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Die Alpen immer im Blick. Von „Schwäbischen Meer“ bis zum Königssee in Oberbayern führt ein Radweg, der es in sich hat. In jeder Beziehung.

© Karl-Josef Hildenbrand / picture alliance / dpa

Bayern: Eine Welt, wie blankgewaschen

Der Radweg Bodensee–Königssee führt durch ein weiß-blaues Bilderbuch. Bayerische Heimat, die Fremde willkommen heißt.

Wir sind weder Könige noch Bayern noch haben wir fünf Wochen Zeit. Wie Maximilian II., der im Sommer des Jahres 1858 zu einer ungewöhnlichen Reise aufbrach: von West nach Ost durch sein Land – von Lindau am Bodensee zum Königssee, immer an den Alpen entlang. Er wollte Land und Untertanen besser kennenlernen. Wir folgen – in einigem Parallelabstand – der königlichen Reiseroute durchs Voralpenland. Statt wie Max II. kleine drahtige Norwegerpferdchen satteln zu lassen, wenn das bergauf, bergab allzu beschwerlich wurde, vertrauen wir auf die Schubkraft der E-Bikes.

In sieben Tagesetappen strampeln wir durch ein Bilderbuchpanorama mit saftigen Wiesen, gezackten Bergen, flaschengrünen Seen und herausgeputzten Dörfern – so idyllisch, so kitschig-schön wie die Kulisse der Vorabendserien im Fernsehen, wo gütige Bergdoktoren Familienzwiste heilen oder leicht depperte Dorfpolizisten Mörder stellen. Wie beschrieb es der Reisebegleiter von König Max, der Dichter Friedrich Bodenstedt: „Ein herrliches, blankgewaschenes, farbenfrohes Stück Welt (...) in wechselvollem Reiz von Berg, Wald und Wasser.“

Wir starten unsere Tour in Lindau am Bodensee, der einzigen, aber eher mediterran als bajuwarisch anmutenden Hafenstadt Bayerns. Schon auf dieser ersten Etappe hinauf ins Allgäuer Alpenvorland singen wir bald das Hohelied auf den Elektroantrieb unserer Fahrräder. Denn was von Weitem wie lieblich sanfte Hügel aussieht, erweist sich oft als hundsgemeine Steigung. Auf unserer zweiten, der Königsetappe, klettern wir bei Oy-Mittelberg auf fast 1000 Meter. „I schwitz wie a Sau“, schnauft ein Radler dort oben. Es bleibt nicht die einzige deftige Steigung, bei der selbst uns E-Bikern der Schweiß auf den Lenker tropft.

Elektroradler haben gut lachen

Mit unseren E-Bikes gehören wir allerdings zur wachsenden Gruppe der „Genussradler“. Die Wirtsleute erkennen das schon von Weitem: „Wer mit einem Lachen bei uns ankommt, hat einen Motor unterm Hintern.“ Tatsächlich macht der Elektroantrieb die Tour zum Radelvergnügen und hat dem Bodensee–Königssee- Radweg deshalb in den vergangenen Jahren gehörig Auftrieb beschert.

Entlang des Bodensees hatten wir uns auf dem Radweg noch wie auf einer Autobahn mit anderen gedrängelt. Hier dagegen herrscht grandiose Weite. Zwar leitet uns das weiß-blau-grüne Logo auch über unbefestigte Waldwege mit Schotter, auch mal entlang stark befahrener Bundesstraßen. Doch überwiegend führt die Strecke über Landwirtschaftssträßchen, die sich sanft durch die Landschaft schwingen – drei Meter breit, kilometerweit überschaubar und glatt asphaltiert wie frisch gefegt. Wir können 60, 70 Kilometer am Stück radeln, ohne ein einziges Schlagloch umfahren zu müssen. Willkommen im Bundesland ohne Verkehrsinfrastrukturprobleme!

