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Laufsteg. Etwa 200 Meter weit hinaus auf die Ostsee führt die Seebrücke in Heiligendamm, von der man einen schönen Blick auf das Hotel-Ensemble hat.

© Stefan Quante

Grand Hotel Heiligendamm: Luxus soll salopp sein

Schokoladenfabrikant Paul Morzynski hat vor zwei Jahren ins Grand Hotel Heiligendamm investiert. Er sieht das Problem-Haus auf gutem Weg.

Über dem Gipfelort 2015, dem bayerischen Schloss Elmau, kehrt langsam wieder die Ruhe ein. Doch was wurde eigentlich aus dem G-8-Schauplatz des Jahres 2007? Der erhoffte Boom blieb zunächst aus. Die Betreibergesellschaft Kempinski verabschiedete sich, später im Jahr 2012 kam die Insolvenz. Seit knapp zwei Jahren hat ein Branchenfremder das Schicksal des ersten deutschen Seebades in die Hand genommen – der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Paul Morzynski aus Hannover. Sein Beruf lässt einen trockenen Zahlenmenschen ohne echte Leidenschaft erwarten. Wie man sich täuschen kann ...

Zum Gespräch an einem Sonntagnachmittag kommt er in saloppen Bootsschuhen und im sportlichen offenen Hemd. Als Erstes spricht er ebenso jovial wie emphatisch über die vielen lachenden Kinder, die neuerdings auf dem einst ehrwürdigen Rasen vor der berühmten Kurhalle tollen. Zwei Fußballtore animieren zum Spielen, selbst schon morgens zur Frühstückszeit. Schön für die Eltern oder Großeltern, die in Sicht- und Hörweite ihr Frühstück auf der traumschönen Terrasse genießen können.

Der neue Eigentümer und Betreiber dieses magischen Ortes ist mit 64 im besten Opa-Alter: „Für mich ist es das pure Leben, wenn viele Kinder da sind.“ Den inneren Rechner schaltet er dabei aber nicht aus. „Bei uns zum Beispiel entscheiden die Enkel mit, ob die Familie in den Süden fährt oder lieber nach Heiligendamm an die Ostsee.“ Er selbst kannte das legendäre Hotel lange nur aus der Gästeperspektive, etwa von Zwischenstopps auf dem Weg nach Rügen.

Heiligendamm ist mehr als ein Investment

Als seine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dann den Auftrag einer Investorin bekam, Heiligendamm zu kaufen, stieg seine Aufmerksamkeit – und seine Verliebtheit. Die Investorin sprang ab und Morzynski entschied sich, es selbst zu machen. Ohne Reue? „Die Euphorie ist auch nach zwei Jahren noch da. Wir haben so viele langweilige Investments gemacht, da hat mich das hier gereizt.“ Als Retter Deutschlands ältester noch produzierender Schokoladenfabrik, Halloren in Halle an der Saale, hatte er sich über die Region hinaus einen Namen als verlässlicher Investor gemacht.

Aktuell hat er zwar mit dem gerade übernommenen maroden Kaffeeimperium Arko und dessen 240 Einzelhandelsgeschäften eigentlich genug zu tun, aber Heiligendamm ist eben mehr als ein Investment. Weil er hier der „Grand Hotelier“ persönlich ist und in Luxus schwelgen kann? Morzynski lacht amüsiert: „Ich brauche keine großen Zimmerfluchten und nehme immer das Zimmer, das gerade frei ist. Am liebsten aber im Severins Palais, weil ich ein begeisterter Schwimmer bin.“ Dort befinden sich schließlich Pool und Spa des Hotels.

Und genau dort soll es auch weitergehen mit den sichtbaren Verbesserungen. Vielleicht noch in diesem, spätestens aber im kommenden Jahr soll das lang ersehnte Außenschwimmbecken hinzukommen. Und das Erdgeschoss wird eine rundum laufende Erweiterung im Kolonnadenstil erfahren, damit die starke Nachfrage nach Massagen, Peelings und Kosmetikbehandlungen besser bedient werden kann. Mehr und größere Behandlungsräume werden dringend gebraucht.

Das Baurecht liegt vor, die Unterstützung des Landes ist sicher, und mit der Gemeinde Bad Doberan hat es Ende März endlich im Rahmen einer Mediation auch eine Einigung darüber gegeben, dass der lange geforderte öffentliche Stichweg quer durch das Hotelgelände nicht mehr gebaut wird. Planschende Poolgäste müssen also nicht damit rechnen, von Radlern und Strandläufern beguckt zu werden.

