprüften Tourbillonwerk“. Anschließend hatte er genügend Erfahrung gesammelt, um die neue Weltzeituhr „Zürich“ mitzuentwickeln. Was kann da noch kommen? „Die Herausforderung bleibt: Welche sinnvollen Neuerungen findet man noch? Und wie lassen sie sich auf kleinstem Raum unterbringen?“

Es sind die beiden Fragen, die die Uhrmacher seit Jahrhunderten umtreiben. Menschen aber, die sich mit all ihrer Fantasie und Geschicklichkeit solchen Aufgaben verschreiben, müssen einfach ein eigener Schlag sein: „Natürlich fachsimpeln wir auch, wenn wir uns privat treffen“, sagt Malchert. „Was kommt als Nächstes auf den Markt? Wie löst man ein kniffliges Reparaturproblem? Woran tüfteln die Mitbewerber?“

Und alles nur, damit man die Hand hochheben und erkennen kann, dass es endlich Zeit zum Mittagessen ist? „Die Zeit ablesen kann man auch von einer Quarzuhr“, gibt der Meister zu. „Teure Uhren kauft man, weil sie einen begeistern: Die präzise Mechanik auf kleinstem Raum. Das gelungene Design. Die edlen Materialien. Die perfekte Verarbeitung. All das ist doch einfach schön.“

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