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Reise: Die Verse der schönen Blondine

In der Festung Küstrin war Kronprinz Friedrich unter Arrest, auf Schloss Tamsel verliebte er sich: Spurensuche im Lebuser Land.

Zwei junge Frauen sitzen plaudernd an einem fest installierten Holztisch. Eine holt eine Thermoskanne und eine Packung Kekse aus der Tasche. Picknick in der Altstadt von Kostryn (Küstrin). Cafés, Restaurants oder Bars gibt es hier schon lange nicht mehr. Man spaziert über ein Trümmerfeld, das die Polen ihr „Pompeji“ nennen. An die Marienkirche erinnert ein schlichtes Holzkreuz, vom Schloss sind nur die Fundamente übrig, hier und da führen Treppenstufen ins Nichts. Was nach den wochenlangen Kämpfen im Frühjahr 1945 vom Kern der Festung Küstrin noch übrig war, trug man in den ersten Nachkriegsjahren ab. Die Steine wurden zum Wiederaufbau von Warschau gebraucht.

In den 90er Jahren wurde das zuvor gesperrte Grenzgebiet wieder zugänglich gemacht. Straßen wurden freigelegt, Bordsteinkanten ausgebuddelt, der Verlauf der Schienenstränge der städtischen Straßenbahn ist deutlich zu erkennen. Sogar Straßenschilder hat man hier und da wieder eingepflockt. So wird sichtbar, wo die Predigergasse von der Berliner Straße abzweigt, doch wie sahen die Häuser hier aus? Immerhin, zwei Eingänge zur Altstadt, das Berliner und Kietzer Tor, wurden komplett restauriert.

Wie wohl das Soldatenleben inmitten der gewaltigen Festung mit ihren ehemals sechs Bastionen war? Bekannt ist vor allem jene Tragödie, die sich hier am 6. November 1730 zugetragen hatte. Hans Hermann von Katte, der Jugendfreund von Kronprinz Friedrich, wurde enthauptet. Friedrich Wilhelm I. hatte von den Fluchtplänen erfahren, die sein Sohn mit Katte geschmiedet hatte. Sogar seinen eigenen Sprössling wollte der gestrenge Vater zunächst mit dem Tod bestrafen, belegte ihn dann aber doch nur mit Arrest in der Festung. Ein dreiviertel Jahr später wurde die Haft gelockert, der Kronprinz durfte das Bollwerk hin und wieder verlassen. Bei einem dieser Ausflüge entdeckte er Schloss Tamsel, heute Palac Dabroszyn.

Das senffarben gestrichene Gebäude ist verwaist, der Park drumherum halb verwildert. Doch immer noch geht ein Zauber aus von diesem Ort, immer noch stimmt die Beschreibung des Dichters Adalbert von Chamisso: „Hoch ragt aus schatt’gen Gehegen ein schimmerndes Schloß hervor.“ Hier traf der gerade mal 19- jährige Friedrich die fünf Jahre ältere Luise Leonore von Wreech – und verliebte sich in sie. Und die junge Schlossherrin mit dem „Rosen- und Lilienteint“ erwiderte seine Zuneigung. Sie war gar, so glaubten Zeitgenossen, einer „starken amour“ zum Prinzen verfallen. Der Prinz war – endlich – wieder glücklich. „Ich möchte die Behauptung wagen, daß Tamsel damals die Kehrseite dieser Küstriner Tage gewesen sei, ganz geeignet, durch Sitte, Feinheit und Anstand ein Leben wieder zu regulieren, das solcher Regulatoren allerdings dringend bedürftig war“, schreibt Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.

Friedrich verfasst Briefe, „auf gewöhnlichem groben Schreibpapier und oft bis an den untersten Rand vollgeschrieben; die Linien sind krumm, die Orthographie höchst mangelhaft, Zeit und Ortsangaben fehlen“. Die „schöne Blondine“ schickt ihm Verse und er dankt überschwänglich: „Alles, was von Ihnen kommt, entzückt mich durch Geist und Grazie.“

Eine Amour fou? Fontane gibt nichts auf die überlieferten Klatsch- und Tratschgeschichten. Und ist überzeugt, „daß das Ganze nichts anderes als die Huldigung eines etwas verliebten poetisierenden jungen Prinzen war – eine Huldigung, die mal leichter, mal leidenschaftlicher auftretend, von Frau von Wreech abwechselnd als eine Zerstreuung, eine Ehre, eine Schmeichelei, aber gelegentlich auch als eine Last entgegengenommen wurde“.

