zum Hauptinhalt
Günstige Maß. Im Brandenburger München kostet der Liter Bier 6,00 Euro. Auf der echten Wies’n werden rund 9, 50 Euro fällig.

© dapd

Et is anjezappt: Münchner Wies'n in Brandenburg

Wer zum Oktoberfest will, muss nicht nach Bayern. Eine Münchner Wies’n gibt es auch in Brandenburg.

Die Münchener Wies’n ist nicht zu verfehlen. Unmittelbar vor der Flussbrücke breitet sie sich aus. Jedenfalls, wenn man von Langennaundorf kommt, links vor einem Hofgebäude, mit dem Ausmaß eines Fußballfeldes. Einen Steinwurf weiter plätschert die Schwarze Elster müde in Richtung Elbe, es hat eine Weile nicht geregnet. Diesseits des tranigen Gewässers wird in diesen Tagen wieder das aufgekratzte Münchener Oktoberfest gefeiert, heuer von Freitag, 5., bis Sonntag, 7. Oktober. 8000 bis 9000 Besucher werden erwartet, es gibt Musi, Maßbier und Masthendl. Auch die Wies’n am Elsterstrand beginnt mit einem Anstich; in diesem Jahr wird sich wohl der örtliche Kreissparkassenchef mit dem Holzschlegel abmühen, um das Fass vom original Hofbräubier zu befreien. Anjezappt statt „O’zapft is“.

„Die Maß kostet bei uns sechs Euro“, sagt Matthias Winter, hauptberuflich Cafetier in Uebigau, nebenamtlich Wies’nwirt in München an der Elster. Damit wird der Liter etwa 3,50 Euro unter dem Preis sein, der beim konkurrierenden Oktoberfest in München an der Isar gefordert wird. Auf Flohzirkus und Rübe-ab-auf-geht’s-beim-Schichtl müssen die märkischen Münchner verzichten. Auch auf Fahrgeschäfte, dafür gibt’s am Sonntag einen Gaudilauf, der von Schweinfurth über Bali (Bad Liebenwerda) nach München führt. Danach wird ebendort ein „Wies’ntriathlon“ ausgerichtet, irgendwas mit Maßkrugstemmen, Weißwurstwettzutzeln und Brezenweitwurf. DJs und Partybands spielen dazu auf, aber auch die Original Falkenberger Blasmusikanten und das Schalmeienorchester Lindau/Rudelsdorf.

Wer sich von alldem angemessen erholen will, kann sich ins benachbarte Schloss Uebigau zum Ausschlafen zurückziehen; die Chancen stehen immer gut, einen Schlafraum mit Fenster zum Schlosspark und Teich zu bekommen, um von quakenden Fröschen zum Frühstück geweckt zu werden. Das Schloss wird gerne von umherziehenden Radwanderern, brainstormenden Briefmarkensammlern- oder Fotoamateurclubs gebucht, weil die Übernachtung günstig ist – die Doppelstadt Uebigau-Wahrenbrück betreibt das Anwesen als „Schlossherberge“ mitten im historischen Kern von Uebigau, der in den vergangenen 20 Jahren so vorbildlich saniert wurde wie die St.-Nicolai-Kirche nebenan.

„Es begibt sich offt vil / ehe man den löffel zum maul bringt“, ist an der Fachwerkfassade des Ortsmuseums zu lesen. Ungefähr aus der Zeit ist diese bauernschlaue Volksweisheit überliefert, als Johann Friedrich von Schönberg in Uebigau (1543–1614) lebte. Er verfasste das „Schiltbürgerbuch“, für das er wahrscheinlich die Lebens- und Sagenwelt der Bürger von Schilda verarbeitete – die Gemeinde Schilda ist wenige Kilometer östlich gelegen und hat bis heute einen Ruf weg, den sie eigentlich nicht verdient hat.

Denn die Menschen waren dort eher gescheiter als woanders – so sparten die Schildaer Bürger beim Kirchbau an der Nordfassade ihres feldsteinernen Gotteshauses von vornherein die Fenster aus, was ihnen von tumben Zeitgenossen als Schildbürgerstreich ausgelegt wurde, aber energetisch und theologisch sinnvoll war. Nordfenster lassen keine Sonne und kaum Licht herein.