Im Seepavillon gibt es Bratwurst für drei Euro

Auch bei den immer noch dem Heiligendamm-Neugründer Anno-August Jagdfeldt beziehungsweise seiner Firma ECH (Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm) gehörenden und langsam verfallenden Villen nebenan tut sich etwas. Erste Luxuswohnungen sind verkauft, die Sanierung einer weiteren ehemals weißen Villa steht bevor – wenn man dem Bauzaun vor der Villa Greif und den Absichtserklärungen glauben darf. Gut wäre das – schon allein, damit es ein Ende mit dem Katastrophentourismus hat. Denn der Verfall der im 19. Jahrhundert gebauten Perlenkette empört so manchen Tagesbesucher auf der Promenade.

Auch, wer sich einen Aufenthalt im Hotel selbst nicht leisten kann oder will, soll neuerdings nicht abgewiesen werden. In Bestlage zwischen Seebrücke und Kurhaus lockt seit dem vorvergangenen Jahr ein adretter Seepavillon mit einem kleinen kulinarischen Angebot zu volkstümlichen Preisen. Da gibt es Kaffee für zwei Euro und eine Bratwurst für drei.

In Sichtweite lässt sich auch auf anderem Niveau satt werden. Im winzigen Michelin-besternten Gourmetrestaurant Friedrich Franz kocht mit Ronny Siewert der wohl beste Koch Mecklenburg-Vorpommerns. Aus seiner Küche kommen makellose Gerichte wie Jakobsmuschel und gebeizte Makrele mit Artischocken, süßer Olive und Sauce Bourride oder Ruppiner Lamm mit Gewürzjoghurt, süßer Olive und Frühlingskräutern. Die meisten Gerichte haben einen regionalen Bezug und konzentrieren sich bei allem Facettenreichtum auf einen klar erkennbaren Hauptakteur plus erfrischenden Kontrast, wie etwa der beherzte Einsatz von Ingwer bei der Gänseleber gleich zu Beginn.

Aber wie hält es seiner neuer Chef Paul Morzynski mit so einem zwangsläufig defizitären kulinarischen Juwel? „Das Friedrich Franz wird auf jeden Fall bleiben! Manche Menschen reisen ja vor allem wegen Ronny Siewert an.“

Hotelgäste können von Seehunden lernen

Heiß ist hoffentlich nicht nur der Preis. Im Kurhaus kostet eine Tasse Kaffee 4,80 Euro.
Heiß ist hoffentlich nicht nur der Preis. Im Kurhaus kostet eine Tasse Kaffee 4,80 Euro.

© Stefan Quante

Die ersten beiden Jahre unter neuer Leitung haben dem Hotel auch wirtschaftlich gutgetan. Die Umsätze sind von 11,9 auf 13,3 Millionen Euro im Jahr 2014 gestiegen. Der Umsatz pro Tag und Zimmer von 226 auf 246 Euro. Die Auslastung ist mit 51,5 Prozent zwar noch nicht bei den angepeilten 60, aber erstmals in der neueren Geschichte des Hotels konnte im vergangenen Jahr ein, wenn auch kleiner, Gewinn erzielt werden.

Eine ansehnliche Agenda ist vorgesehen, um den Erfolg weiter auszubauen – ein anspruchsvolles Kulturprogramm, mehr Tagungen und „Incentives“ in der Nebensaison sowie spezielle Feiertagsarrangements. Originelle Angebote sollen Individualisten anlocken – eine Fahrt mit dem 600-PS-Speedboot entlang der Küste, Weinverkostungen mit den renommiertesten Winzern des Landes (am 19. Juni etwa kommt Katharina Prüm vom Weingut Joh. Jos. Prüm an der Mittelmosel) oder auch das Schwimmen mit Robben in Kooperation mit dem Robbenforschungszentrum der Universität Rostock.

Nach 30 Minuten Fahrzeit kommen interessierte Hotelgäste bei den zurzeit neun, allesamt männlichen Robben des weltweit größten Forschungszentrums seiner Art an. Hier wird untersucht, was Menschen von Seehunden lernen können. Und das ist eine Menge. Dank ihrer hochsensiblen Vibrissen etwa, den „Barthaaren“, können die Tiere selbst bei völliger Dunkelheit erfolgreich jagen. Ein Geheimnis der Hydrodynamik, das sich demnächst in der Unterwasser-Robotik bewähren soll.

Lernen von Robbie. Das Grandhotel kooperiert mit dem Robbenforschungszentrum der Universität Rostock.
Lernen von Robbie. Das Grandhotel kooperiert mit dem Robbenforschungszentrum der Universität Rostock.

