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Guten Morgen, Mirow. Wer kein uriges Anwesen am See sein Eigen nennt, verschafft sich das Ambiente eben mit einem gemieteten Hausboot.

© Franz Lerchenmüller

Hausboot auf der Müritz: Keine Scheidung in der Schleuse

Über die Tücken, mit einer etwas außergewöhnlichen Hausbootjacht auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte zu kreuzen.

Ganz am Anfang ist das alles überwältigend. Groß, dunkelblau und strahlend weiß liegt das Boot am Steg. Kaum zu glauben, dass zwei Personen es beherrschen können. Zumal es, wie sich bald zeigt, einen eigenen Willen zu haben scheint: Mal schwenkt es zu spät in die gewünschte Richtung, dann wieder dreht es zu früh in die andere. Aufgeregt sehen sich der Skipper und sin Fru, wie man sie hier in Mecklenburg nennen würde, an: Ob wir das wohl wuppen?

Noch ist das alles kein größeres Problem. Noch ist Rainer Janke mit an Bord, als eine Art Blitzausbilder der Charterfirma. Vier Stunden lang zeigt er, wie man mit möglichst sanften Bewegungen möglichst vorausschauend steuert. Er lässt das seitliche Anlegen üben, den Einsatz von Bug- und Heckstrahlruder und auch schon mal die erste Einfahrt in eine Schleuse. „Sie machen das wunderbar“, sagt er, ganz einfühlsamer Psychologe.

Ganz am Anfang ist das eine gewaltige Aufgabe. Denn der Skipper und sin Fru sind Neulinge in Sachen Wassersport. Trotzdem dürfen sie, so sieht es das Gesetz vor, dieses 12 Meter lange und 4,5 Meter breite Gefährt ohne Bootsführerschein auf bestimmten Gewässern steuern und dabei auch noch bis zu 12 Personen mitnehmen. Voraussetzung ist eine entsprechende Unterweisung. Bei der theoretischen Einführung hatten sie eben noch gelernt, dass sie nicht nachts fahren dürfen, abends in Häfen anlegen müssen und auf der Müritz immer Schwimmwesten zu tragen haben.

Und jetzt geht es schon ganz praktisch Richtung Süden, von der Müritz auf die Mecklenburgische Kleinseenplatte, auf der Karte eine Ansammlung vielgestaltiger, blauer Amöben. Der Skipper steuert das erste Hausboot seines Lebens – und furcht ein hübsches Zickzackmuster in die Müritz-Havel-Wasserstraße. Ein Rentner überholt in seiner knatternden Badewanne und fuchtelt mit den Händen: Geradeaus fahren! „Nicht beirren lassen“, sagt Janke. „Klein kann jeder.“ Ein Satz, ganz nach dem Geschmack des Skippers.

Voller Tatendrang. Der noch etwas ratlose Skipper an Bord der „Luisa“
Voller Tatendrang. Der noch etwas ratlose Skipper an Bord der „Luisa“

© Franz Lerchenmüller

Die „Luisa“ ist eine Hausbootjacht. Auf ihrem Schiffsrumpf sitzt ein respektables Häuschen in Weiß, das sich mit Flügeltüren und Panoramafenstern zum Bug hin öffnet – die Kleinausgabe eines Mississippi-Dampfers sozusagen. Küche, Wohnzimmer und Steueranlage sind eins. Es gibt zwei Schlafzimmer mit geraden Wänden, eigener Dusche und WC. Und das Oberdeck mit der Sitzgruppe ist fast so geräumig wie ein Tenniskleinfeld. Wo sie auftaucht, erregt sie Aufmerksamkeit: „He, was ist das denn – eine schwimmende Arztpraxis?“

Am Spätnachmittag kommt der Hafen der Schlossinsel Mirow in Sicht, der von hohen Bäumen beschattet wird. Der letzte freie Liegeplatz zwischen zwei Booten ist schmal. Sehr schmal. Da greift Rainer Janke lieber selbst noch mal zum Steuer. Zentimetergenau bugsiert er die „Luisa“ in die knappe Lücke, und zum ersten Mal lernen der Skipper und sin Fru die Hilfsbereitschaft an Anlegeplätzen kennen. Immer sind da ein paar Kolleginnen oder Kollegen, die Leinen annehmen, Fender hochheben oder das Nebenschiff etwas zur Seite drücken. Der Blitzausbilder wünscht noch mal alles Gute, dann überlässt er den Skipper und sin Fru ihrem Schicksal und Geschick.