Vor allem rund um die großen Seen sind zwar zahlreiche Tagesausflügler auf der Strecke. Aber die Mitradler, die wie wir samt Gepäck zum Königssee unterwegs sind, verschwinden rasch auf der 420-Kilometer-Strecke. Wir können sie an zwei Händen abzählen. Man grüßt sich mit einem „Pfiat euch“, „Servus“ oder „Hallo“ und schwärmt auf einer der vielen Rastbänke gemeinsam von den „traumhaften Ausblicken“, „den glasklaren Seen“ oder diesen „idyllischen Dörfern, wo alles noch so paradiesisch, so friedlich aussieht“.

Die ganze Gegend zeigt behäbige Wohlhabenheit

Spätestens nach drei Tagen möchten wir glauben, die Welt bestehe aus nichts anderem als sattgrünen Wiesen, malmenden Kühen und properen, frisch geweißten Gehöften mit blühenden Geranienkissen an den Balkonen. Hier wird die Kirche noch häufig im Dorf gelassen, um von ferne wie eine aufgespießte Zwiebel oder ein angespitzter Bleistift in den Himmel zu ragen. Hier dampft der Misthaufen neben der Haustür und fast jeder Ort hat noch seinen Metzger für den Leberkäs, seinen Bäcker für die Brez’n und seinen Gasthof für die Maß. Es riecht nach Sommerkindheit, nach Heu, nach Kuhfladen und Kamille.

Füssen, Bad Tölz, Neubeuern – wir radeln durch traditionsreiche Handels- und Kurstädte, deren altehrwürdige Häuser frisch bemalt leuchten wie ein Freilichtmuseum. Wir passieren Dörfer – frei von Müll, Neonreklame und Discountern. Statt Graffiti prangt traditionelle Lüftlmalerei an den Hausfassaden und statt Landflucht sehen wir neue Wohnhäuser vom Feinsten. Alles wirkt so intakt, wie es des Königs Reisechronist, Bodenstedt, einst beobachtete. Die ganze Gegend, so schrieb er, zeige den „Anstrich oder Ausdruck behäbiger Wohlhabenheit“.

Neuschwanstein lassen wir links liegen

In Kochel am See sind Traditionen noch lebendig.
In Kochel am See sind Traditionen noch lebendig.

© Peter Kneffel/dpa

Von einem anderen Reichtum profitieren wir Radler neidlos selbst auf unserer Strecke – vom Reichtum an Natur und Kultur hier im Voralpenland: Alpsee, Hopfensee, Tegernsee, Chiemsee – irgendwann hören wir auf, die Seen zu zählen, in die wir zur Erfrischung hineinspringen können. Auch die Zahl der kulturellen Anziehungspunkte ist so reichlich, dass wir sie binnen der sieben Tage kaum verkraften:

Wir werfen bei Füssen einen kurzen Blick auf das ockerfarbene Schloss Hohenschwangau, um seinem Erbauer, Max II., einen Gruß zuzuwinken.

Aber schon Neuschwanstein, den protzig-verschnörkelten Spielzeugolymp seines Sohnes Ludwig gleich gegenüber lassen wir schnöde links liegen. Auch der Wieskirche, Bayerns berühmtester Rokokokirche mit jährlich einer Million Besuchern, statten wir nur einen Blitzbesuch ab. Dafür gönnen wir uns am Kochelsee ein Stück Moderne in schönster Lage – das kleine, feine Franz-Marc-Museum mit Expressionisten-Schätzen.

In Kochel begegnen uns auch die Begriffe, die befremdlich anmuten, hier aber selbstverständlich gelebt werden: Heimat, Tradition, Brauchtum. Am „Heimattag“ marschieren in Kochel Jung und Alt in prächtigster Tracht auf. Festtagsdirndl, Gamsbarthut, Seppelhose – wer etwas auf sich hält, demonstriert an diesem Tag mit stolzem Ernst und Selbstbewusstsein Heimatverbundenheit.

