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Jürgen Kubatz hat schon als Kind gern gebastelt. Als erwachsener entdeckte er dann seine Liebe zu den Buddelschiffen. Wie viele er davon gefertigt hat, weiß er nicht mehr.

© Bernd Ellerbrock

Buddelschiffbau: Ein Schräubchen fürs Segel

Rätsel Buddelschiffe: Wie kommen die Dinger bloß in die Flasche? Im Seebad Boltenhagen kann man zusehen.

Humor hat er ja. "Hier ist auf, wenn auf ist", steht im leuchtend roten Rettungsring vorm Gartentor, darüber in großen Lettern auf einem Holzbalken: "Seefahrt ist Not". Und: "Jetzt ist auf". Aber eigentlich ist immer offen. Vor die Türe des urigen Häuschens, das von neumodischen Ferienapartments bedrohlich umzingelt zu sein scheint, hat jemand eine Tüte mit Leergut abgestellt, die Jürgen Kubatz hineinträgt und sichtet. Ja, im Laufe der Jahrzehnte habe es sich eben rumgesprochen, dass er Flaschen braucht; vielleicht ist diesmal eine ausgefallene, gar ein Unikat dabei. Die nimmt Kubatz nämlich besonders gern, denn dann kann er etwas hineinfüllen. Ein Buddelschiff.

In mühseliger, filigranster Feinarbeit arbeitet der 70-Jährige an seiner Werkbank, nicht größer als die eines Goldschmiedes oder Uhrmachers, und fertigt mit Engelsgeduld seine Miniaturschiffe. In die Flasche hineinbugsiert geht die Fummel- und Friemelarbeit dann eine kleine Ewigkeit weiter, bis der Flaschenhals endlich verschlossen und versiegelt oder mit einem Zierknoten versehen werden kann. Nicht ohne Grund hießen die Vorläufer der Buddelschiffe denn auch Geduldsflaschen": Sie wurden im Allgäu und dem Erzgebirge hergestellt, wo vor allem Krippen- und Passionsszenen in meist rechteckige Flaschen eingebaut wurden, lange bevor Seeleute dies als Zeitvertreib auf langen Reisen für sich entdeckten. Auch Jürgen Kubatz hat den historischen Vorbildern seine Reverenz erwiesen und zur Anschauung ein paar nachgebaut.

Wer schon immer wissen wollte, wie ein Schiff in die Flasche kommt, dem erklärt es der Mann im Unruhestand - Brille in die grau melierten Haare geschoben - am Modell eines Segelschiffes. Nein, das Schiff wird nicht durch den abgetrennten Boden einer Flasche eingebracht, wie bei den Billigimporten aus Asien für die Souvenirläden. Nein, auch gibt es keine Wundersalbe, die die Hand des Buddelschiffbauers so geschmeidig werden lässt, dass sie durch den engen Flaschenhals hindurchflutscht. Alles Seemannsgarn! Das Geheimnis besteht vielmehr darin, dass die Masten samt Rahen, Segeln und Takelage mit winzigen Drahtscharnieren zusammengeklappt am Schiffsrumpf angebracht sind und nach Einschieben in die Flasche - immer das Heck voran - mithilfe langer Zugfäden wieder aufgerichtet werden. Ein Zurück gibt es dann nicht mehr, alles muss vorher auf den Millimeter genau berechnet und passgenau vorbereitet sein.

Buddelschiffbau ist nichts für Zappelphilippe

Große Exemplare werden in der Wohnzimmer-Werft maßstabs- und originalgetreu auf Kiel gelegt, um schließlich Einzelteil für Einzelteil im Flascheninneren aufwendig mit speziellem Werkzeug quasi in Sektionsbauweise wieder zusammengepuzzelt zu werden. Bei Kubatz baumeln all die dazu erforderlichen und selbst gefertigten endoskopischen Metallbestecke vorm Fenster: Zangen, Pinzetten, Schaber, Löffelchen. Buddelschiffbau ist nichts für Zappelphilippe und braucht neben zwei ruhigen Händen vor allem eins: unendlich viel Zeit. Für sein Meisterstück, einen breiten Kabelleger, hat Jürgen Kubatz 450 Stunden gewerkelt.

