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Die große Flut ist über die Lausitz gekommen. Ganz kontrolliert. Aus den Löchern des Braunkohletagebaus ist eine formidable Seenlandschaft geworden.

© LMBV, Peter Radke

Lausitzer Seenland: Die Fischreiher kreisen schon

Skater und Segler, Radler und Paddler: Alle haben ihren Spaß im Lausitzer Seenland. Nun wird in der Region sogar Wein angebaut.

Reisender, kommst Du an die Lausitzer Seen, vergiss Deine Rollerskates nicht. Auch ein deutsch-tschechisches Wörterbuch kann nicht schaden. Rund 20 Kilometer lang und glatt wie ein Babypopo ist die Piste rund um den Senftenberger See, breit genug, dass sich Radfahrer, Spaziergänger und Skater nicht ins Gehege kommen. Viele Enthusiasten, die auf diese Weise den Senftenberger See erobern, sind aus dem nördlichen Tschechien angereist, wo es ein vergleichbar gutes Revier für Surfer, Segler und Radler nicht gibt.

Für sie sind die ehemaligen „Restlöcher“ ebenso zu Hausseen geworden wie für die zahlreichen Dresdner, die keine Stunde brauchen, um zu ihrem Naherholungsgebiet zu gelangen. Für alle ist der nagelneue Stadthafen in Senftenberg ein guter Start- und Zielpunkt. Das müsste für ehrgeizige Skater und Radler in eineinhalb, zwei Stunden gut zu schaffen sein.

Die anderen haben unterwegs viel zu schauen – und sei es, dass sie Aussichtstürme besteigen, die hier manchmal zu seltsamen Konstruktionen montiert sind, um einen Überblick zu geben – teils über höchst aktiven Braunkohleabbau, teils über eine neue Bodenlandschaft im Werden und teils über Seen, die sich noch füllen. Oder über Gewässer, die zu Freizeitlandschaften geworden sind.

Wer will, kann etwa einen Abstecher zum Geierswalder See machen, der für allerlei Unerwartetes gut ist. Es fängt an mit einem doppelstöckigen Gebäude, das mit länglichen blauen, grauen und gelben Kacheln so verkleidet ist, als habe jemand um jeden Preis eine ordentliche Struktur vermeiden wollen. Wäre das Gebäude nicht nach vorne hin aufgeständert, so würde es umkippen wie eine wacklige Legokonstuktion.

Im Takt. Rund um den Senftenberger See kommen Inlineskater auf ihre Kosten.
Im Takt. Rund um den Senftenberger See kommen Inlineskater auf ihre Kosten.

© Schulte Döinghaus

Oben hat ein Schleusenwärter den Überblick, als Chef über dem Koschener Kanal, der den Senftenberger mit dem Geierswalder See als „Überleiter 12“ verbindet und über den der Landesrechnungshof Brandenburg befand: „Dramatische Kostenentwicklung mit großen zeitlichen Verzögerungen“. Die Kanalverbindung hat nämlich 51 Millionen Euro gekostet, fast das Neunfache der ursprünglich veranschlagten Kosten. Demnächst sollen alle 16 Seen („Restlöcher“) durch Kanäle miteinander verbunden und schiffbar sein – wenn alle Durchlässe so teuer werden, dann gnade euch Gott, ihr Brandenburgischen und sächsischen Haushalte!

Das Koschener-Kanal- und Schleusen-Bauwerk jedenfalls ist noch so neu, dass manchmal Dutzende neugieriger Radfahrer einem oder zwei Freizeitkapitänen dabei zuschauen, wie ihre Boote von einem See in den anderen geschleust werden. Noch ist der Verkehr so überschaubar, dass die Wasserfahrzeuge gut und gerne zum Nachbarsee auch getragen oder gezogen werden könnten.

Auf dem Weg nach Geierswalde sägen Jetboote mit einem Aufheulen über den See, als rodeten sie Regenwälder. Die Tage der Nervensägen sind auf diesem See aber gezählt; sie sollen auf eines der umliegenden Gewässer verbannt werden. Senftenberger und Geierswalder See sind für geräuscharmen Tourismus reserviert. Führerscheinfreie Bötchen tuckern mit höchsten 12,5 Kilometern pro Stunde herum, begegnen Partybötchen, auf denen gezecht und gegrillt wird. Sie legen unweit einer Baustelle ab, wo ein Leuchtturmhotel entsteht, in dem ab nächstem Jahr gewohnt und getagt werden kann. Hochbetrieb am Kunstsee.