Die Reise war "wie ein liebes Buch"

Wobei das mit der Heimat auch hier so eine Sache ist. Klar, dass sie weiß-blau ist und tief in bayrisch-bäuerlicher Tradition verankert. Aber sie hat längst modernere und globalisierte Farbtupfer bekommen. Der Wirt vom „Bartlbauer“ am Schliersee heißt nun Angelo. Im Kloster Benediktbeuern ist an Mariä Himmelfahrt ein Gutteil der Kirchenbänke mit geflüchteten irakischen Christen besetzt, und in Rohrdorf sind in die Bäckerei Moosgruber Flüchtlinge mit afrikanischen Namen eingezogen, die ein Schild an der Haustür herzlich willkommen heißt und die morgens über die Dorfstraße zum Deutschunterricht in die Kirche radeln.

Das Ende der Tour naht, doch was ist das? Chiemsee, Jenner, Watzmann – von Wolkenschwaden einfach geklaut. Jetzt nicht beirren lassen, damit war zu rechnen. Und schließlich liegt er vor uns: tiefgrün, tiefgründig, tiefumwölkt – der Königssee. Er habe, resümierte einst König Max nach seiner Ankunft hier, in fernen Ländern sicher schon „überraschendere und gewaltigere Eindrücke“ gesammelt. Doch sei diese Reise „wie ein liebes Buch gewesen“, das man zwar schon oft durchgeblättert, nun jedoch erstmals im Zusammenhang gelesen habe.

E-Bikes helfen über die Höhen - Tipps fürs Radeln Bayern

ANREISE

Wer in der Bahn sein Rad mitnehmen will, ist auf einen IC angewiesen. Berlin– Lindau in zehn Stunden, zwei Mal umsteigen.

Mit MeinFernbus ohne Umsteigen von Berlin nach Friedrichshafen (etwa elf Stunden, begrenzte Anzahl von Fahrradplätzen, rechtzeitig buchen). Von dort aus knapp 30 Kilometer auf dem Bodensee-Radweg zum Startpunkt Lindau radeln. Rückreise nach Berlin mit MeinFernbus von Salzburg aus, 30 Kilometer vom Königssee entfernt.

Ohne eigenes Rad: mit ICE oder Flugzeug Berlin–Friedrichshafen (intersky).

FÜR DIE TOUR

E-Bikes gibt’s zum Beispiel beim Fahrradverleih „Der Radgeber“ in Lindau. Kosten: zwischen 16 und 20 Euro pro Tag. Rücktransport der Räder von Berchtesgaden aus für zwei Räder 240 Euro.

Der Bodensee–Königssee- Radweg gilt als „anspruchsvoll“ und für Kinder unter zwölf Jahren nicht geeignet. Wer ohne Elektroantrieb fährt, sollte für diese Tour zumindest zur Kategorie „sportlicher, gut trainierter Fahrer“ zählen. Insgesamt sind fast 4000 Höhenmeter zu bewältigen, darunter deftige Steigungen von 10 bis 15 Prozent. Erfahrene Radler wissen es es: Man muss auf jedes Wetter vorbereitet sein.

KULINARISCHES

Traditionelle Küche wird in Bayern großgeschrieben, doch es gibt auch Überraschungen. Etwa bei Axel Kulmus, dem „Kräuterwirt“ vom „Rössle“ im allgäuischen Stiefenhofen. Hinter der urigen Fassade seines jahrhundertealten Gasthofes steckt neben bayerischen Bauernmöbeln feinstes italienisches Design. Seine Küche mit den Heil- und Gewürzkräutern aus eigenem Garten hat einen Ruf. Zum Entree gibt es da Heusüppchen mit Chili-Bergkäse und zum Hauptgang Zanderfilet mit heißer Lavendel-Tomaten-Butter. So praktiziert er in seiner Küche eine Mischung aus „gutbürgerlicher Tradition und experimentierfreudiger Moderne“. Und beim monatlichen Musikantenstammtisch im „Rössle“ wird nach wie vor Zither gespielt, aber eben auch Jazz.

AUSKUNFT

Arbeitsgemeinschaft Bodensee–Königssee-Radweg (bodensee-koenigs see-radweg.de, Telefon: 080 25 / 924 49 52); dort gibt es auch Pauschalangebote. Die neuntägige Standardtour mit acht Übernachtungen/Frühstück zum Beispiel kostet ab 525 Euro pro Person im Doppelzimmer.

Vera Gaserow

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