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Schritt für Schritt. Der Aufstieg über Koromilia, im Nordosten des Olymp, ist wenig begangen. Nur selten begegnet man hier rucksackbepackten Touristen.

© Richard Fraunberger

Unterwegs auf dem Olymp: Beim Zeus – beste Aussichten

Thron der Götter, 2918 Meter hoch: Der Olymp ist mythengetränktes Nationalsymbol und alpines Hochgebirgsidyll. Eine Wanderung auf das Dach Griechenlands.

Seit drei Stunden ist er unterwegs, geht, rennt, springt über Steine und knorriges Wurzelwerk, nimmt Kehre um Kehre, steigt immer höher, über Stock und Stein, durch Wald, vorbei an mächtigen Steineichen, Lorbeer- und Erdbeerbäumen, schnauft nicht, keucht nicht, redet nicht, stürmt eisern dem Gipfel entgegen, Schritt für Schritt. Tausend Höhenmeter hat er bereits hinter sich, 650 noch vor sich. Eine Strecke von insgesamt elf Kilometern. „Ein Spaziergang“, hatte er noch vor Beginn der Wanderung gesagt. Da stand er auf der Veranda Koromilias, einer Berghütte tausend Meter über dem Thermaischen Golf, riss den Hüttenwirt aus dem Schlaf, trank einen Kaffee, schnürte die Sportschuhe und spurtete los.

Schweißverklebt steht Kostas Kremetis jetzt im Schatten einer Schwarzfichte und wechselt das Hemd. Die erste Pause seit acht Uhr früh. Maximal zwei Pausen zu je zwei Minuten gönnt er sich. „Den Rhythmus nicht verlieren, immer in Bewegung bleiben“, mahnt Kostas, 64, Rentner und vierfacher Großvater. Was wie eine Schinderei anmutet, ist für ihn das Glück. Das Gehen in den Bergen wärmt sein Herz, beflügelt ihn. Je höher er steigt, desto leichter fühlt er sich. „In den Bergen bin ich ein anderer Mensch.“

Kostas Kremetis, klein gewachsen, die Oberschenkel und Waden aus Granit, die dichten, weißen Haare eine Mütze, das faltige Gesicht ein strahlender Spätsommertag, ist kein Mann, der es lange am Strand aushält, obgleich er an der Ägäis lebt, in Dion, einem Dorf unweit von Thessaloniki.

Mit jedem Schritt schrumpfen die Bäume zu windzerzausten Zwergen

Wenn Kostas Kremetis aus dem Fenster seines Hauses blickt, interessiert ihn nicht das glitzernde Meer, sein Blick geht hinauf auf das, was er seinen Hausberg nennt, den Olymp, Griechenlands höchsten Berg

2918 Meter ist er hoch, ein nahezu kreisförmiges, aus Kalkgestein bestehendes Bergmassiv, sechs Hauptgipfel, 46 Nebengipfel, mythengetränktes Nationalsymbol, Thron der Götter, Abbild der griechischen Mythologie, einst Zufluchtsort für Räuber, Rebellen und Widerstandskämpfer, heute ein Unesco-Biosphärenreservat, bewohnt von Gämsen, Rehen und Wildschweinen, Wölfen, Falken und Mönchsgeiern, bestanden von Panzerkiefern, Buchsbäumen, Enzian, Zistrosen und Orchideen, ein kleines, alpines Hochgebirgsidyll an den Ufern der Ägäis.

Litochoro. Die Kleinstadt bietet Quartiere vor der Wanderung.
Litochoro. Die Kleinstadt bietet Quartiere vor der Wanderung.

© mauritius/W. Bibikow

„Weiter!“, drängt Kostas Kremetis. „Das Beste kommt erst noch“. Der Wanderweg, schmal und schattig, schraubt sich vorbei an Buchen und Föhren. Ein Feuersalamander kriecht durch das Laub. Von den Baumkronen zwitschern Rotkehlchen. Es riecht nach Moos und faulem Holz. Gelegentlich gabelt Kostas auf dem Weg herumliegende Äste mit dem Trekkingstock auf und schleudert sie zur Seite. Mit jedem Schritt schrumpfen die Bäume zu windzerzausten Zwergen, es wachsen die Berge und Felsen, es wachsen die Stille, der Himmel und die Anstrengung auch.

