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© ITAR-TASS

Reise: Ein Riese in Not

Der Baikalsee, 1637 Meter tief, ist ein Naturwunder. Wissenschaftler sorgen sich um seine Zukunft

Wie ein kostbares Juwel liegt er da – der Baikal, im Süden Sibiriens. Spätestens seit den Filmen und Büchern von Klaus Bednarz ist er auch ein Sehnsuchtsort deutscher Reisender, die dort die größte Gruppe der ausländischen Besucher bilden. Und doch – sein Zauber ist schwer zu fassen. Ist es sein immenser Artenreichtum, zu großen Teilen sogar endemisch, also nur hier vorkommend, der nur mit den Galapagos-Inseln vergleichbar ist? Genannt seien nur die Baikalrobbe und der vorzügliche Speisefisch Omul. Ist es sein magisches Blau, sein unvergleichliches Farbenspiel im Wechsel der Jahreszeiten und Landschaften? Oder die fragile und doch gewaltige, mit Stürmen, extremen Temperaturen, Erdbeben mitunter sogar bedrohliche Natur? Unesco-Weltnaturerbe und ein See der Superlative ist er ja ohnehin, nämlich der tiefste (1637 Meter), älteste (rund 25 Millionen Jahre) und dank des ebenso winzigen wie gefräßigen Krebstierchens Epichura, das jeder kleinsten, die Sicht trübenden Kieselalge den Garaus macht, auch der klarste See der Welt. Noch.

Denn nachdem Anfang des Jahres endlich der bis dahin größte Verschmutzer des Sees, das Zellulosewerk in Baikalsk – wenn auch hauptsächlich aus Rentabilitätsgründen – geschlossen wurde und die geplante Ölpipeline nun in sicherer Entfernung zum Baikal verlaufen soll, droht neues Ungemach.

Genau damit befasste sich jüngst eine Konferenz aus Anlass des Jubiläums „Living Lakes – Zehn Jahre Partnerschaft am Baikalsee“, veranstaltet vom Global Nature Fund (GNF) sowie den russischen Umweltschutzorganisationen Gran und Firn in Ulan-Ude, Hauptstadt der Republik Burjatien am Ostufer des Baikal. Ein wichtiges Ziel der vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums geförderten Konferenz war die Planung neuer Vorkehrungen im Sinne des Umweltschutzes.

Denn die Zahl der Touristen ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Allein aus China kommen je 300 Menschen zählende Reisegruppen an. Die nur mit geringen Mitteln ausgestatteten Gemeinden werden der Probleme durch den wilden Tourismus nicht mehr Herr, Müllwüsten schon zum gewohnten Bild, und die Autoreifen der Camper zerstören die empfindliche alpine Vegetation in den Uferbereichen. So fordern die Konferenzteilnehmer in ihrer Resolution nicht zuletzt eine Kontrolle dieses Phänomens und betonen die Wichtigkeit einer Flächennutzungsplanung.

Marion Hammerl, Präsidentin des GNF, sieht manche Vorhaben mit etwas Sorge. Etwa die ehrgeizigen Pläne des Wirtschaftsministeriums in Ulan-Ude, Burjatien auf dem touristischen Weltmarkt zu positionieren und die Zahl der Touristen von derzeit 300 000 binnen sieben Jahren auf zwei Millionen zu steigern. Dazu die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone, wo ein Hotelkomplex mit bis zu 7000 Betten und einem Jachthafen entstehen soll.

„Natürlich hat die Bevölkerung in der Region ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung und einen verbesserten Lebensstandard“, sagt sie. „Besser wäre jedoch ein Ausbau in Phasen, um die Auswirkungen auf den See beobachten und im Notfall gegensteuern zu können.“ Denn der Baikal vertrage nur einen nachhaltigen Tourismus, ist man sich einig. Und Marion Hammerl weist auf die Wichtigkeit internationaler Standards hin, die nun in der „Global Baseline Criteria for Sustainable Tourism“ zusammengefasst wurden, um dem Wirrwarr von mehr als 60 Ökolabels im Tourismus ein Ende zu bereiten.

