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Die „Fritz Heckert“, hier 1991 im Hafen von Stralsund. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

© dpa

DDR-Kreuzfahrt: Luxusliner der Arbeiterklasse

Die Geschichte der DDR-Kreuzfahrt – beleuchtet in einem dicken Buch. Drei Kreuzfahrtschiffe hielt die DDR unter Dampf.

Sie waren realsozialistische Inseln des Glücks, die im Meer des Kapitalismus umherschwammen: die Urlauberschiffe der DDR, stählerne Versprechen, wie sich die Werktätigen – aus Sicht des Politbüros – die Zukunft des Sozialismus vorzustellen hatten. Luxusliner der Arbeiterklasse. Drei Kreuzfahrtschiffe hielt die DDR unter Dampf – das letzte, die „Arkona“, fuhr bis zum Untergang des Staates. Dann erschlossen sich die Bürger die Welt auf andere Weise. Ein neues Buch erzählt jetzt die Geschichte dieser Flaggschiffe des Arbeiter- und Bauernstaates. Es ist zwar nur eine maritime Fußnote in der DDR-Geschichte, doch Autor Andreas Stirn liefert damit auf 815 Seiten für das Land typische Innensichten. Mit der als Buch „Traumschiffe des Sozialismus“ veröffentlichten Studie habe er dem widersprüchlichen DDR-Bild eine Facette hinzufügen wollen, sagt Stirn.

Das erste Kreuzfahrtschiff war die „Fritz Heckert“. Sie wurde 1959 in Wismar auf Kiel gelegt und vor heute exakt fünfzig Jahren am Ausstattungskai vertäut. Ein Neubau, der einzige, den die DDR mit Hilfe von Geldsammelaktionen des Gewerkschaftsbundes in Kombinaten und Betrieben unter großen Mühen gestemmt hatte.

Während mancher Bundesbürger in den fünfziger Jahren bereits auf ein Auto sparte, zeichnete das kleinere Deutschland eine ganz andere Blaupause, die Zeugnis ablegen sollte von der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Diese schiffgewordene Idealvorstellung vom Sozialismus sah in der Tat dynamisch und modern aus, als sie endlich fertig war und trug so zur Selbstillusionierung der DDR-Oberen bei.

Der zweite Musikdampfer der DDR hieß „Völkerfreundschaft“ (heute noch als „Athena“ in griechischen Händen). Das robuste Schiff war 1946 in Göteborg gebaut worden und fuhr zunächst unter dem Namen „Stockholm“ im Transatlantikverkehr. Im Januar 1960 kaufte Ost-Berlin das gewaltige Stück Schwedenstahl. Die Seeräuberjenny aus Brechts „Dreigroschenoper“ hätte ihre helle Freude an diesem Vorzeigeschiff gehabt. Aus New York kommend hatte die „Stockholm“ 1956 ohne eine einzige Kanone an Bord im Nebel den italienischen Luxusliner „Andrea Doria“ gerammt und versenkt. Bei dem Unglück starben 51 Menschen.

Das dritte Vergnügungsschiff der DDR – und das zweite, das sie vom kapitalistischen Ausland erwarb – war die „Astor“. Sie war 1983/84 als „Traumschiff“ des ZDF im Einsatz, also bestens als Propagandavehikel der DDR geeignet. Umgetauft in „Arkona“ ersetzte sie die „Völkerfreundschaft“, die damals verkauft wurde.

Etwa 280 000 DDR-Bürgern sei es vergönnt gewesen, eine für DDR-Verhältnisse teure Seefahrt zu unternehmen, schreibt Stirn. Oft seien Reisen auch als Auszeichnung vergeben worden. Doch: Immer wieder flüchteten DDR-Bürger von den Schiffen. Der Albtraumpassagier der DDR-Kreuzschifffahrt war Lutz Grävinghoff, Jahrgang 1940. Er hatte in der DDR ein Medizinstudium abgeschlossen und nutzte das Privileg, als 26-Jähriger an Bord der „Fritz Heckert“ gehen zu dürfen, zur Flucht. Er ist der Mann mit der kürzesten Verweildauer auf einem DDR-Urlauberschiff. Am 12. Juni 1966 sprang er drei Stunden nach Antritt einer Reise von Rostock nach Murmansk gegen 17 Uhr durch ein offenes Fenster in die Bugwelle des fahrenden Schiffes. „Schon als ich in Heckhöhe war, hörte ich den Maschinentelegrafen klingeln und – über mir – einen Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes.“ Der junge Mediziner hatte die Flucht mit seinem Bruder, der bereits im Westen lebte, verabredet. Man wollte sich in Höhe des Feuerschiffes Fehmarnbelt treffen – der Bruder im Motorboot, der Flüchtling im Wasser. Alles in allem klappte das auch. Das Brüderpaar wurde von drei Schnellbooten des Bundesgrenzschutzes erwartet und in die Freiheit eskortiert. Die „Fritz Heckert“, schon nach neun Jahren wegen überbordender Kosten außer Dienst gestellt,  wurde schließlich nach Irrwegen 1999 in Indien abgewrackt.

Auf den DDR-Urlauberschiffen gab es von 1961 bis 1989 insgesamt 233 Fluchtversuche, davon gelangen 225. Im Vergleich zur Gesamtpassagierzahl dürfte die Quote jedoch im 0,01-Prozent-Bereich liegen, schätzt Historiker Stirn.

Alles in allem hätten die Kreuzfahrtschiffe der DDR eher geschadet als genutzt. Profitabel seien die Schiffe nie gewesen, auch nicht durch das Verchartern an westliche Gesellschaften wie die schwedische Reederei Stena Line. „Der Ärger in der Bevölkerung über diese ,Bonzenschaukeln‘ überstieg den propagandistischen Nutzen.“ Zumal bei der Verteilung der raren Plätze auf den Schiffen nicht nur ideologische Kriterien ausschlaggebend waren. Wie im DDR-Autohandel halfen Beziehungen – dann gab es den Platz an Bord eher zu kaufen. Reinhart Bünger

— Andreas Stirn: Traumschiffe des Sozialismus. Die Geschichte der DDR-Urlauberschiffe 1953–1990. Metropol Verlag, Berlin, 815 Seiten, 29,90 Euro

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