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Vogelsang

© picture alliance

Eifel: Größenwahn treppauf, treppab

In der Eifel liegt die Ordensburg Vogelsang, einst eine Kaderschmiede der Nazis. Jetzt soll hier eine Begegnungsstätte entstehen.

Am „Feuermal“ stockt uns der Atem. Ein älterer glatzköpfiger Mann hat sich vor dem sechs Meter hohen „Fackelträger“ in Positur gestellt, um sich von seiner Begleiterin fotografieren zu lassen. Das martialische Standbild steht auf dem Gelände der Ordensburg Vogelsang, die die NSDAP zwischen 1934 und 1936 auf einer markanten Bergschulter errichten ließ. Eine Pilgerstätte für Altnazis? Hier, im Herzen des Nationalparks Eifel? Die Aufregung ist vergeblich. Der Holländer Theodor C. ist Tourist und gehört zur anderen Geschichte der NSDAP-Immobilie.

Die begann 1946, als die Engländer die verlassene Ordensburg und ehemalige Kaderschmiede der Nazis samt Umgebung für Truppenübungen requirierten. Wenig später übernahmen die Belgier das Sperrgebiet, um es bis Ende 2005 für Manöver zu nutzen. Als Wehrdienstleistender war Theodor C. hier 1957 drei Wochen lang stationiert. Grinsend zeigt er ein abgegriffenes Schwarzweißfoto, auf dem er als junger Mann dem „Fackelträger“ in schwindelerregender Höhe im Nacken sitzt.

Vom „Feuermal“ aus, dem einstigen Kultplatz der Braunen, bleibt der Rest der Ordensburg unsichtbar. Die Bildungskaserne der Nazis versteckt sich hinter Schwarzkiefern, die seit 60 Jahren ungehindert wachsen durften.

Um die Dimension der Anlage zu erkennen, muss man zur Bruchsteinmauer absteigen, hinter der das Gelände steil zum Urft-Stausee abfällt. Sofort erkennt man, dass es die Nazis auf eine landschaftsästhetische Gesamtkomposition abgesehen hatten. Entlang einer Symmetrieachse zieht sich die Bebauung bis zum Horizont hinauf. Den Vordergrund bilden zwei in den Hang eingelassene Gebäude – die Sport- und Schwimmhalle. Auf ihrer Innenseite führen breite Treppen zu den steinernen Tribünen des Sportplatzes hinauf, der wiederum mit der „Thingstätte“ verbunden ist – einem aus Grauwacke gebauten Amphitheater mit 800 Sitzplätzen. Bergseitig folgen nun die symmetrisch am Hang verteilten „Kameradschaftshäuser“. Ganz oben thront ein dunkler Komplex wuchtiger Gemeinschaftsgebäude, aus dem ein schlanker Turm in den Himmel ragt.

Von einer eigenständigen Naziarchitektur kann freilich keine Rede sein. Clemens Klotz, der aus Köln stammende Hausarchitekt der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), wählte Versatzstücke aus allen Stilepochen. Wären sie nicht so düster erdschwer, die Bauten würden an die Neue Sachlichkeit der Bauhaus-Architektur erinnern.

Aus der Nähe besehen zeigt sich die Barbarei der damals Herrschenden ohnehin sehr schnell. Zum einen steckt hinter den archetypischen Steinfassaden überall nur Stahlbeton. Zum anderen folgt die Innenraumgestaltung der Logik der Indoktrination und damit gänzlich architekturfremden Prinzipien. Das gilt vor allem für die acht noch erhaltenen „Kameradschaftshäuser“. Einige der sich in den Hang duckenden Flachbauten haben noch Schlafräume im Originalzuschnitt. 25 „Junker“ schliefen hier in einem einzigen Saal, nur durch Spinde und spanische Wände voneinander getrennt. Der Sinn dieser Konzeption ist klar: den künftigen Kreis- und Gauleitern sollte jeglicher Individualismus ausgetrieben werden. „Die Gemeinschaft ist alles, der Einzelne nichts“, lautete das fragwürdige Motto.

