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Reise: Ein Hügel für den Überblick Wer in unverbauter Landschaft Ferien macht, erholt sich besser

Wie es im Zillertal war? „Sehr schön“, schwelgt der Rückkehrer.

Wie es im Zillertal war? „Sehr schön“, schwelgt der Rückkehrer. Und auf den Malediven? „Traumhafter Strand, einfach wundervoll“, freut sich die Urlauberin noch Wochen später. Von solchen und anderen Aussagen wimmelt es auch in Urlaubskatalogen: „herrliche Landschaft“, „reizvolle Küste“, „bezaubernde Natur“ oder „toller Anblick“. Offenbar meinen die Werber, jeder verstünde sie sofort, wenn sie eine Ferienregion mit solchen Ausdrücken belegen. Aber erfassen die Leser wirklich, was damit gemeint ist?

Diese Frage ist alles andere als unerheblich. Wenn eine Landschaft anziehend wirkt, lockt sie viele Urlauber und Siedler an – und damit auch viel Geld. Soll eine Autobahn durch ein hübsches Alpental geführt werden, stößt das in der Regel auf mehr Widerstand, als wenn es um platte, baumlose Maisfelder geht, die genauso aussehen wie die Äcker zehn Kilometer weiter.

Als schön empfundene Landschaften haben sogar das Bundesnaturschutzgesetz auf ihrer Seite. Nach ihm sind Natur und Landschaft nämlich so zu schützen und zu pflegen, dass die „Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind“. Was aber meint das Gesetz mit „Schönheit“?

Hier gilt das alte Wort des griechischen Philosophen Sokrates, wie es sein Schüler Platon überliefert hat: „Wir wissen, was schön ist, aber wir wissen nicht, was das Schöne ist.“ Kein Richter, der nach dem Bundesnaturschutzgesetz ausdrücklich auch dazu angehalten ist, die „Schönheit" beispielsweise eines Moores zu schützen, könnte präzise belegen, warum genau er einen Baustopp verfügt oder bestätigt, um ein seiner Ansicht nach „schönes“ Moor zu retten – hier können er oder hinzugezogene Experten letztlich nur subjektiv entscheiden und darauf hoffen, dass kein öffentliches Kopfschütteln erfolgt.

Das geschieht jedoch meist nicht. Manche Fachleute nehmen an, dies liege schon daran, dass alle Menschen gemeinsame afrikanische Vorfahren mit ähnlichen Vorlieben haben, die förmlich in unser Erbgut eingebrannt sind. Demzufolge bevorzugen Menschen in der Regel halb offene Landschaften ähnlich jenen afrikanischen Savannen, in denen sich der moderne Mensch zum aufrecht gehenden Zweibeiner entwickelte.

Der englische Geograf Jay Appleton hat daraus 1978 seine „Schutz-und-Ausblick-Theorie“ entwickelt, wonach solche Landschaften am schönsten empfunden werden, die sowohl einige Hügel als auch Baumgruppen aufwiesen, so dass zwei zentrale menschliche Bedürfnisse befriedigt werden: die Übersicht zu wahren und sich verbergen zu können. Mit anderen Worten: Beute- und Raubtiere rechtzeitig zu entdecken, aber von Fressfeinden nicht gesehen zu werden.

Doch Appletons Theorie ist umstritten. „Es gibt kein genetisches Gedächtnis“, sagt der Landschaftsarchitekt Werner Nohl, der in Kirchheim bei München eine Werkstatt für Landschafts- und Freiraumentwicklung betreibt. Dass Menschen gerne auf Hügel oder gar Berge steigen, erklärt Nohl ganz funktional: „Wir brauchen Überblick. Damit entsprechen wir nur den Voraussetzungen des Sehens.“

Nohl zufolge spielen bei den Werturteilen über Landschaften frühe Erinnerungen, aber auch spätere Erfahrungen die entscheidende Rolle. So würden „heimatliche Landschaften von den betroffenen Menschen immer auch als schöne Landschaften erlebt“ – auch wenn Zugereiste dies anders sehen mögen.

Wer etwa in der Norddeutschen Tiefebene aufgewachsen ist, den kann schon ein 500 Meter hohes Mittelgebirge bedrücken, weil der Blick nicht weit schweifen kann. Und ein Inuit („Eskimo“) dürfte die sanft gewellte mecklenburgische Seenplatte trotz ihrer für Mitteleuropäer unbestreitbaren Reize eher irritierend finden – obwohl auch seine frühen Vorfahren in Afrikas Savannen auf die Jagd gingen.

Nach einer weit verbreiteten Deutung bevorzugen die Stadtmenschen von heute naturnah erscheinende Landschaften , weil sie unserer beanspruchten Psyche Genesung verheißen: „Dort können wir uns von seelischem und körperlichem Stress erholen und unsere Kräfte erneuern, die wir brauchen, um uns wieder unserer alltäglichen Arbeit widmen zu können“, sagt der Psychologe Terry Hartig von der Universität Uppsala.

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