Nina Dagbaeva, Leiterin des Baikal-Informationszentrums Gran, das hervorragende Arbeit in der Umweltbildung leistet, meint zur Zusammenarbeit zwischen NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und Behörden: „Inzwischen erfahren wir größere Anerkennung von staatlicher Seite. Es gibt auch mehr Zusammenarbeit. Aber leider wurden durch die Wirtschaftskrise die finanziellen Mittel stark gekürzt und viele Projekte gestrichen.“

Von finanziellen Nöten geprägt ist auch die Arbeit in den Nationalparks. Auf dem 230 000 Hektar großen Areal sind 66 Personen beschäftigt. Die zehn Millionen Rubel, die Moskau dem Park jährlich zugesteht, reichen theoretisch für ein durchschnittliches Monatsgehalt von umgerechnet 280 Euro. Das reicht selbst in Burjatien kaum zum Leben. „Wie soll davon noch Benzin, neue Fahrzeuge oder andere Ausrüstung gekauft werden?“, fragt Stefan Hörmann, Projektleiter des GNF in Bonn, nach einem Besuch im ZabaikalskyNationalpark.

Besorgniserregend ist ebenfalls der Verschmutzungsgrad des Baikal durch die Selenga, der mittlerweile dem des ehemaligen Baikalsker Zellulosewerks gleichkommt. Zwar hat der Baikal weit mehr als 300 Zuflüsse, doch etwa die Hälfte des Wassers wird durch die Selenga zugeführt. Der aus der Mongolei kommende Fluss ist nicht nur mit den Abwässern der anliegenden Städte und Dörfer belastet, da effiziente Kläranlagen weitgehend fehlen. Er transportiert auch hochgiftiges Quecksilber und Cyanid aus den mongolischen Goldminen. Inwieweit diese Stoffe noch durch das mächtige Flussdelta herausgefiltert werden können, wird derzeit untersucht.

Burghard Rauschelbach, Programmleiter für Tourismus und nachhaltige Entwicklung bei der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), bedauert, dass auf der Insel Olchon die Chance vertan wurde, beispielgebend eine hocheffiziente, dezentrale Energieversorgung einzuführen. Damit wäre die Insel auch vor einer Verschandelung mit Strommasten bewahrt geblieben. In seinem Vortrag zur Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus mit verschiedenen Handlungsfeldern betont er die Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit. Gerade in der Baikalregion mit ihren vielen Ethnien könne ein rücksichtsvoller Tourismus den kleinen, traditionell lebenden Volksgruppen die Existenz sichern.

Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesumweltministeriums, unterstreicht die Bedeutung des Baikal als Erbe der gesamten Menschheit und sieht seinen Besuch der Konferenz vor dem Hintergrund, für den Erhalt dieses einzigartigen Naturphänomens in Russland kontinuierlich zu werben. Wichtig sei auch ein verständnisvoller Umgang mit der Argumentation der russischen Regierung in Richtung Westen: „Ihr habt bereits so viel Natur kaputtgemacht, wir haben noch genug davon, und da mischt ihr euch ein?!“

Beeindruckt zeigte sich Müller von der Arbeit der NGOs und möchte die Initiativen an Ort und Stelle gern finanziell besser unterstützen, es komme aber darauf an, Zivilgesellschaft und demokratische Strukturen zu stärken. Müller bedauert den eher mäßigen Erfolg eines Abfallwirtschaftsprojektes auf der Insel Olchon, das unter anderem auch mit Mitteln des Bundesumweltministeriums unterstützt wurde.

Nach Meinung der Inselbewohner scheiterte das ambitionierte zweijährige Projekt letztlich an bürokratischen Hindernissen, ungeklärten Zuständigkeiten und fehlenden Geldern. Und so blicken die Bewohner Olchons frustriert auf die vermüllten Wiesen und Wälder, während die Nachkommen der letzten Mustangs in der Steppe zwischen Strommasten umherziehen.

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