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Ganz schön steil. Zum Glück gibt’s ein Stahlseil als Sicherung.

© Jens Wegner

Zugspitze: Wir brauchen keine Gondel

Ein Vater und seine achtjährige Tochter wollen hinauf zur Zugspitze. Zu Fuß. Am Ziel sind sie erschöpft – aber glücklich.

Es ist vielleicht der kritischste Moment der Reise. Ob wir morgen von uns sagen können, wir sind zu Fuß auf den höchsten Gipfel Deutschlands gestiegen, entscheidet sich heute an einem Holztisch im Bergrestaurant Sonnalpin. „Wird es anstrengend?“, fragt Finja und mümmelt ihr Nutellabrötchen. „Ja“, sage ich. – „Und wie lange dauert es?“ Gute Frage. Genau weiß ich es auch nicht. „Zwei Stunden“, antworte ich. Meine Tochter blickt kurz aus dem Fenster, sieht eine Gondel vorbeifahren. In nur wenigen Minuten könnte sie uns die fehlenden 300 Höhenmeter den Berg hinauftragen. „Okay“, sagt sie. „Wir gehen.“

Die Entscheidung meiner Achtjährigen ist keine Selbstverständlichkeit. Denn wir sind schon mehr als zwei Tage unterwegs. Die sind vollgestopft mit Erlebnissen, die glatt für die Ferien eines ganzen Jahres ausreichen. Brütende Hitze und eine Schlittenfahrt gehören dazu, ebenso wie Hagel, Blitzeinschlag und ein Bad unter freiem Himmel. Unser Ziel: Deutschlands höchster Berg, die Zugspitze.

Unser Abenteuer beginnt frühmorgens auf etwa 700 Meter Höhe am Skisprungstadion von Garmisch-Partenkirchen, das für die Olympischen Winterspiele im Jahr 1936 erbaut wurde. Für unsere Gipfelbesteigung haben wir uns den Weg durch das Reintal ausgesucht, den leichtesten, aber auch längsten Aufstieg. Vom Stadion aus führt uns ein breiter Wanderweg in einer halben Stunde zunächst zur Partnachklamm. Die eng beieinanderstehenden und bis zu 80 Meter hohen Felswände lassen einen unweigerlich an die Wolfsklamm aus Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ denken.

Am Morgen weckt uns der Hüttenbetreiber mit dem Akkordeon

Während wir dieses Naturdenkmal mit zahlreichen Touristen aus aller Welt teilen müssen, sehen wir nach der Klamm immer weniger Menschen. Der tosende Wildbach Partnach indes wird für den Rest des Tages unserer Begleiter sein. Das ist ein Glück, denn je mehr der Vormittag voranschreitet, desto heißer wird es: knapp 30 Grad. Eigentlich zu heiß zum Wandern. Doch die Partnach bietet an einigen Stellen Gelegenheit zur Abkühlung, und so tauchen wir immer wieder unsere Mützen ins Wasser und setzen sie triefnass wieder auf.

Der Versuch eines Fußbades ist hingegen schnell wieder beendet. Der Bergbach ist so kalt, dass wir es keine 30 Sekunden barfuß darin aushalten. Umso mehr freut uns eine Entdeckung kurz vor Ende dieser ersten Etappe: Am Wegesrand entdecken wir einen kleinen Naturpool. Da von oben nur ein kleines Rinnsal in das Becken läuft und unten nur wenig wieder hinausfließt, hat sich das Wasser auf eine erträgliche Temperatur erwärmt. Wir überlegen nicht lange. In wenigen Augenblicken sind wir aus den verschwitzten Klamotten geschlüpft – und rein ins Nass.

So erfrischt, sind die letzten Schritte der ersten Etappe eine Kleinigkeit. Nach einer sanften Biegung taucht vor uns die Reintalangerhütte auf 1366 Meter Höhe auf – unser erste Übernachtungsstation. Nach 14 Kilometern in sengender Hitze wirkt dieser Ort wie die Vorstufe zum Paradies: Umgeben von riesigen Felswänden sind an beiden Ufern der Partnach Tische und Stühle aufgestellt, an denen man sich erholen kann. Zwischen den Bäumen flattern bunte tibetische Gebetstücher im Wind, und die nette Bedienung bringt schnell eine kühle Cola für Finja und ein eiskaltes Helles für Papa.