Die „Kameradschaftshäuser“ sind vorerst nur von außen zu besichtigen. Wegen der rutschigen Treppen dürfen auch „Thingstätte“, Sportanlagen und Tribünen noch nicht betreten werden. Die Standortentwicklungsgesellschaft, die Vogelsang seit dem Abzug des Militärs verwaltet, hatte seit 2005 Wichtigeres zu tun, als alle Winkel der 100 Hektar umfassenden Anlage sofort begehbar zu machen. Ihre Hauptaufgabe ist es, die endgültige Trägerschaft für dieses schillernde Kulturdenkmal zu klären und ein Nutzungskonzept zu erarbeiten, das den Regeln der Betriebswirtschaft genügt. Mittlerweile ist klar, dass die architektonische NS-Altlast in eine Stätte internationaler Begegnung verwandelt werden soll, mit einem Informations-, einem Ausstellungs- und einem Bildungsbereich sowie einem „Europa-Zentrum für Jugend und Familie“, das das Deutsche Jugendherbergswerk realisieren will. Um zu verhindern, dass die Besucher völlig uninformiert durchs Gelände streifen, wurde in der ehemaligen Kantine bereits eine „Basisausstellung“ eingerichtet. In welche Räumlichkeiten die eigentliche NS-Dokumentation einziehen wird, soll nun im Zuge eines Architekturwettbewerbs geklärt werden. Für den Fachbeirat aus renommierten Historikern ist klar, dass man derart belastete Orte nur dann wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen darf, wenn es gelingt, ihnen eine neue Identität zu geben.

Den besten Überblick über Geschichte und Gegenwart von „Vogelsang“ bekommt man bei einer Führung. Besonderes Glück hat, wer mit Luc Bruylandt unterwegs ist. Bis zu seiner Pensionierung war er Versorgungsoffizier der Belgier und kennt die Baulichkeiten der Nazis daher wie seine Westentasche. Im oberen Teil diente der sogenannte Bergfried als profaner Wasserspeicher, direkt darunter befand sich jedoch das Allerheiligste der Anlage, die „Ehrenhalle“. In ihr stand eine weitere NS-Identifikationsfigur – die vier Meter hohe Holzplastik „Der deutsche Mensch“. Im Angesicht des kraftstrotzenden Athleten wurden seinerzeit braune Hochzeiten besiegelt.

Nicht weniger spannend ist es, zu erfahren, was alles nicht entstanden ist: das gigantomanische „Haus des Wissens“ etwa, auf dessen 100 mal 300 Meter großem Fundament die Belgier später ihr Kasernengebäude errichteten. Unrealisiert blieben auch das 2000-Betten-Hotel der „Kraft durch Freude“-Organisation, die Reithalle für 3000 Pferde und das Freischwimmbad mit 200-Meter-Bahnen, das Teil der größten jemals erbauten Sportanlage werden sollte.

Dass die Nazis beim Bau der Anlage zügig zu Werke gingen, hatte einen einfachen Grund: Als Hitler 1933 die Macht übernahm, bestand der treueste Teil seiner Anhängerschaft aus ungebildeten Rabauken und Schlägern, die man unmöglich an die Schaltstellen eines „Tausendjährigen Reichs“ lassen konnte. Neben zahllosen „Adolf-Hitler-Schulen“ und einer Parteihochschule sollten nun insgesamt vier Ordensburgen gebaut werden. Vollendet wurden nur drei dieser Eliteschulen: am pommerschen Crössinsee, im Allgäuer Sonthofen und eben „Vogelsang“ in der Nordeifel – die erste, größte und wichtigste Ordensburg.

Nach nur anderthalbjähriger Bauzeit bezogen hier im Mai 1936 die ersten 500 Jungmänner ihre Quartiere. Den Vormittag verbrachten sie im Hörsaal, wo vor allem Rassenlehre, Geopolitik und Weltanschauung gelehrt wurden, nachmittags wurden die Körper gestählt – mit Leichtathletik, aber auch mit Mutproben und Kampfsportarten wie Fechten und Boxen. Schulische Leistungen spielten für die Aufnahme keine Rolle.

Doch schon 1939, bevor die ersten Braunhemden ihre dreieinhalbjährige Ausbildung abgeschlossen hatten, war der Spuk vorbei. Der fanatisierte Nazinachwuchs wurde direkt an die Front geschickt.

Auskunft: Forum Vogelsang, Telefon: 024 44 / 91 57 90; www.vogelsang-ip.de

Literatur: Franz Albert Heinen: Vogelsang. Helios-Verlag, 4. Auflage 2005, 224 Seiten, 34 Euro

Gerhard Fitzthum

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