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Nur im Strandkorb zu liegen, ist langweilig. Langeoog ist ein Dorado für Aktive. Manche trainieren hier sogar fürs Sportabzeichen.

©  Hilke Segbers

Ostfriesische Insel Langeoog: Hundertmeterlauf zur Welle

Auf Langeoog werden manche Urlauber nostalgisch. Ist ja alles wie früher. Nur die Unterkünfte sind moderner geworden.

Die nachhaltigste Kindheitserinnerung von Urlauben in Langeoog ist Sand. Sand war einfach überall. Er scheuerte in den Schuhen, rieselte aus den Buchseiten, klebte an den Apfelschnitzen und ruinierte das Eis. Aber er ließ sich auch ganz wunderbar – mit Seewasser aus dem Plastikgießkännchen – zu Kuchen formen, während Papa eine Sandburg um den Strandkorb herum auftürmte. Und in den warmen Prielen fühlte sich der Sand an den Füßen wie Seide an.

Sand gibt es auf der ostfriesischen Insel immer noch reichlich – und überhaupt hat sich wenig geändert in den vergangenen Jahrzehnten. Was eine gute Nachricht ist. Zwar sind die Gästezahlen nach Angaben der Gemeinde von rund 40 000 im Jahr Anfang der 1960er auf inzwischen 250 000 gestiegen. Doch das hat das Bild der Insel, die seit 1949 anerkanntes Nordseeheilbad ist, nicht nachhaltig verändert. Sie fühlt sich immer noch so an wie früher – und riecht auch immer noch gleich: nach Meer und Wildrosen.

Auf der Überfahrt von Bensersiel duftet es auf dem Fährschiff „Langeoog 3“ allerdings erst einmal nach Würstchen. Und das schon seit Jahrzehnten. Die köstliche heiße Bockwurst wird mit einem halben Toast gereicht, dazu ein Klecks Senf. Das ist für viele Fahrgäste ein Muss. Die Überfahrt durch das Watt dauert eine halbe Stunde. Wenn die Sonne scheint, glitzert das Meer wie mit Millionen Diamanten bestreut. Immer aber liegt Salz in der Luft, und die Gischt knistert leise.

Am Hafen wechselt der Gast in die Inselbahn, die ihn ins Dorf bringt. Ihre Waggons sind in allen möglichen Farben gestrichen, in gemächlichem Tempo geht es durch die Wiesen zu den Häusern. Pferde heben neugierig den Kopf, Fasane stieben über die Wiesen – jetzt liegt der Duft von Gras und Heu in der Luft. Am Bahnhof warten mitunter wie früher Pensionsbesitzer mit Bollerwagen auf die Neuankömmlinge, viele Besucher hingegen kennen den Weg zur Unterkunft und stapfen alleine los. Oder klettern in ein Pferdefuhrwerk – Taxen gibt es auf Langeoog nicht, und auch sonst keine Autos, bis auf die der Feuerwehr und des Notarztes.

Viel zu erleben gibt es auf der zwölf Kilometer langen Insel nicht. Singgruppen, Lesungen, Theateraufführungen, ein kleines Kino. Dafür ist es himmlisch ruhig – und man hat Muße für ein dickes Buch und lange Spaziergänge. Der Strand mit seinem schneeweißen, feinen Sand ist immer noch die Hauptattraktion von Langeoog. Lange Klinkersteinwege, die in der Sonne unter den Fußsohlen glühen, führen durch die Dünen Richtung Strand. Das letzte Stück hinunter zu den Strandkörben geht über malerisch verwitterte Holzstege.

Auch den „Sportpalast“ gibt es noch – eine einfache Unterkunft für die Sportlehrer, die engagierte Gäste am Strand fürs Sportabzeichen trainieren. Für die Prüfungen wird bei Wind und Wetter geackert: Weitsprung, Kugelstoßen und Hundertmeterlauf. Früher wurde für den Freischwimmer bei Ebbe im Meer geübt. Man schluckte Seewasser, Seetang wickelte sich um die Füße, und Quallen kreuzten den Weg. Das ist eines der Dinge, die sich zum Guten gewendet haben, dank Meerwasser-Wellenbad.

Die Sommermonate sind am schönsten

Zwei PS genügen. Langeoog ist autofrei. Wer nicht zu Fuß läuft, nimmt den Pferdewagen.
Zwei PS genügen. Langeoog ist autofrei. Wer nicht zu Fuß läuft, nimmt den Pferdewagen.

