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Reifendreher Christian Werner ist einer der wenigen, die das alte Handwerk noch beherrschen.

© Wolfgang Schmidt/epd

Erzgebirge: Vierzig für die Arche Noah

Reifendreher, das ist ein alter Beruf im Erzgebirge. Heute beherrschen ihn nur noch wenige. Christian Werner gehört dazu. Bis zu 800 Tierfiguren entstehen täglich in seiner Manufaktur.

Auf der Drehbank rotiert ein hölzerner Ring, lange, dünne Späne fliegen durch die Werkstatt. Das, was unter Christian Werners Händen entsteht, sieht fast aus wie ein runder Bilderrahmen mit verschieden großen Rillen und Kerben. Werner ist Reifendreher – einer der Wenigen, die dieses Handwerk noch beherrschen. Er stellt die berühmten Seiffener Reifentiere her, die später zum Beispiel auf den Pyramidenleuchtern stehen.

Oder, wie Werner sagt: „Wir machen Viehzeug.“ Scheibchenweise werden die Tiere von dem sorgfältig bearbeiteten Holzreifen abgetrennt – Kuh, Schwein, Schaf oder Fuchs fallen herab. Der Tierrohling ist fertig. Später wird er zusätzlich noch geschnitzt, geklebt und bemalt. Ein fertiges Reifentier muss schließlich noch zahlreiche Details bekommen. Die waschechte Kuh etwa braucht das Euter, der Hase die langen Ohren, der Fuchs den buschigen Schwanz, der Hirsch sein stolzes Geweih.

In der Blütezeit um 1920 gab es knapp 30 Reifendreher im Erzgebirge. „Heute sind es noch etwa eine Handvoll“, sagt Werner. Allein zwei davon beschäftigt er – einer ist sein Sohn. So bleibt die Kunst in der Familie. Echte Konkurrenz gibt es nicht.

Eine Arche Noah mit mehr als 20 Tierpaaren

Mit speziellen Drechslerwerkzeugen gestaltet Werner während des Drehens die Umrisse der Figur. Ins nasse Fichtenholz kommen Rillen und Kerben, mit den Fingern ertastet der Reifendreher die spätere Form. Sehen kann er sie beim Drehvorgang noch nicht. Nötig sind daher besondere Konzentration, Geschicklichkeit und vor allem: eine sehr gute Vorstellungsgabe. „Wenn ich etwa ein Pferde- oder Schafbein zu dick drehe, wird es ein Trampeltier“, sagt der Handwerker schmunzelnd.

Rund 200 verschiedene Reifentiere finden sich in Christian Werners Manufaktur. Sie schmücken Pyramiden, Regale oder Kinderzimmer. Als Christ interessiert er sich besonders für die Tiere in der Bibel. Seine beeindruckende Arche Noah in Miniatur versammelt mehr als 20 Tierpaare.

An einem gewöhnlichen Tag entstehen bis zu 800 Figuren. Schafe gehen schneller, schwierige Formen wie die der Giraffe brauchen mehr Zeit, erzählt Werner. Alles findet unter einem Dach statt – von der Idee bis zum Verkauf und der Verpackung. Jeder Handgriff sitzt: Wer schnitzt, schnitzt und wer malt, malt. So entstehe perfekte Qualität, sagt Werner. Er weiß um die Besonderheit seines Unternehmens: „Wir sind eben keine Leute von der Stange.“ Doch zuschauen können Besucher ihm nur selten, das lenkt ihn zu sehr ab. Er schickt sie ins Museum, wo es Vorführungen gibt.

Die Tiere werden sogar nach Japan exportiert

In Serie. Die Kerben und Rillen in den Holzreifen geben die Form der Tiere vor. Je nach Bearbeitung werden Schafe, Kühe, Hirsche oder Füchse daraus.
In Serie. Die Kerben und Rillen in den Holzreifen geben die Form der Tiere vor. Je nach Bearbeitung werden Schafe, Kühe, Hirsche oder Füchse daraus.

© Wolfgang Schmidt/epd

Im Freilichtmuseum Seiffen ist sogar ein Reifendrehwerk mit Wasserkraftanlage zu sehen. Doch jetzt in der Adventszeit öffnet Werner Neugierigen schon mal seine Werkstatt und lässt sich über die Schulter schauen. Oder er steht auf Weihnachtsmärkten und zeigt seine Kunst.

Seit 1985 ist der 56-Jährige selbstständig. Das Geschäft läuft, er arbeitet auf Bestellung. Mit seinen derzeit acht Mitarbeitern liefert er mittlerweile in rund 20 Länder. Und selbst im fernen Japan hat seine Manufaktur Kunden: Für sie werden Tierkreiszeichen wie der Drache gefertigt.

International wurde es in der Seiffener Manufaktur auch im Jahr 2010. Der Elch, den sein Sohn aus einer Laune heraus entworfen hatte, landete bei Olympischen Spielen. Er wurde mit kanadischer Fahne und Schal während der Winterspiele in Vancouver offizielles Maskottchen des Sächsischen Hauses, mit dem sich der Freistaat in Kanada präsentierte.

Jahrzehntelanges Üben sorgt für Perfektion

Gelernt hat Werner das Reifendrehen vor mehr als 35 Jahren von dem damals 92-jährigen Seiffener Paul Preißler. Mehrmals habe er gewartet, bis der Meister tatsächlich kam. „Das war ein knorriger Typ“, erinnert sich Werner.

Kreativität und Geschicklichkeit sei den Leuten im Erzgebirge angeboren, glaubt er. Nach dem Ende des Bergbaus entstanden um 1800 viele figürliche Gegenstände. Zunächst aus der Not heraus wurden aus Bergleuten Drechsler, aus einigen Reifendreher. Damals dienten Wasserräder als Antriebskraft. Nicht zufällig verbreitete sich die Spielzeugwaren-Herstellung in der Gegend: Fast in jedem Haus stand eine Drechselbank.

Werner bewundert die „Genialität des Reifendrehens“, das – anders als das Schnitzen – serielles Herstellen von Figuren ermöglicht. Die „Erfindung war eine Sensation und ist es bis heute“, sagt er. Wer die Idee zum Reifendrehen hatte, ist aber nicht bekannt. Zudem hat es fast 100 Jahre gedauert, bis in Seiffen jeder wusste, wie das Reifendrehen funktioniert. Denn an den Werkstätten stand zunächst: „Zutritt verboten“. Und dieser Hinweis war ernst zu nehmen.

Heute werden höhere Ansprüche an das Holz gestellt

Beim Reifendrehen wird sogenanntes grünes Fichtenholz verwendet – bis zum Verbrauch lagert es feucht und dunkel im kalten Keller. Fichten sind geradlinig gewachsen, ihr Holz lässt sich gut spalten. Das kleinteilige Zubehör wird aus festerem Ahornholz gefertigt.

Das Fichtenholz der Seiffener Reifentiere kommt heutzutage aus europäischen Hochgebirgen, etwa aus den Kitzbüheler Alpen. „Es sollte im Schatten gewachsen sein, mit wenig Nährstoffen“, erzählt Werner, dann eigne es sich am besten. Seine Vorfahren nahmen da Holz jener Bäume, die hinterm Haus wuchsen. „Das ist heute anders, die Qualitätsansprüche sind gestiegen“, sagt er.

(epd)

Manufaktur Christian Werner: reifentiere.de

Spielzeugmuseum Seiffen: spielzeugmuseum-seiffen.de

Katharina Rögner

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