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Trockengelegt. Der Seitenraddampfer „Riesa“, Baujahr 1897, ist im Binnenschifffahrtsmuseum am Oder-Havel-Kanal im Barnimer Land zu bestaunen.

© ullstein bild, K.-P. Studre

Binnenschifffahrtsmuseum: Die Last mit dem Kahn

Freiwillige engagieren sich, das Binnenschifffahrtsmuseum im brandenburgischen Oderberg über Wasser zu halten.

Hans Fuhrmann hat es eilig. „Mensch Junge, was soll ich sagen? Ich war Kapitän auf der ,Riesa‘. Die Elbe rauf bis nach Bad Schandau sind wir gefahren. Jetzt bin ich weit in die 80, da weiß ich doch heute nicht mehr, wann das war.“ Dann schiebt er sein Rad die Oderbrücke hinauf. Oben angekommen sitzt er auf und ist verschwunden. Derweil unten, an Land, liegt seit 1979 sein Pott, der Seitenraddampfer „Riesa“, auf dem Altenteil gewissermaßen. Er ist Glanzstück im Museumspark, mit dem sich das Binnenschifffahrtsmuseum in Oderberg zum Fluss hin öffnet.

Gut 2000 Einwohner zählt der Ort an der Alten Oder nach dem wendebedingten Exodus noch. 20 Kilometer von Eberswalde entfernt, gelegen zwischen dem Oderbruch im Südosten und dem Nationalpark Unteres Odertal im Nordosten. Hier zeugt nur noch wenig von der vielfältigen geschichtlichen Prägung, die Oderberg über Jahrhunderte durch Schifffahrt und Fischerei erfahren hat.

Der Ort hat sich zur Durchgangsstation gewandelt: Es gibt regen Ausflugsverkehr zu den nahe gelegenen Schiffshebewerken in Niederfinow, der alten Stahlkonstruktion von 1934 und dem neuen Betonkoloss, der im kommenden Jahr fertig werden soll. Es tuckern im Sommer nahezu täglich Passagierschiffe vorbei, etwa auf dem Weg von Potsdam nach Stettin und zurück. Manche legen auch mal kurz in Oderberg an. Schubverbände wälzen sich vorbei, vereinzelt sind Motorboote und Paddelboote zu sehen; die Behnitz, von der es heißt, dass sie einst die Grenze zwischen der Mark Brandenburg und Pommern markierte, plätschert hier so gänzlich ohne historische Größe als kleines Rinnsal in die Alte Oder. Und über allem die vergoldete Kogge, Wetterfahne auf der 1855 fertiggestellten Kirche St. Nikolai, an der der Geheime Oberbaurat Friedrich-August Stüler mitplante.

Dabei war der nahe gelegene Oderberger See im 19. Jahrhundert der größte Holzlagerplatz Norddeutschlands, gab es am Ort elf Sägewerke und 15 Werften, von der sich die letzte, die 1952 gegründete volkseigene Schiffswerft Oderberg, über die Wende hinweg bis 1994 halten konnte. Eine Gegend zumal, in der einhergehend mit wirtschaftlicher Entwicklung und zunehmendem Handel, schon seit 1620, mit dem ersten Finowkanal, Kanäle und Schleusen für immer größere Kähne gegraben wurden, Wasserstraßen für den später rasant zunehmenden Bedarf an Bau- und Rohstoffen der Industriemetropole Berlin. Nicht zu vergessen die gewerbsmäßige Fischerei nach Aal, Wels oder Hecht, die man in Oderberg jahrzehntelang ertragreich betrieb, solange sie nicht der expandierenden Flößerei im Wege war.

Dass die Erinnerung an das Auf und Ab der Binnenschifffahrt in und um Oderberg der Nachwelt noch erhalten bleibt, ist wesentlich Hermann Seidel zu verdanken. In einer „Heimatstube“ fing der Lehrer und Chorleiter aus Oderberg 1954 an, Zeugnisse aus der Gegend zu sammeln. Auch heute, bald 60 Jahre später, ist es wesentlich Privatinitiative, die das daraus hervorgegangene Binnenschifffahrtsmuseum betreibt. „Die Stadt ist arm, und ohne Ehrenamt läuft hier nichts“, sagt Klaus Schulenburg. Der muss es wissen. Er war lange Jahre Ortsbürgermeister und ist heute aktiv als stellvertretender Vorsitzender im Förderverein des Museums, an den die Stadt 2008 die Trägerschaft abgab. Der Verein ist ein freiwilliger und unabhängiger Zusammenschluss von Bürgern, Interessentengruppen und Institutionen, die das Ziel verfolgen, das Binnenschifffahrtsmuseum zu erhalten und zu einem Spezialmuseum auszubauen.