Zwischen einem picobello restaurierten Schloss und der Johanniterkirche mit „Erlebniskirchturm“ führt eine Lindenallee ins Städtchen. In der „Blauen Maus“, einer Gaststätte, die in den 1920er Jahren nach einem Jagdflugzeug benannt wurde, gönnen die Seefahrer sich Damwildbraten und Aal in Gelee. Dann schlendern sie zurück in ihr Heim auf Zeit. Etwa 20 Boote liegen im Hafen dicht an dicht. Kinder planschen, eine Ente zieht vorbei und linst schräg hoch, als sehe sie so etwas wie die „Luisa“ zum ersten Mal. Franzosen, Wiener und Berliner trinken Bier, lösen Kreuzworträtsel und spielen Kniffel. Jetzt zählen nur noch der laue Abend und der See mit seinem Überzug aus Blattgold.

Stark bleiben, Skipper!

Orientierung tut not. Das Lesen von Seekarten will gelernt sein.
Orientierung tut not. Das Lesen von Seekarten will gelernt sein.

© Franz Lerchenmüller

Auch der Morgen beginnt entspannt: Ganz ruhig liegt der Hafen, wer wach ist, müht sich, kein Geräusch zu machen. Der Skipper und sin Fru schwimmen ein paar Runden und stärken sich mit einem Matrosenfrühstück für große Taten. Von Deck zu Deck erzählen die Nachbarn aus Berlin, wie es bei ihnen war, vor zehn Jahren, als sie ihre ersten Touren fuhren. „Die meisten Ehen zerbrechen angeblich in der Schleuse“, sagt sie. „Und da ist sicher was dran.“

Genau eine solche steht jetzt an, die Schleuse von Diemitz, die erste ohne Beistand an Bord. Vorsichtig steuert der Skipper sein Boot in die Schleusenkammer. Hier ein leises „Plong“, dort ein sanftes Kratzen – wie eine Billardkugel zieht die „Luisa“ von Bande zu Bande vor bis zur gelben Linie. „Wir machen das heute zum ersten Mal“, ruft sin Fru dem Schleusenwärter fröhlich zu. Der grinst gelassen. Die beiden Joysticks für die Seitenruder erweisen sich jetzt als wahrer Segen – und schon wirft sin Fru am Heck eine Leine über den Poller, er zieht das Schiff am Bug an die Wand. Dann schließt sich die Kammer, langsam sinkt das Wasser und mit ihm das Schiff. Feuerprobe bestanden – und noch keine Gefahr für die Ehe.

In aller Gemütsruhe, mit vier, fünf Stundenkilometern, tuckert das Boot über kleine und größere Wasserflächen: Mössensee, Vilzsee, Labussee, Tietzowsee. Über engen Kanälen bilden Laubbäume ein luftiges Dach. Seerosen blühen, in Schilfstreifen lauert ein Reiher, zwischen Kühen stolzieren gelbe Schafstelzen umher. In vielen Buchten ankern die Kollegen Kapitäne und springen platschend ins Wasser. Flöße mit aufgebauten Blockhütten sind unterwegs, richtige Jachten, Kajaks und Ausflugsschiffe. An der Schleuse in Canow taucht ein Deck voller Herrn in weißen Hemden aus der Tiefe, und als die Tore sich öffnen, ertönt ein klangvolles „Seemann, lass’ das träumen“. „Das glaubt einem ja doch wieder keiner“, sagt sin Fru zum Skipper.