Windsurfer und Stehpaddler kreuzen hüben, und drüben, am Ostufer hinter Geierswalde, gibt’s einen ausgedehnten Sandstrand, über dem die Drachen der Kiter stehen. Fast wird der Turm der hübschen Dorfkirche von den neuen Landmarken unten am Strand verstellt. Vier schwimmende Wohnhäuser auf Pontons, aus Glas, Stahl und Aluminium, dümpeln kaum merklich vor einem Steg und warten darauf, für bis zu 300 Euro pro Nacht oder knapp 800 Euro pro Woche bewohnt zu werden. Die zweistöckigen 97-Quadratmeter-Schwimmhäuser lagern ungefähr da, wo einst das Dorf Scado stand, das 1432 als Gutsdorf Scado begründet wurde und das 1966 dem Braunkohlentagebau weichen musste.

Elternvögel bringen ihrem Nachwuchs hier das Fliegen bei

Rebpflege. Am Großräschener bewirtschaftet ein Hobbywinzer Rebstöcke der Sorte Pinotin.
Rebpflege. Am Großräschener bewirtschaftet ein Hobbywinzer Rebstöcke der Sorte Pinotin.

© Foto. Schulte Döinghaus

Wer das Lausitzer Seenland bereist, stößt überall auf Erinnerungen an versunkene Dörfer und Siedlungen, die Opfer des Braunkohletagebaus wurden. Insgesamt 136 Gemeinden, heißt es, seien seit 1924 verschwunden, in unmittelbarer Nähe etwa Groß Partnitz (heute: im Partnitzer See) oder Sorno (im Sedlitzer See) oder Geisendorf (im Tagebau Welzow-Süd). Von dieser Ortschaft ist das „Gut Geisendorf“ übrig geblieben, heute ein von der Vattenfall Europe Mining AG saniertes und finanziertes Kulturforum, an der der gigantische Bagger buchstäblich vorbeischrammt.

Am Eingang des sanierten Gutshauses grüßt rätselhaft und stoisch eine Großskulptur in eine Runde aufgekratzter Sommerfrischler, die sich zuprosten. Wenige hundert Meter weiter links speit ein Riesenausleger unentwegt Abraum oder Braunkohle aus. Unmittelbar an das Gutsgelände grenzt der Tagebau Welzow Süd, man kann über eine Absperrung in ein Baggerloch spucken, in das gut und gerne 100 Fußballfelder passen würden.

Am Horizont paffen die Türme des Kraftwerks „Schwarze Pumpe“, und ihr Dampf scheint sich mit den Wolken über der Mondlandschaft zu verbinden. Fast geräuschlos mutet die Szenerie an, wäre nicht das Geplapper von der Gartenparty und das vereinzelte Schreien von Möwen, die sich zu Kolonien an den Lausitzer Seen niedergelassen haben. Möwen hier, wo es binnenländischer nicht sein kann?

Die Vogelwelt hat sich schnell angepasst. Drüben, über dem noch nicht komplett gefluteten Sedlitzer See, kreisen gerne die Fischreiher – obwohl der See (noch) keine Fische hat. Was also lockt die Tiere? Die Elternvögel, sagt einer, der sich auskennt, bringen ihrem Nachwuchs hier das Fliegen bei, weil über dem Wasser so ein schöner Aufwind ist.

Wenn er pflügt oder düngt, erzählt der promovierte Landwirt Andreas Wobar, folgten ihm die Möwenschwärme wie einem Krabbenkutter, und er kann sich nicht recht erklären, wie die Meeresvögel zu den Lausitzer Seen gefunden haben. Wie der Weinbau an den Großräschener See gekommen ist, darauf weiß der Hobbywinzer perfekte Antworten; am Nordufer des Sees im Werden, der im übernächsten Jahr geflutet sein soll, bewirtschaftet er einen Hektar Rebstöcke der Sorte Pinotin und hofft, daraus mal einen aromatischen Roten keltern zu können. Im Weinanbaugebiet Brandenburg!

Wenn alles gut geht, kann er sich dann mit den Winzern von Welzow-Süd zusammentun. Die versuchen sich inzwischen an Rondo, Cabernet, Kernling, Grauburgunder, Weißburgunder und Rotem Riesling, wo 1990 die Siedlung Wolkenberg zugunsten der Braunkohleförderung aufgegeben wurde. Heute winden sich junge Rebpflanzen dort empor, wo ein paar Steinwürfe entfernt ein Abraummonstrum baggert. Um jenen höchst umstrittenen Energie- und Kohlendioxidlieferanten Braunkohle freizulegen, dem die idyllischen Seen zu verdanken sind, die heute die Skater und Radler umkreisen.

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