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© laif

Hallertau: Delikat wie der Frühling

In der bayerischen Hallertau beginnt jetzt die Hopfenspargelzeit. Das junge Gemüse macht fit fürs Radeln und Wandern.

Die Raupen kommen: Wie Vielfraße fallen alljährlich einige Gourmets in einer hügeligen Landschaft in der bayerischen Provinz ein. Es ist Hopfenspargelzeit in der Hallertau. Weil die Saison sehr kurz ist, haben es die Feinschmecker eilig, sich an der Frühlingsdelikatesse satt zu essen.

Auf einen besonders großen Hopfenspargelfan kann man seit Jahren im Gasthof Sixt im niederbayrischen Rohr zählen. Mitte März steht der Gast als einer der ersten auf der Matte und verlangt nach den jungen Hopfentrieben. Seine Festwochen startet er meist magenschonend mit einer Schüssel Blattsalat. Knackfrisch – natürlich garniert mit marinierten Hopfenspargelspitzen.

In den kommenden Tagen folgen Köstlichkeiten wie Hallertauer Hopfenspargelsuppe, Zanderfilet mit Hopfenspargelgemüse, Blätterteigpasteten gefüllt mit Hopfenspargel oder Schweinemedaillons an gedünstetem Hopfenspargel. Und um das alles zu verarbeiten, kippt der Nimmersatt jeweils ein Stamperl Hopfenschnaps hinterher. „Er hat mir mal erzählt, dass er im Winter extra ein paar Kilo abspeckt, um im Frühjahr die Karte rauf- und runterzuprobieren“, berichtet Gastwirt und Chefkoch Jakob Sixt über den Hopfenspargelverrückten.

Die Hallertau ist eine barocke Kulturlandschaft, die ziemlich genau in der Mitte Bayerns liegt. Sie erstreckt sich nördlich von Freising bis kurz vor Kelheim an der Donau. Die Einheimischen nennen sie „Holledau“. Autofahrer auf dem Weg in den Süden kennen den Dialektbegriff vom Vorbeifahren – ein Autobahnkreuz südlich von Ingolstadt heißt so.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird in der Region Hopfen im großen Stil angebaut. Neben alten Kirchtürmen prägen deshalb vor allem schräge Stangen das Landschaftsbild: An diesen werden Seile befestigt, an denen sich die Hopfenpflanzen emporhangeln. Jakob Sixt senior gilt als einer der Wiederentdecker des jungen Frühlingsgemüses. Vor 13 Jahren setzte er die jungen Wurzelsprossen wieder auf seine Karte. Er verfeinerte alte Rezepte und tüftelte an neuen.

Das war nicht selbstverständlich, denn im größten zusammenhängenden Hopfenanbaugebiet der Welt waren die Sprossen so begehrt wie Salz in einem Salzsee. Hopfenspargel war als Arme-Leute-Essen verpönt. Noch heute weigert sich angeblich manch älterer Hopfenbauveteran, die Sprossen zu verspeisen – weil sie an wirtschaftlich karge Zeiten erinnern.

Nüchtern betrachtet ist der Hopfenspargel ein Abfallprodukt des Hopfenanbaus. Nur wenige Zentimeter lang, mit dem Durchmesser eines Bleistifts. Aber seine unverwechselbare, nussig-erdige Note macht ihn schmackhaft. Gesund ist er obendrein: Wie viele Frühjahrskräuter und -gemüse wirkt auch der Hopfenspargel blutreinigend, entsäuernd und entschlackend. Gerade so, als habe die Natur nach den opulenten Wintergerichten eine Agenda entwickelt. Nämlich dem menschlichen Körper jahreszeitengerecht das Notwendige liefern, um ihn für das Frühjahr fit zu machen.