Nebel zieht plötzlich auf und durchtränkt den Wald. Einen Augenblick lang ist nichts zu sehen, keine Berge, nicht die Sonne und schon gar nicht der Weg. Selbst die Umrisse der Bäume versinken im Nebel, lösen sich auf in weiße Gestaltlosigkeit. Es ist ganz still. Ein Vogel stiebt aufgeschreckt aus dem Gebüsch und fliegt davon. Wir sind ganz allein. Nur das Pochen des eigenen Herzens ist zu hören.

Der Flüchtlingskrise zum Trotz herrscht ab Mai Hochbetrieb

Der Aufstieg über Koromilia, im Nordosten des Olymp, ist wenig begangen. Nur selten begegnet man rucksackbepackten Touristen. Rund 150.000 Besucher wandern jedes Jahr durch den Nationalpark, und fast alle drängen sich auf der Strecke zwischen Prionia und der Berghütte Spilios Agapitos, im Süden des Olymp. Sie ist Teil des europäischen Fernwanderwegs E4. Und sie ist die staugefährdete Hauptverkehrsstraße auf dem Weg zum Gipfel, begangen von Familien, Wandergruppen und so manchen Restaurantbesuchern, die nur bis zur nächsten Hütte aufsteigen, um im kühlen Schatten und mit Blick aufs Meer zu Mittag zu essen.

Der Flüchtlingskrise zum Trotz herrscht ab Mai Hochbetrieb auf dem Olymp. Nichts bekommen die Besucher mit von den Flüchtlingsströmen, die sich auf Athen, Idomeni und auf die der türkischen Küste vorgelagerten Inseln beschränken. Nahezu alle Berghütten sind schon Wochen im Voraus ausgebucht.

Neuerdings erfreut sich selbst bei den Griechen das Wandern auf den Olymp größter Beliebtheit. Die Hüttenbetreiber freuen sich über steigende Zahlen heimischer Touristen. Bei der Gipfelbesteigung gewinnt man Abstand zur Krise und zu den eigenen Sorgen. Und das Wandern kostet allemal weniger als der Urlaub am Meer.

Kostas Kremetis brennt es unter den Sohlen

Mit Maultieren wird die Verpflegung für die Bergwanderer auf die Hütten transportiert.
Mit Maultieren wird die Verpflegung für die Bergwanderer auf die Hütten transportiert.

© Richard Fraunberger

Kostas hat nichts gegen die vielen Besucher. Sein Land braucht sie, vor allem jetzt in der wirtschaftlich schweren Zeit, die schon seit sieben Jahren anhält. Aber er möchte nicht Schlange stehen, um eine Kletterpassage an einem Steilhang passieren zu können. Längst hat sich der Wald gelichtet, der Nebel sich aufgelöst. Kostas steht über den Wolken. Wie ein blendend helles Meer liegen sie unter ihm, türmen sich, segeln gegen das Bergmassiv und zerreißen an felsigen Flanken.

Hier, auf gut 2000 Meter Höhe, liegt Petrostrounga, eine Sommerweide der Schäfer. Jahrein, jahraus treiben Viehzüchter ihre Schafherden bergauf, melken, käsen, leben zwei Monate lang in steinigen Katen. Erst kürzlich sind sie wieder ins Tal abgestiegen. Jetzt haben Wildschweine die Herrschaft über Petrostrounga übernommen. Die Erde, schwarz und steinig, ist zerpflügt, umgewühlt, durchlöchert, kein Strauch, kein Busch ist geblieben. Auf der Suche nach Wurzeln, Mäusen und Schnecken haben die Wildschweine den Weideplatz dem Erdboden gleichgemacht.

Seit zwanzig Jahren nimmt Kostas Kremetis diesen Weg hinauf zum Olymp. Es ist seine Hausstrecke. Erst spät entdeckte er seine Leidenschaft fürs Bergwandern. Ein Leben lang arbeitete er als Schreiner und Schlosser, richtete Büros ein, jagte Kunden und Aufträgen hinterher. Erst mit vierzig Jahren stand er zum ersten Mal unter den Gipfeln des Olymps. Seitdem brennt es ihm unter den Sohlen.