Ende Februar 1732 verlässt Friedrich Küstrin, erst am 30. August 1758 kommt er zurück nach Tamsel, kurz nach der Schlacht von Zorndorf. „Das Schloss ist von Russen ausgeplündert, (...) alles ist wüst, öde, halb verbrannt“, schreibt er.

Der Friede kam, das verwüstete Tamsel blühte wieder auf. Der Park wurde Jahr für Jahr schöner. Am 31. Mai 1840, am hundertsten Jahrestag der Thronbesteigung Friedrichs II., wurde ein Denkmal im Park enthüllt, auf der Spitze eine vergoldete Viktoria. Das anwesende Volk war verblüfft. „Ick dacht, et süll die olle Fritz sinn, un nu is et sine Fru“, soll ein alter Bauer gerufen haben.

Das Denkmal gibt es noch, übersät mit Einschusslöchern. Die Soldaten des sowjetischen Marschalls Schukow haben zum Spaß darauf geschossen, weiß Gästeführer Klaus Ahrendt. Das Schloss selbst diente dem Marschall als Hauptquartier und blieb unzerstört. Nach dem Krieg war es Kindergarten, Krankenhaus, Büro eines Agrarbetriebes. Anfang 2000 wurde es, nun im Besitz der Gemeinde Witnica, mit Fördermitteln der EU gesichert, neue Fenster wurden eingesetzt, das Dach repariert. Seit Jahren steht es zum Verkauf, rund 1,5 Millionen Euro soll es kosten. „Es gab informelle Gespräche und formelle Ausschreibungen“, sagt Grzegorz Zaloga, Berater der Gemeinde Witnica. Nichts habe bisher zum Ergebnis geführt. Dabei erscheint doch ein Gebäude mit dieser Geschichte wie geschaffen, ein wunderbares Schlosshotel daraus zu machen.

In dieser Region Polens liegen Licht und Schatten nah beieinander. In Slonsk (Sonnenburg) gibt es die akribisch restaurierte Johanniterkirche. Seit 1550 wurden Johanniter hier zum Ritter geschlagen. Aber Sonnenburg steht auch für die Gräuel der Nazis. 1939 hatten sie ein ehemaliges Zuchthaus zum Konzentrationslager umgewandelt. Vor allem Widerstandskämpfer und angeblich „deutschfeindliche Personen aus dem besetzten Ausland“ wurden hier festgehalten. Als die sowjetische Armee 1945 näher kam, erschoss die Gestapo die 800 verbliebenen Häftlinge.

Astrid Molder bringt uns weg von diesem düsteren Ort. Sie ist Führerin im Nationalpark Warthemündung, dem angeblich größten Vogelschutzrevier Mitteleuropas. Die Polen haben das Gebiet nahe Küstrin „Vogelrepublik“ getauft. Das passt. Denn plötzlich ist da nur noch ein Schnattern, Krähen, Krächzen, Tuten. 260 Vogelarten sind in dem 8000 Hektar großen Überschwemmungsgebiet gezählt worden. 170 Wasser- und Watvögel brüten hier. Schnepfen, Seiden- und Nachtreiher, Schwarzhalstauben, Seeadler kann man entdecken. „Die Trauerseeschwalbe brütet direkt auf den Teichrosen“, erzählt Astrid Molder.

Flügelschlagen, überall am Himmel. Darunter Weite aus Wasser und Grün. „Nirgends eine Stromleitung oder ein Mast“, sagt ein Besucher begeistert. Rund 200 000 Vögel halten sich hier auf, im Frühjahr und Herbst sogar doppelt so viele, wenn die Zugvögel hier rasten. Auch Graugänse sind darunter. Heute wie einst fliegen sie über die Festung Küstrin. Ihr Anblick, ihre Freiheit, mögen Kronprinz Friedrich vielleicht getröstet haben, in jenen traurigen Novembertagen 1730.

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