Gebastelt hat der gelernte Maler schon als Kind: erst Schiffsmodelle solo, später mit Stapellauf in Flaschenbäuche. Auch die Begeisterung für die Seefahrt hat den in Berlin geborenen und im Vogtland aufgewachsenen Feinmotoriker sein Leben lang nicht losgelassen. Um überhaupt zur Handelsmarine zu kommen, bewarb Kubatz sich wie in der DDR damals üblich zur "Volksmarine" und wurde Matrose. Später verschlug es ihn ins Ostseebad Boltenhagen, wo er beim Segeln und Tauchen dem nassen Element verbunden blieb. Die Marineuniform aus alter Zeit hat er aufbewahrt und in seinem kleinen, nur 68 Quadratmeter großen Reich ausgestellt wie so manch Originelles, das er neben den über 200 in Regalen untergebrachten Buddelschiffen im Laufe der Jahre gesammelt und teilweise auch restauriert hat.

Museumspädagogen mit Hang zum multimedialen Edutainment würden beim Anblick dieses maritimen Sammelsuriums - drapiert in zwei Räumen mit niedriger Decke und mäßiger Beleuchtung - sicher die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Doch Kubatz schickt seine Besucher ganz bewusst auf kleine spannende Entdeckungsreisen (Eintritt frei, um Spenden wird gebeten) und ist immer zur Stelle, wenn es darum geht, etwas zu erklären, Fragen zu beantworten oder eine Arbeit vorsichtig aus dem Regal zu nehmen.

Die Zunft droht auszusterben

Wie zum Beispiel die "Castoro 10", ein Spezialschiff, das die Ostseepipeline sozusagen vor der Haustür verlegte. Im Original 152 Meter lang, misst das bis ins letzte Detail getreue Buddelschiff ein Tausendstel davon: 15,2 Zentimeter. Oder der neue Fischersteg an der weißen Wiek von Boltenhagen: Den schrumpfte Kubatz in eine 98 Zentimeter lange Spezialflasche. In einem alten Säurebehälter brachte der Tüftler seine größte Arbeit unter: eine komplette Werft aus dem Jahr 1850 mit drei Helgen und einer Dreimastbark. Den unteren Teil nutzte er für zwei historische U-Boote, darunter das erste deutsche, den "Seehund".

Die Handelsschifffahrt prägende Segelschiffstypen hat Kubatz in einer Serie von 24 Buddeln verewigt, genauso wie kleine und große Dramen der Seefahrtsgeschichte: etwa die "Titanic" kurz vor der Kollision mit dem Eisberg oder, mit Schalk im Nacken, den "Untergang der DDR-Mark". Auch Kuriositäten wie die beiden kreisrunden Küsten-Panzerschiffe "Admiral Popow" und "Novgorod" aus dem Jahr 1875 und der einzige jemals gebaute Siebenmastschoner "Thomas W. Lawsen" gehören zur Sammlung. Natürlich auch eine "Gorch Fock", denn der Titel des berühmten Buches des namengebenden Schriftstellers prangt ja überm Eingangstor.

Wie vielen Schiffen Jürgen Kubatz schon in Flaschen geholfen hat, hat er nicht gezählt. Etliche tausend waren es sicher, so meint er. Sein sehnlichster Wunsch aber ist es, diese alte Tradition weitergeben zu können, droht seine Zunft doch auszusterben. Zu DDR-Zeiten habe er begeisterten Jugendlichen das Buddelschiffbauen im Werkunterricht beigebracht, das Interesse sei leider verflogen. Umso mehr freut es ihn, wenn in der Urlaubszeit Kinder - und im vergangenen Sommer waren es fast 200 - einen Nachmittag zu ihm kommen, unter seiner Anleitung schnippeln, schnitzen, kleben und pinseln. Und am Ende stolz wie Oskar ein kleines Flachmann-Buddelschiffchen aus Zahnstochern, Schaschlikspießen, abgewetztem Bettuch und vorgefertigten Rümpfen aus Lindenholz mit nach Hause nehmen zu können, als ganz besonderes Mitbringsel, das wohl ewig in Erinnerung bleiben wird.

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