Im Wechsel steuern er oder sie. Der andere hält Ausschau oder studiert die Gewässerkarte. So langsam erschließt sich das Gewirr aus blauen Flecken, roten Ankern, weißen Blitzen und grünen Zelten. Noch ist es kein ungetrübter Genuss, unterwegs zu sein. Noch herrscht Spannung vor und der Wille, nicht allzu viel verkehrt zu machen. Möglicherweise sind nautische Naturtalente imstande, ein Zwölf- Meter-Boot am zweiten Tag problemlos zu lenken. Der Skipper und sin Fru sind es nicht. Und die „Luisa“ ist zwar eine interessante Ausnahmeerscheinung in allen Häfen: „Was ist denn das für ein Gerät?“ Aber sie zeigt sich ihnen gegenüber auch als störrisches Sensibelchen: Auf jeden Windhauch, jede Strömung reagiert sie mit zickigen Abweichungen – und kümmert sich wiederum um kein Kommando, wenn es mal schnell gehen soll.

Mal mehr, mal weniger schwänzelnd zieht sie über die wechselnden Gewässer. Unbeirrt grüßen der Skipper und sin Fru die Vorbeifahrenden, ganz so, als führen sie besonders pfiffige Manöver. Doch die lassen sich nicht täuschen: Die Blicke sind manchmal verächtlich, meist aber amüsiert bis mitleidig – es herrscht viel Nachsicht auf dem Wasser. Stark bleiben, Skipper! Wen kümmert es, wenn die zickzackfahrende weiße Villa heute Abend Gesprächsstoff ist in den Häfen der Region?

Bilderbuch für Verliebte

Auch wenn das nautische Überleben und die Natur im Vordergrund stehen – die Kultur darf bei einem solchen Törn nicht fehlen. Rheinsberg ist der südlichste Punkt der Reise. Kurz vor der Stadt öffnet sich ein Hafendorf, das ein wenig an Disneyland erinnert. Hier stand einst der Klotz des FDGB-Ferienheims Ernst-Thälmann. Nach der Wende war es kurzzeitig ein Hotel. Dann wurde es gesprengt. Auch das Schloss im Städtchen, damals arg heruntergekommen, ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Gleich hinter dem Stadthafen liegt es, cremefarben, mit zwei runden Türmen und einer weißen Säulenreihe dazwischen. Das Tucholsky-Museum mit dem Schreibtisch aus dem Exil, einer Totenmaske und vielen Briefen und Erstausgaben hat hier den passenden Ort gefunden. Mit „Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte“ war der Dichter 1912 bekannt geworden. Die Dokumente seines späteren Kampfes gegen Militaristen und Nazis bilden einen düsteren Kontrast zur heiteren Urlaubswelt ringsum.

Schloss Rheinsberg. Vom Wasser aus ein besonderer optischer Genuss
Schloss Rheinsberg. Vom Wasser aus ein besonderer optischer Genuss

© Franz Lerchenmüller

Zur guten Nacht soll die „Luisa“ in der Marina Wolfsbruch anlegen, einem künstlich geschaffenen Hafen weiter nördlich. Das Hotel, die vielen Charterboote, die bunten Holzhäuser, die sich um das Becken reihen wie in einem norwegischen Fischerdorf – all das nimmt der Skipper nur am Rande wahr. Ihm geht vor allem eines durch den Kopf: Mann, ist das voll hier! „Neben der ,Mon amour‘ könnt Ihr rückwärts anlegen“, ruft der Hafenmeister vom Pier. Rückwärts? In diesen Schlauch? Unter den Augen Dutzender von Zuschauern?

Es hilft nichts. Der Skipper dreht, der Skipper steuert, sin Fru ruft Kommandos, Bug- und Heckstrahlruder rauschen im Sekundentakt – und, kaum zu glauben: Ganz, ganz langsam, ohne bei den Nachbarn anzuklopfen, schiebt sich die brave „Luisa“ folgsam in den engen Korridor. „Ist gut!“, ruft sin Fru. Sie macht die Leinen fest und kommt strahlend nach vorn. Der stolze Skipper zieht schon mal eine Zwischenbilanz: Keine Wracks am Wasserweg zurückgelassen. Kein Kanu gekippt, kein Naturschutzgebiet ruiniert, keinen Steg demoliert. Würde er sich also noch einmal auf das Abenteuer einlassen?

Bitte sehr, bitte gern. Aber beim nächsten Mal darf es durchaus auch ein schnuckliges, kleines Sportboot sein.

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