So gestärkt und nach einer Portion Nudeln beziehungsweise Leberkäs könnte man in dieser lauen Sommernacht noch lange draußen sitzen und den spektakulären Abendhimmel betrachten. Aber die Hüttenregeln sind streng und um 22 Uhr herrscht Nachtruhegebot. Daran sollte sich jeder halten, wenn er ausreichend Schlaf bekommen möchte. Das Besondere an dieser Hütte ist nämlich der Weckruf um sechs Uhr früh. Ausgerüstet mit Akkordeon, Hackbrett und anderen traditionellen Instrumenten geben die Hüttenbetreiber jeden Morgen mit einem Liedchen das Startsignal für den nächsten Tag.

Unsere Trinkflaschen füllen wir im Brunnen

Dieser bedeutet für uns die zweite Etappe, auf der bei nur drei Kilometern Distanz fast 700 Höhenmeter überwunden werden müssen. Anfangs spenden die letzten Bäume noch etwas Schatten, dann aber ist die Baumgrenze erreicht, und es geht in der prallen Sonne steile Steinpfade hinauf. Wegen der Hitze ist es die härteste Etappe der Reise. Sehnsüchtig blicken wir zurück auf die Partnach, die sich nun in der Ferne durch das Tal schlängelt. Finja kämpft sich Schritt für Schritt voran. „Ich kann nicht mehr“ und „Ist es noch weit?“ sind an diesem Tag die Worte, die ich am häufigsten höre.

Unsere Trinkflaschen leeren sich schnell. Da kommt uns nach der Hälfte des Weges ein kleiner Brunnen gerade recht. Wir schleppen uns weiter und haben kaum Energie, die Gämsen zu beobachten, die über unseren Köpfen akrobatisch die steilen Felswände emporklettern.

Die Knorrhütte auf 2050 Metern Höhe ist heute die Erlösung. Den Nachmittag verbringen wir auf der Terrasse und bestaunen die Berggipfel um uns herum. Erste Wolken ziehen auf. Binnen einer halben Stunde werden daraus turmhohe Gewitterwolken. Und wo wir eben noch im gleißenden Sonnenlicht gesessen haben, wird es in kürzester Zeit dunkel.

Rodeln mitten im Sommer

Das Gipfelkreuz auf Deutschlands höchstem Berg.
Das Gipfelkreuz auf Deutschlands höchstem Berg.

© epd-bild/mck

Wir flüchten in die Hütte. Keine Minute zu früh: Schon schlagen die ersten Tropfen ans Fenster, gefolgt von kirschkerngroßen Hagelkörnern. Und dann bricht das Gewitter los. Immer mehr Wanderer, die von dem Unwetter überrascht wurden, erreichen – triefend nass – die Hütte. Und dann wird es finster. Ein Blitz hat in der Nähe der Hütte eingeschlagen, die Sicherungen sind durchgebrannt. Der Hüttenwirt bleibt gelassen: „Ach, a bisserl Überspannung“, sagt er nur, und wenig später haben wir wieder Licht.

In unserem Matratzenlager liege ich lange wach, lausche dem Regen und frage mich, wie wir es bei diesem Wetter am nächsten Tag bis nach Sonnalpin schaffen sollen.

Doch morgens um sechs weckt uns strahlender Sonnenschein. Schnell packen wir unsere Sachen zusammen, frühstücken eilig und beginnen die letzte Etappe. Der Weg führt uns nun bei sehr viel angenehmeren Temperaturen quer über das sogenannte Zugspitzplatt, vorbei an stillstehenden Skiliften und über Schneefelder, die hier oben noch an einigen Stellen liegen geblieben sind.

Schnell überwinden wir die 600 Höhenmeter und kommen nach zwei Stunden am Bergrestaurant Sonnalpin an. Hier wartet eine für den Hochsommer ungewöhnliche Attraktion: die Rodelbahn. An einem nördlichen Hang liegt sogar noch genug Schnee für ein paar Abfahrten. Die Schlittenbobs dafür können wir uns kostenlos ausleihen.

Bei jedem Schritt rutschen wir auf losen Steinen wieder hinunter

Danach gönnen wir uns ein zweites Frühstück. Dabei entscheidet sich Finja trotz aller Strapazen gegen die Gondel und für den kompletten Aufstieg. Zuvor müssen wir den steilsten Anstieg der gesamten Tour bewältigen. Über ein Geröllfeld kraxeln wir etwas mehr als eine halbe Stunde steil bergauf bis zum Schneefernerhaus. Das ehemalige Hotel wurde Anfang der 1990er Jahre geschlossen und beherbergt nun eine Umweltforschungsstation. Bei jedem Schritt rutschen wir auf den losen Steinen wieder ein Stückchen hinunter, müssen schon mal auf allen Vieren vorankrabbeln.