Heute neigen die Schildbürger dazu, ihre Gäste zu veräppeln. Lange verharrte ein schwarzer Hund, zum Gotterbarmen angeleint und einen leeren Wassernapf vor sich, am Ortseingang und starrte jeden Passanten an, ein sehnsüchtiges „Bitte-bitte-nimm-mich-Mit“ im Blick. Das Tier, ein verblüffend originalgetreues Abbild aus Ton, machte so manchen Durchreisenden närrisch, der es von der Zwangsleine befreien wollte.

Als wären sie von einem bier- und brezelseligen Ausflug zurückgekehrt

Wer der Narretei von Schilda zum Opfer fällt, will sich nicht auch noch vom schiefen Turm von Langennaundorf ins Bockshorn jagen lassen. Ist er nun schief oder ist er es nicht, der Fachwerkturm der Langennaundorfer Kirche? Genaueres ist ausgangs des Ortes in einem so gutsortierten wie unerwarteten Fischbistro Suhr (Gänsebusch 1) zu erfahren, vor dem mittags zahlreiche Monteure, Vertreter, Rad- und Bootswanderer rasten, aber auch einheimische Langennaundorfer. Antwort: Der Turm ist tatsächlich schief – rund 50 Zentimeter weicht er von oben bis unten von der Lotrechten ab und das soll, so heißt’s in der Fischbude, damit zu tun haben, dass bei Planung und Bau der sandige und nachgiebige Untergrund nicht hinreichend berücksichtigt wurde.

Eben jener märkische Sandboden bietet die besten Voraussetzungen für die jährlichen Reitturniere, die Sportler aus der gesamten Region nach Werenzhain locken, um mit ihren Pferden über Stangen und Gräben zu springen, während die nicht so fachkundigen Zuschauer Bratwurst und Bier vertilgen.

In Werenzhain, ein eher dämmriges Dorf wie so viele im märkisch-sächsischen Grenzland des Elbe-Elster-Kreises, öffnet sonntagnachmittags auch der Atelierhof, ein gut erhaltener Vierseithof, in dem zurzeit Exponate von heimischen und koreanischen Künstlern gemeinsam ausgestellt werden. Hübsch ironischer Titel: „Ost trifft Fernost“. Nebenan hat der damalige Gutspächter Glix vor 125 Jahren die Inschrift „Unter allen Wipfeln ist Ruh. Göthe“ anbringen lassen, was Germanisten heute ins Grübeln bringen könnte. Was hat der Autor von „Über allen Gipfeln ist Ruh“ mit den abgekupferten „Wipfeln“ von Johann Daniel Falk zu tun? Und darf man den Namen eines Titanen mit einem banalen Umlaut verunstalten? Wer noch ein Thema für eine Doktorarbeit sucht, könnte zwischen dem ehemaligen Glixschen Lehn-Schank-Gut und der Dorfkirche fündig werden.

Die anderen begeben sich ins wenige Kilometer entfernte Doberlug-Kirchhain und nähern sich, am besten über die Unter-den-Linden-breiten-Anlagen, dem Barockschloss und der Klosterkirche Doberlug. Das Schloss wird grundsaniert und soll ab 2015 Ausstellungen zu Brandenburgs Gegenwart und Geschichte beherbergen. Wer schon heute einen Blick ins Innere wagt, ahnt, warum eine solche Sanierung ähnlich zeitaufwendig sein kann wie der Brandschutz am Berliner Großflughafen. Aber es deutet sich an, dass dies eine der prächtigsten Schlossanlagen sein wird, derer sich die brandenburgischen Denkmalpfleger angenommen haben.

Deren Arbeit in der benachbarten Klosterkirche ist abgeschlossen. Besonders eindrucksvoll fallen einige Exponate aus, die kunst- oder kulturhistorisch unbedeutend sein mögen. Wer sich von der Remise dem Kircheneingang nähert, den begleitet das zahnbewehrte Grinsen eines Wasserspeiers mit aufgeworfenem Maul. Ein Albtraum! Im Kircheninneren dann ein Lehrstück in Sprachwandel: Fast 300 Mal, so weist es ein Poster rechts hinter dem Eingang aus, hat der Ortsteil seinen Namen geändert, bis aus Dobraluh (um 1005) das heutige Doberlug wurde. Links neben dem Altar hocken gut genährte, von Holzwürmern angebohrte Figuren rund um den baumhohen Taufstein. Eine grinst feister, glücklicher und satter als die andere. Fast wirken diese Taufbengel von Doberlug, als wären sie gerade von einem bier- und brezelseligen Ausflug zurückgekehrt, zum Beispiel vom Oktoberfest in München an der Elster.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false