Kostas Kremetis wandert nicht, er rennt die Berge hinauf. Was wohl auch daran liegt, dass er jeden Juni am internationalen „Olympus Marathon“ teilnimmt. Eine mörderische, 44 Kilometer lange Strecke, die bei Dion auf Meereshöhe beginnt, sich über 23 Kilometer bis auf 2700 Meter emporschraubt, unterhalb der mächtigen Felswand Stefani vorbeiführt und auf 21 Kilometer Länge wieder ins Tal stürzt, bis nach Litochoro, der Kleinstadt am Fuße des Olymps.

Wie eine Wand ragt der Thron des Zeus auf

Doch an Rennen ist für die meisten nicht zu denken. Zuweilen ist der Aufstieg so steil wie eine an die Wand gelehnte Leiter. Schnaufend, keuchend geht es hinauf, man grübelt, tritt Gedanken los, spürt, wie dicht das Großartige am Stumpfsinnigen liegt, weil jedes Gehen irgendwann monoton wird. Dann, inmitten einer alpinen Hochregion, auf einem schmalen, von steinernen Bruchstücken, Brocken, Blöcken und Platten übersäten Grat, den die Griechen ehrfurchtsvoll Hals nennen, ist er endlich zu sehen: Stefani, Thron des Zeus, eine nahezu senkrecht aufragende Wand. Wie das Rückensegel eines riesigen Reptils ragt sie in den makellos blauen Himmel.

Ein letzter Aufstieg, eine letzte baumlose Kehre, bevor man sich an einem Stahlseil hochzieht, um nach fünf Stunden das grasbedeckte Plateau der Musen jubelnd zu durchqueren, ein mystischer, von den Gipfeln des Olymps beschützter Ort, still, dem Himmel nah, sonnenbeschienen und von Nebelschleier durchzogen.

Neugierig und trittsicher: Ziege am Berg.
Neugierig und trittsicher: Ziege am Berg.

© Richard Fraunberger

Scheu und geduckt steht sie am Rande des Plateaus, ein steinerner Zwerg im Schatten des herrisch gezackten Stefani. Kakkalos, 2650 Meter hoch gelegen, ist die heimeligste Berghütte Griechenlands: eine winzige Küche, ein holzgetäfeltes Wohnzimmer mit Ölheizung und Gitarre und hölzernen Skiern an der Wand, darüber ein Schlafraum mit 18 Betten.

An der Hütte angekommen, verschwindet Kostas Kremetis in der Küche und kehrt mit Salami, Käse und einem halben Liter Tresterschnaps zurück. „Zur Stärkung für den Rückweg“, sagt er und hebt das Glas. Nach dem Essen steigt er wieder ab. Auf einem der Hauptgipfel ist er noch nie gewesen. „Wozu? Der Olymp, das ist Sitzen vor der Berghütte bei einem Glas Schnaps.“

Weit weg vom verplanten, verwalteten, wichtigtuerischen Leben

Auch Theodoro Dhosis ist noch nie auf einen der Gipfel gestiegen. Für solche Ausflüge hat der breitschultrige 52-Jährige keine Zeit. Für ihn ist der Olymp vor allem eins – Knochenarbeit. Ohne Theodoro Dhosis wäre die bewirtete Hütte nichts als ein Biwak mit einem Dach über dem Kopf und einem umwerfenden Blick auf die Ägäis. Bier, Schnaps, Nudeln, Eier, Fleisch, Schokolade, alles, was der erschöpfte Wanderer zur Erholung braucht, transportiert er auf seinen Maultieren bei jedem Wetter die Berge hinauf. Sie sind die Lastwagen des Olymps, stoisch und immer zuverlässig.

Gerade eben ist Theodoro Dhosis an der Kakkalos-Berghütte angekommen, lädt Regale, Heizöl, Gasflaschen und Wasser ab, nimmt einen Schluck Schnaps und eilt mit seinen Maultieren wieder hinab ins Tal. So geht das schon seit über 20 Jahren.