© Hilke Segbers

Überhaupt hat sich die Insel dort weiterentwickelt, wo es Sinn macht, und hat sich das Traditionelle doch bewahrt. Moderner geworden sind vor allem die Hotels, Pensionen und Apartmenthäuser. Das Frühstück in der Pension bringt kein Fräulein mit weißer Schürze mehr, dafür sind jedoch auch die Gemeinschaftsduschen und -toiletten passé. Hotels wie die der Familie Kolb – fünf Häuser mit sehr unterschiedlichen Konzepten – oder das große „Logierhus“ im Inselzentrum wurden neu gebaut, fügen sich dennoch gut zwischen den überwiegend in Backstein errichteten Gebäude der Insel ein. Und auch alte Inselhäuser wurden für den Hotelbetrieb behutsam renoviert, wie das malerische „Norderriff“ am Dorfrand.

Zu den Traditionsrestaurants gehört der „Seekrug“ in den Dünen vor dem Hauptstrand. Der Bau aus den 70er Jahren ist von außen wenig attraktiv, innen aber modern eingerichtet. Der Blick geht weit über das Meer. Vor allem kann man dort gut essen. Wie auch in der nicht weit entfernten „Strandhalle“, deren markanter Rundbau ein wenig Seebadflair verbreitet. Die Gastronomen der Insel setzen auf regionale Zutaten. Die Steaks von „Seekrug“-Wirt Michael Recktenwald beispielsweise stammen von Langeooger Rindern. Der Käse kommt aus Aurich, die Fasane wiederum von der Insel. „Und die sieben Rehe aus Langeoog vergangene Saison waren ratzfatz weg“, sagt Recktenwald.

Je nach Jahreszeit werden Ausflüge mit dem Krabbenkutter angeboten oder zu den Seehundbänken. Auch lassen sich köstliche Brombeeren sammeln, Champignons auf den Wiesen oder Birkenpilze im Wäldchen.

Mehr als 25 Kilometer Radwege verlaufen über die Insel, ein besonders schöner führt vom Dorf durch das Wäldchen zum Hafen. Hier steht ein Teehaus unter Reet, wo wunderbarer Kuchen zum Ostfriesentee mit Kluntjes gereicht wird. Früher waren dort kurze Hosen unerwünscht – die Wirtin reichte dann mit grimmiger Miene eine Art Rundumschürze. Das sieht der heutige Betreiber deutlich entspannter.

Verbreitet Seebadflair: die „Strandhalle“ mit ihrem markanten Rundbau.
Verbreitet Seebadflair: die „Strandhalle“ mit ihrem markanten Rundbau.

© Hilke Segbers

Die meiste Zeit verbringt der Urlauber – der heute im Schnitt neun Tage auf Langeoog bleibt – allerdings am 14 Kilometer langen Strand. Auch bei schlechtem Wetter. Bei Regen werden einfach die Strandkörbe gegeneinandergestellt, und man wartet im schummrigen Inneren aneinandergekuschelt den Regenguss ab. Denn der Wind an der Nordsee sorgt dafür, dass die Wolken sich meist schnell wieder verziehen.

Wenn die Sonne scheint, gibt es zwei Richtungen für einen Strandspaziergang: Am Westende locken die Muschelbänke und am Ostende die Meierei mit selbst gemachter Dickmilch. Sie wird dort von der Langeoogerin Dagmar Falke –in ebenfalls seit Jahrzehnten gleichem, einfachstem Ambiente – mit Sanddornsaft und einem Stück Schwarzbrot gereicht. Für Kinder gibt es Eis am Stiel. Und dann sitzt man satt und zufrieden im Garten, während die Sommersonne Nasenrücken und Scheitel verbrennt.

Die Sommermonate sind auf Langeoog am schönsten, wegen der 125 000 Tagesgäste pro Jahr vom Festland herrscht dann aber auch am meisten Betrieb. Die knapp 2000 Einwohner stöhnen gerne ein wenig über die vielen Menschen, die durch die Barkhausen- und die Hauptstraße schlendern. Hier finden sich die meisten Cafés und Geschäfte, wie das Traditionscafé „Leiß“, gegründet 1958, und das Eiscafé „Pinese“, dessen Betreiber seit 38 Jahren köstliche Eisbecher zaubern. Die Boutiquen haben über die Jahre ein immer attraktiveres Angebot bekommen. Die Zeiten der inseltypischen Windjackenläden sind vorbei.

Der Frühling, der Frühsommer und der Herbst sind auf Langeoog sehr viel ruhiger, aber nicht minder schön. Viele Gäste, die schon lange kommen, favorisieren inzwischen die Nebensaison. Oder gar den Winter, wenn sich am Strand manchmal Eisschollen zu bizarren Gebilden zusammenschieben. Auf jeden Fall fährt kaum ein Gast fort ohne den Wunsch nach einer Rückkehr zur Insel. Auch wenn die Sonnencreme, die auf der Fähre noch einmal gezückt werden muss, ein wenig im Gesicht schrappt. Der Sand, natürlich.

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