Am Ende der Geröllpiste windet sich ein schmaler Steinpfad durch die Felswände und über den Gipfelgrat den Berg hinauf. Nach den bestandenen Passagen wäre das eigentlich keine große Herausforderung mehr, führten nicht einige Teilstrecken direkt am Abhang entlang. Ein Stolperer an der falschen Stelle und es ginge schlimmstenfalls ein paar hundert Meter bergab. Zum Glück sind wir vorbereitet: Mit Bandschlingen und Karabinerhaken sichern wir uns an einem Drahtseil, das fest im Felsen verankert ist. „Niemals beide Karabiner vom Drahtseil lösen“, schärfe ich Finja ein. Sie hält sich daran.

Begleitet von einem permanenten „Klack, klack“ beim Umhängen der Karabiner arbeiten wir uns voran Richtung Gipfel. Auf dem letzten Grat vor dem Ziel rasten wir noch einmal. Vor uns sehen wir in der Tiefe Sonnalpin, wo wir vor knapp zwei Stunden noch gesessen haben, hinter uns blicken wir hinab nach Österreich.

Endlich ragt das goldene Gipfelkreuz vor uns auf

Lange können wir die Aussicht nicht genießen, die Wolken rundherum werden dichter. Wir brechen wieder auf. Direkt vor uns sehen wir schon das Gipfelplateau mit seiner Aussichtsterrasse. „Gleich sind wir am Ziel“, rufe ich Finja zu. Doch nun wird es noch einmal kurios. Denn wer aus unserer Richtung zum Gipfelkreuz will, muss über die Besucherplattform laufen. Nach einer letzten Kehre geht es eine kurze Metalltreppe hinauf, die uns zurück in die Zivilisation trägt.

Auf einmal sind wir wieder umgeben von Menschen. Doch die vielen Weißwurst und Kaiserschmarrn essenden Touristen interessieren uns jetzt ebenso wenig wie die höchste Hütte, das höchste Postamt oder der höchste Biergarten Deutschlands. Vorbei an neugierigen Blicken eilen wir quer über das Plateau und eine weitere Metalltreppe wieder ein paar Meter hinab.

Noch einmal lassen wir unsere Karabinerhaken in das Drahtseil einrasten, klettern eine paar Stahlsprossen empor, die in den Fels eingelassen sind, umrunden eine Felsnase und sind – endlich, endlich – am Ziel. Vor uns ragt das goldene Gipfelkreuz der Zugspitze in den Himmel. 2962 Meter. Höher hinauf geht es in Deutschland nicht. Erschöpft lassen wir von einem französischen Pärchen das obligatorische Gipfelfoto von uns machen. Leider vor grauem Hintergrund. Denn die Wolken sind mittlerweile immer dichter geworden. Doch die Sicht mag noch so getrübt sein, unsere Stimmung ist es nicht. Wir sind auf die Zugspitze gegangen. Den gesamten Weg.

Tipps für die Zugspitze

Ganz schön steil. Zum Glück gibt’s ein Stahlseil als Sicherung.
Ganz schön steil. Zum Glück gibt’s ein Stahlseil als Sicherung.

© Jens Wegner

ANREISE

Ab Berlin in achteinhalb Stunden mit zwei Mal umsteigen nach Garmisch-Partenkirchen.

UNTERKUNFT

Zum Beispiel: Gasthof Rassen. Einfach eingerichtete Zimmer, ab 26 Euro pro Nase im Doppelzimmer mit Frühstück. In der Wirtsstube: etwa Schweinshaxe in Biersauce oder auch Speck-Kraut-Salat (Telefon: 088 21 / 208, Internet: gasthof-rassen.de).

Zum Skistadion sind es von dort aus nur rund zehn Minuten zu Fuß.

EINKEHR

In der urigen Bockhütte direkt an der Partnach gibt’s deftige Brotzeiten, Buttermilch oder Kaffee und Kuchen zu spektakulären Aussichten auf die drei Berggrate ringsherum.

Mehr Infos im Internet: bockhütte.de

Jens Wegner

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