Bei Pädagogen steht das Museum hoch im Kurs

Über drei Etagen verteilt sich die Ausstellungsfläche. Nicht weniger als 180 Schiffsmodelle veranschaulichen die Entwicklung des Schiffbaus vom tausendjährigen Einbaum über Kähne jeglicher Form und Funktion zum Stahlboot mit Maschinenantrieb, Seiten- oder Heckrad. 1903 schon gab es entlang der Oder bis nach Stettin 30 Betriebe, in denen Schiffe gebaut wurden, auch der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II.“, der 1906 das sogenannte Blaue Band als schnellstes Passagierschiff auf der Transatlantikroute errang. Die Abteilung „Leben und Arbeiten auf dem Kahn“ dagegen vermittelt einen Eindruck von harter Arbeit und sozialen Problemlagen, die den Alltag der Binnenschiffer und ihrer Familien bestimmten, und sie erzählt von kirchlicher Für- und Seelsorge. Das 1907 in Teltow eröffnete Schifferkinderheim, in dem schulpflichtige Kinder ein vorübergehendes Zuhause fanden, musste indessen 1918 aus Geldmangel aufgegeben werden.

Benjamin Hagen, elfjähriger Schüler aus Berlin-Britz, ist heute mit Verwandten im Museum. Ihn interessiert vor allem die technische Seite der Flussschifffahrt, Werften- und Reedereigeschichten, Schleusen- und Hebewerkstechnik, der Wasserstraßenbau. Angetan haben es ihm auch die Zinnfigurendioramen, die en miniature des Alten Fritzens Inspektionsreise in das Oderbruch 1753 oder die Eröffnung des Hohenzollernkanals (heute Oder-Havel-Kanal) 1914 höchstselbst durch Kaiser Wilhelm II. nachstellen.

Insbesondere bei Schulklassen steht das Museum offenkundig auch bei Pädagogen hoch im Kurs, für Exkursionen und Klassenfahrten. Die am Ort noch verbliebene Grundschule gar lässt hier einmal wöchentlich Neigungsunterricht stattfinden. Gymnasiasten aus Eberswalde haben, am außerschulischen Lernort, zum Thema Wasser geforscht und gelernt. Sie konnten viel Stoff mitnehmen auch von der beängstigenden Seite der Oder, wenn diese, wie 1736 nach 73 ununterbrochenen Regentagen, 1947 oder 1997 und seither in immer kürzeren Zeitintervallen Hochwasser führt und über ihre Ufer tritt.

Durchschnittlich 5000 Besucher zählt das Binnenschiffahrtsmuseum Oderberg jedes Jahr, Ältere und Jüngere paritätisch vertreten. Richtige Schließzeiten, sagt Kassenwartin Anke Marquardt vom Förderverein, kann sich das Haus, das fast durchgängig das Jahr über geöffnet ist, gar nicht leisten, sie beschränken sich auf Weihnachten und Neujahr.

Wichtige zusätzliche Einnahmen erwirtschaftet das Museum als Veranstalter von Konzerten und anderen kulturellen Darbietungen. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Schifffahrt- und Marinegeschichte (DGSM) und den Freunden der Oderschifffahrt hält der Museumsförderverein zudem alle zwei Jahre ein Forum zur Odergeschichte ab.

Welchen Weg das Museum in Zukunft einschlägt, erscheint ungewiss. Angedacht ist nach den Worten von Anke Marquardt „eine bessere Strukturierung, eine professionellere Präsentation der Exponate, eine stärkere Fokussierung auf Oderberg“. Gemeinsam mit dem Studiengang Museumskunde der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin wird an einem veränderten Konzept gearbeitet.

Ob und inwieweit dieses auch die „Riesa“ einschließt, für deren Profilierung zum städtischen Kultur- und Begegnungsort sich so mancher am Ort starkmacht, bleibt abzuwarten. Immerhin, 115 Jahre nach Stapellauf lohnt es, über einen neuen inhaltlichen Ankerplatz nachzudenken. Hans Fuhrmann würde es sicher freuen.

Stefan Woll

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