© Stefan Quante

Die Hotelgäste kommen Marco, Luca und den anderen Seehunden bei solchen Ausführungen ganz nah. Die Tiere lassen sich streicheln, hören auf ihre Namen und parieren wie gut dressierte Hunde. Wer rechtzeitig bucht und etwas Abenteuerlust mitbringt, kann mit den verspielten Tieren auch tauchen oder schwimmen. Und wenn es dann heißt, „Marco, schwimm mal nach links zu Herrn Meyer und Luca nach hinten zum kleinen Alexander“, dann wird das Kind noch lange davon sprechen.

Jung, leger, familienfreundlich

Mit Thomas Peruzzo hat Paul Morzynski den zur neuen Familienfreundlichkeit passenden geschäftsführenden Direktor gefunden. Zum Beispiel kennt der nicht nur die täglichen Belegungszahlen, er weiß auch stets genau, wie viele Kinder gerade im Haus sind. Er ist seit fünf Jahren in der Region, hat zuvor ein anderes Morzynski-Hotel in Kühlungsborn geleitet und hat dank seiner beiden kleinen Kinder das richtige Gefühl für die Belange von Familien.

Und da er gerade in der Nähe gebaut hat, will er anscheinend auch nicht so bald wieder wegziehen wollen, wie so mancher seiner bereits neun Vorgänger. Der 39-Jährige will den Spagat hinbekommen, ein dem Luxus verpflichtetes Grandhotel zu bleiben, dabei jedoch jünger und legerer zu werden und den Gästen Sakko und Krawatte zu ersparen. Breites Lächeln, große federnde Schritte, ein freundliches Wort für jedermann – Thomas Peruzzo erfüllt die Rolle des Gastgebers mit ebenso viel Spaß wie Leidenschaft.

Auch sein Team hat er allem Anschein nach für den neuen Kurs gewonnen. Statt wie in den vermeintlich besten Zeiten rund 350 Mitarbeiter hat er zwar nur noch 180 plus 30 Auszubildende. Die jedoch sind hochmotiviert. Alles andere als selbstverständlich an der Ostseeküste, wo Hotels und Restaurants um die zu wenigen Fachkräfte wetteifern. Optimierte Prozesse und Serviceabläufe, eine neue Küche für die umsatzstarke Nelson Bar statt eines laufintensiven Satelliten-Konzeptes – das Fünf-Sterne-Niveau soll auch bei eingespartem Personal gehalten werden. Beispiele: Selbst bei vollem Haus flutscht der Frühstücksservice, die Gäste werden zügig platziert, was ihnen Rangeleien untereinander erspart. Die großen Außenaschenbecher werden regelmäßig geleert, und freundliches Grüßen der Gäste ist inzwischen auch hier Standard bei allen Mitarbeitern.

Nach dem Gipfel kommt die Jam Session

Peruzzo weiß, dass Heiligendamm in der langen Nebensaison nicht ohne ein eher kulturinteressiertes, traditionelles Publikum und ein gewisses Maß an Tagungs- und Geschäftstourismus auskommt. Auf den langfristigen Effekt des Gipfels 2007 angesprochen, schwärmt er geradezu: „Jeder kennt heute den Namen Heiligendamm – wegen seiner Geschichte und wegen des Gipfels.“ Just war der Abgesandte eines Dax-Unternehmens da, um Heiligendamms Eignung für eine Konferenz zu überprüfen. Peruzzo freut sich noch Tage später. „Der war richtig erleichtert, dass es bei uns alles andere als steif zugeht.“

Paul Morzynski hat genau mit diesem meist brachliegenden Ort noch ganz andere Pläne. „Da soll eine Bühne für Topmusiker rein. Ich bin ja ein großer Musikfan und habe ganz gute Kontakte zu vielen Bands.“ Der vermeintlich zahlenfixierte Wirtschaftsprüfer gerät darüber richtig ins Schwärmen. „Bei so einer richtigen Jam Session sollen auch ruhig die Mucker unter den Gästen mitmachen dürfen.“

Die neue Tonart haucht dem mehr als 220 Jahre alten Motto unter dem Giebel des Kurhauses gerade neues Leben ein: Heic te laetitia invitat post balnea sanum – Hier erwartet dich Freude, wenn du gesundet dem Bade entsteigst.

Grand Hotel Heiligendamm, Telefon: 03 82 03 / 74 00, Internet: grandhotel-heiligendamm.de; Preise: Doppelzimmer in der Nebensaison ab 190, Suiten mit Seeblick in der Hauptsaison bis 1420 Euro pro Nacht

Stefan Quante

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