„Den, wo der Hopfen gekratzt hat, den lässt er nimmer mehr los“, sagt man in der Hallertau über die Hopfenbauern. Auf Hochdeutsch: Einmal Hopfen, immer Hopfen. Bierliebhaber können ein Lied davon singen. Zwei Drittel des Hallertauer Hopfens werden exportiert, der Rest bleibt im Land, um die drei Zutaten des deutschen Bierreinheitsgebots zu komplettieren: Hopfen, Malz, Wasser. Wobei zum Bierbrauen Hopfendolden verwendet werden.

Konrad Bogenrieder ist einer, der vom Hopfen gekratzt wurde. Der Landwirt hat den Hopfenspargel im wahrsten Sinne wieder ausgegraben. Mit 25 000 Pflanzen gilt sein Hof zwar als Kleinbetrieb. Doch seine Existenz als Nebenerwerbslandwirt ist auch seine Chance. Denn nur von Hand geerntete und sortierte Sprossen haben die nötige Qualität, um auf die Teller wandern zu dürfen. Ein Aufwand, der sich für Großbauern nicht lohnt. Für ein Kilo Hopfenspargel benötigt Bogenrieder ein bis zwei Stunden Arbeit, je nach Hopfensorte. „Man muss was von der Pflanze verstehen, sonst beschädigt man sie“, sagt der Landwirt.

Die Triebe landen übrigens nicht nur in bayerischen Kochtöpfen. Bogenrieder verschickt seine kostbare Ware vakuumverpackt und per Express – die frischen Triebe sind allerhöchstens 48 Stunden lang haltbar – an Gourmetköche in Deutschland und Europa. Das Kilo für rund 40 Euro. Eine Handvoll Edelrestaurants in Hamburg und Berlin gehören zu seinen Kunden. Aber auch Maîtres in Wien, Venedig und Brüssel lassen sich mit Hopfenspargel aus der Hallertau beliefern.

Noch führt das junge alte Gemüse ein Schattendasein. Zu lange war es in Vergessenheit geraten. Doch zumindest in den Anbaugebieten erinnert man sich seiner Wurzeln. Beziehungsweise seiner Triebe. Ihnen wird übrigens wie dem „echten“ Spargel eine potenzsteigernde Wirkung nachgesagt.

Eine Besucherzahlen steigernde Wirkung würde den Wirten und Hoteliers in der Hallertau möglicherweise schon genügen. Die Touristikverbände sehen im Hopfenspargel eine Chance, das touristisch wenig erschlossene Gebiet zu vermarkten. Historische Kleinstädte wie Abensberg, Pfaffenhofen oder Mainburg wenden sich eher an Kurz- und Spontanurlauber.

Eine Arbeitsgemeinschaft aus Touristikern, Landwirten und Gastronomen möchte deshalb den Hopfenspargel und damit auch die Hallertau stärker an den Mann bringen. Hopfenspargelwochen wurden ins Leben gerufen. Sie dauern in der Regel von Mitte März bis Mitte April. Dabei wird mitunter auch mal mit dem Hopfenspargel experimentiert. Etwa als Pizzabelag oder als Sushi. Was Jakob Sixt jedoch für Firlefanz hält: „Mir san schließlich in Bayern“, sagt er.

Pastete gefüllt mit Hopfenspargelgemüse jedoch erhält den Segen des bodenständigen Gastwirts. Es ist eines der Lieblingsrezepte von Jakob Sixt. Und das seiner Gäste, die das urige Ambiente in dem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert zu schätzen wissen. Hier war früher eine Klosterbrauerei untergebracht.

Hin und wieder schauen ein paar Geistliche aus dem nahen Konvent vorbei. Natürlich auch, um Hopfenspargel zu genießen. Selbstredend ohne Hintergedanken. Trotzdem erzählt man sich in Rohr noch heute eine wahre Anekdote. Sagt Gast eins zu Gast zwei, welcher eine Hopfenspargelsuppe löffelt: „Da wird sich Ihre Frau aber freuen.“ Gast zwei, von Gast eins auf die aphrodisische Wirkung des Gemüses aufmerksam gemacht: „Mir bringt das nix. Ich bin der Kaplan vom Kloster.“

Martin Cyris

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