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Griechenland: Am Tisch der Götter

Vier Orte, eine einzige asphaltierte Straße und türkis leuchtende Buchten: Astypalea beglückt jeden Griechenland-Nostalgiker.

Schmetterling, „Pataloudo“ – so nennen die Griechen sie. Denn wie ein Schmetterling, der sich in die Ägais verirrt hat, liegt sie da: die Insel Astypalea, die unbekannte Schöne. Linkerhand die Kykladen, rechts die großen Inseln des Dodekanes, dazwischen viel blaues Meer. Ihre bewegte Geschichte teilt Astypalea mit vielen griechischen Orten und Inseln. Ob Minoer, Mykener, Venezianer, Türken – die meisten kamen früher als Eroberer und Plünderer, andere, wie die Römer, als Kurgäste. Dennoch: Auf historische Entdeckungsreise zu gehen, lohnt hier nicht. Die wenigen archäologischen Funde von Astypalea sind am Hafen in einem Museum ausgestellt.

In die vier Dörfer Astypalaia, Livadi, Maltezana und Vathi kommen die Griechen wegen ihrer Verwandten, die wenigen anderen Besucher lockt es hingegen zum Wandern, einige wenige auch zum Baden. In erster Linie aber ist dieses kleine Dodekanes-Eiland eine „Ich-will-hier-einfach-nur-sitzen“-Insel. Zum Beispiel in der Ouzerie an der kleinen Hafenpromenade, neben scheinbar gleichmütig dreinschauenden Fischern, die so aussehen, als hätten sie sich seit Sokrates’ Zeiten nicht von der Stelle gerührt. Griechenland-Nostalgiker finden auf Astypalea ein Stück verloren geglaubten Glücks.

So wie Irmgard. Die ehemalige Kindergärtnerin hat vor Jahren zu einem Spottpreis den winzigen Dachaufbau eines der weißen kubischen Häuser gemietet. Zwei Mal jährlich kommt sie für ein paar Wochen. Wie viele Fremde, die Astypalea zur zweiten Heimat machten, beobachtet sie Bauaktivitäten skeptisch: „Wir wollen keinen Massentourismus.“ Davon ist Astypalea aber noch weit entfernt, am „Airport“ können nur Miniflieger landen; Hotelbunker sucht man vergebens. Vor allem kleine Pensionen bieten Logis. Nur im Juli und August ist kein Zimmer zu bekommen, da erobern die Griechen die Insel.

Anfang September jedoch kehrt Ruhe ein. Dann teilt man sich die beiden Linienbusse und die zwei Taxis nur noch mit den Einheimischen. Livadia–Astypalea–Maltezána: Die einzige asphaltierte Straße zieht sich von West nach Ost. Das macht es übersichtlich. Wer sich abseits dieser Straße bewegt, kommt nur auf Schotterpisten, Esel- und Ziegenpfaden voran. Wie auf vielen Inseln gliedert sich der Hauptort in Skala (Hafenbezirk) und Chora (Oberstadt). Binnen zehn Minuten schafft man es hinauf, über schneeweiße Treppen durch ein Labyrinth von Gässchen. Jeder Blick zurück ein Fotomotiv. Zu Füßen die weiße Stadt auf braunem Fels über blauem Meer mit türkis leuchtenden Buchten: die Farben der Ägäis.

Eine Reihe kleiner stillgelegter Mühlen markiert den Hauptplatz; in einer davon befindet sich die Touristeninformation. In der kleinen Post fischt sich jeder, der eine Nachricht erwartet, seinen Brief selbst aus einer Kiste; Briefträger gibt es hier nicht.

Seit fast 500 Jahren gibt es auch keine Burgherren mehr. Doch die Mauern der venezianischen Festung überragen noch immer beeindruckend die kykladisch-byzantinische Szenerie. Von den drei Kirchlein im Burgbereich ist die Panagia Portaissa wegen ihrer kostbaren Ikonostase am bekanntesten.

Nach einer halben Stunde ist man in Livadi, an einem der Sand-Kies-Strände der Insel, die – sonst eher karg, zerklüftet und baumlos – hier Schatten unter Tamarisken bietet. Mehr noch: Gespeist von unterirdischen Süßwasserseen, ist Livadi der Obst- und Gemüsegarten von Astypalea. „Tisch der Götter“ nannten die alten Griechen die Insel wegen ihrer einstigen Fruchtbarkeit. Alles, was der Boden dieser Oase hergibt, baut auch Bettina Mohn an – und bringt es frisch auf den Frühstückstisch. Die Deutsche führt ein schmuckes Hotel am Meer. Es ist ein besonderes Haus. Erbaut auf Initiative eines gemeinnützigen Vereins, kommt die Miete, die Bettina Mohn diesem zahlt, ausschließlich behinderten, kranken Kindern und deren Familien zugute – ein in Griechenland einmaliges Projekt.

Ein kräftiger Wind weht über die Insel; im Frühjahr trägt er den Duft von Salbei, im Herbst verjagt er die Wolken. So lässt es sich bequem in einer Stunde von Livadi zum einsamen Strand von Agios Konstantinos wandern, vorbei an Bienenstöcken, Thymian, Disteln und Zistrosen. Ziegenböcke thronen auf Felsen. Wer mehr Ausdauer hat, durchquert in drei Stunden den gesamten linken Flügel des „Schmetterlings“ bis zum ehemaligen Kloster Agios Iannis. Täler voller Rhododendren und tiefer Stille. Ein Traumpanorama für ein Picknick mit einem Stück Misithra (Schaf-Ziegen-Käse), Safrankringel, Tomaten und Ouzo ...

Und dann geht es doch noch in die Vergangenheit. 2000 Neugeborenen-Skelette aus vorchristlicher Zeit fand man unterhalb des Kastros. Ein bisschen unheimlich, aber: „Alle sind eines natürlichen Todes gestorben“, beruhigt Archäologin Despina. War die Insel ein Heiligtum der Artemis, der Beschützerin der Schwangeren? Vielleicht. Aber dass die phönizische Prinzessin Astypalea eine Geliebte des Meeresgottes Poseidon war, glauben wir sofort. Denn das ist sie bis heute.

Cornelia Raupach

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