Dabei liegt Mytikas, mit 2918 Metern der höchste Gipfel des Olymps, nur einen Steinwurf von der Berghütte entfernt. Der Weg dorthin ist ein Kratzer im Felsen. Wie ein Band schlängelt er sich unterhalb des Stefani über Schutt und Geröllfelder, vorbei an Felsen, auf denen Gämsen stehen und die Wanderer scheu beäugen. Längst haben sich die Wildtiere und Kletterakrobaten an sie gewöhnt.

In Herden leben sie auf dem Olymp, kraxeln über jeden noch so steilen Hang. Sie ernähren sich von Gräsern, Moos und Flechten, grasen auf dem Plateau der Musen, sie sind überall, kauern direkt vor den geschäftigen Berghütten und neben der aus Natursteinen aufgeschichteten, höchstgelegenen Kapelle des Balkans, hoch oben auf dem Berg Prophitis Elias. Könnte man kraxeln wie sie, im Nu wäre man auf Mytikas.

Rinne nennen die Griechen respektvoll die letzten 200 Meter zum Gipfel, ein 40 Grad steiler und von lockerem Schutt bedeckter, felsiger Aufstieg. Also den Helm gut festschnüren, nach Steinen greifen, Tritte suchen, hangeln, balancieren, nie den Steinen trauen, zig mal entscheiden, welche Route die bessere ist und dann: auf dem Dach Griechenlands stehen, weit weg vom verplanten, verwalteten, wichtigtuerischen Leben da unten auf der Erde und alle Gedanken und jeden Ballast von sich abwerfen und nur noch staunen über die schroffe Schönheit im Herzen des Olymps.

Sieben Hütten auf dem Weg zum Plateau der Musen

ANREISE
Nonstop fliegen Eurowings von Berlin-Tegel nach Thessaloniki sowie Easyjet von Berlin-Schönefeld. Ticket (hin und zurück im Mai rund 150 Euro). Mit Bus oder Zug weiter in die Kleinstadt Litochoro. Einen Busservice von der Stadt zu einem der Ausgangspunkte der Wanderung gibt es nicht. Ein Taxi kostet 35 Euro.

LITOCHORO
Die Kleinstadt ist das Tor für Wanderungen auf den Olymp. Nach Litochoro fahren Busse und Züge aus Athen und Thessaloniki. Der Bahnhof liegt außerhalb der Stadt. Unterkünfte und Restaurants gibt es wie Sand am Meer. Doppelzimmer mit Frühstück ab 50 Euro.

WANDERN
Zum Wandern sind weder lokale Agenturen noch Guides nötig. Alles ist selbsterklärend. Detaillierte Informationen sind bei der lokalen Tourismusbehörde erhältlich. Alle Wanderwege sind bestens ausgeschildert.

Route 1: vom Parkplatz Prionia über die Hütte Spilios Agapitos Route 2: vom Parkplatz Gortsia über die Hütte Petrostrounga Route 3: über die Hütte Koromilia.

Alle Routen führen ins Hochplateau der Musen und damit zu den Hauptgipfeln. Der Aufstieg dauert gut sechs Stunden und ist auch für Kinder machbar. Für der Aufstieg zu Mytikas über die „Rinne“ ist Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich.

UNTERKUNFT
Es gibt sieben bewirtete Hütten, davon zwei auf dem Hochplateau der Musen: Hütte Kakkalos, mobile Telefonnummer: 0030/ 69 37/ 36 16 89; Hüttenwirt Michalis Styllas ist auch Bergsteiger und Geologe, er spricht fließend Englisch. Helme für den Aufstieg auf den Mytikas können bei ihm ausgeliehen werden. Unweit der Hütte Kakkalos liegt die größere Hütte Apostolidis, mobil zu erreichen unter: 0030/ 6932/ 367998. Sie hat Platz für gut 80 Personen. Reservierungen ratsam. Eine Übernachtung kostet 13 Euro.

REISEFÜHRER/LITERATUR Klaus Bötig: Chalkidiki und Thessaloniki, Dumont Verlag, 2014, 17,99 Euro.

Landolf Scherzer: Stürzt die Götter vom Olymp – das andere Griechenland, Aufbau Verlag 2014, 320 Seiten, 19,99 Euro.

AUSKUNFT
discovergreece.com

Richard Fraunberger

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