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Scheuchen nicht erwünscht. Auf die Shetlandinseln zieht es insbesondere Vogelfreunde, die hier in großer Abgeschiedenheit auf Beobachtungsposten gehen können.

© Claudia Ottilie

Die Shetlandinsel: Schätze im Steingarten

Die schottischen Shetlands sind ein Ziel für Naturliebhaber. Dass man auf den Inseln etwas spleenige Bewohner trifft, ist eine Zugabe.

Die Shetländer sind wahre Plaudertaschen. Das merken wir schon am ersten Tag unseres kurzen Aufenthalts auf den Inseln nördlich des schottischen Festlands. Wir begegnen immerhin 22 Menschen und, obwohl in Schottland – fast keinem Schotten. Dafür Engländern, Amerikanern, Wikingern. Alle zu Shetländern geworden, alle etwas schräg. Was allerdings kaum verwundert in einem doch sehr abgeschieden gelegenen Fleckchen Erde.

Am Jarlshof, dem archäologischen Glanzstück des Archipels, empfängt uns Steve mit breitem Grinsen. Der Touristenführer in Teilzeit weist uns gleich mal ein: „Hier vorne sind gleich die Steinzeitreste, dahinter die Rundhäuser der Pikten, ganz hinten stehen die Mauern der Wikingerhäuser.“ Den Turm aus dem Mittelalter könne man zwar besteigen und über die Küste bis zum Leuchtturm von Sumburgh Head schauen, aber die alte Wendeltreppe sei recht schmal und nicht ganz ungefährlich. Wir verzichten.

Steve kommt ins Plaudern, schwärmt vom Auswandererleben. Ursprünglich stammt er aus Mittelengland. Er hatte die Nase voll von der Hektik der Welt und bewirtschaftet nun einen kleinen Hof. „Da hinten stehen meine Schafe den ganzen Sommer auf der Weide, muss mich nicht drum kümmern. Das Gemüse wächst auch ohne mich. Wir sind eine kleine Bauerngemeinschaft und versorgen uns gegenseitig“, erläutert der rotgesichtige Mann das kommunale Leben. „Jeder baut was anderes an und gemeinsam haben wir alles. Nur die Hühner, die kaufen wir im Supermarkt. So billig können wir die selber nicht halten.“

Das Erdöl vor der Küste

Allerdings muss Steve im Sommer in der Tourismusbranche arbeiten, um den Strom für den dunklen Winter zu finanzieren. Eine Weile habe es gedauert, bis die Shetländer ihn akzeptiert hätten, aber nach einigen Jahren hier oben fühle er sich jetzt wir ein richtiger Crofter – ein Bauer auf Shetland.

Bauer zu sein, ist auch auf den atlantischen Inseln ein ehrbarer Beruf. Neben der Fischerei leistet die Landwirtschaft den größten Teil zur Selbstversorgung. „Wäre da nicht das Öl, könnten wir längst so unabhängig sein wie die Färöer“, klagt Cathy während eines Rundgangs durch das Shetland-Museum in der Inselhauptstadt Lerwick. Natürlich würde das Vereinigte Königreich einer Unabhängigkeit der 90 Shetland-Inseln nicht zustimmen, solange vor deren Küste Erdöl gefördert werden kann. Vom „schwarzen Gold“, das muss Cathy zugeben, profitieren auch die Inseln ganz gut. „Seit den 60er Jahren werden Straßen und Schulen gebaut, vor allem aber werden vom Ölgeld für die ältere Generation Alterswohnsitze geschaffen.“

Die reinste Wohlfahrt ist das hier, was sich auch bei einer Rundfahrt in die entlegensten Winkel der fjordischen Voes und feinsandigen Wicks bemerkbar macht. Im einsamen Westen der Hauptinsel füllen Torf und Heide die Lücken im unebenen, felsigen Untergrund zwischen kleinen Lochs und noch kleineren Sumpfteichen. Idyllisch ist der Ausblick bei einer Autofahrt auf der einzigen, beinahe schlaglochfreien Fahrbahn, die sich von Ausweichstelle zu Ausweichstelle bis an den schönsten Strand der Insel nach Sandness windet.

Im Haroldswick ist der erste Norwegerkönig angelandet

Obwohl wir uns auf schottischem Boden befinden, auf den Shetlands sehen wir ebenso wenige Dudelsäcke wie Schottenröcke. Stattdessen spielen in den Pubs von Lerwick und Baltasound die Fiddler mit irisch-keltischem Anklang auf. Dazu trinkt man ein „White Wife“ oder ein „Simmer Dim“, das auf der nördlichsten Shetland-Insel Unst gebraute Ale von Sonny Priest. Wie der echte Simmer Dim, der zwielichtige Sommernachtsschein im hohen Norden, ist auch das Ale des Herrn Priest noch das Hellste unter den Dunklen.

Insgesamt braut der ehemalige Feuerwehrmann sechs verschiedene Ales in der nördlichsten Brauerei Großbritanniens. „Valhalla“ hat er das Labsal genannt und findet, auf diese Weise trage er der Wikinger-Vergangenheit der Inselwelt ausreichend Rechnung. Im benachbarten Haroldswick sei schließlich der erste Norwegerkönig Harald im 10. Jahrhundert angelandet. Ab da herrschten die Wikinger auf den Shetlands, und hätte nicht einer von ihnen mit den Schotten Heiratsgeschäfte machen wollen, sie täten es vielleicht heute noch.

Nicht weit von Sonnys Brauerei haben Skandinavier des 20. Jahrhunderts den Shetländern ein anderes Wikinger-Denkmal überlassen. Auf dem Weg von Norwegen nach Amerika havarierte die „Skibdladner“ und liegt seit 1998 am Ufer des Baltasound. Ebendort klettert heute Morgen der als Wikinger verkleidete Logan auf das Schutzdach eines Langbootes – samt Bügelbrett und -eisen. Sehr eigenartig. Auch Logan, der von den Hebriden auf die Shetlands übersiedelte, war es zu Hause zu langweilig.

Die Insel Unst birgt botanische Raritäten

Er ist übrigens der einzige Shetländer, der uns im Kilt begegnet – selbstverständlich trägt er den nur, wenn er nicht als Wikinger am touristisch gut besuchten Langboot auftritt. Der Bügeleisen-Akt gehört allerdings sonst nicht zu seinen Pflichten. Die zirkusreife Nummer entsprang vielmehr dem nach Abwechslung suchenden Kopf von Debbie Stark. Wie kam die Besitzerin der Ferienanlage „Saxa Vord“ denn darauf? Debbie prustet los: „Wir machen einen kleinen verrückten Fotowettbewerb.“ Okay, unter 500 Einwohnern am Rande der britischen und skandinavischen Welt muss man sich halt etwas einfallen lassen, um die langen Tage des Mittsommers zu füllen.

Wenn 500 Einwohner eine kleine Gemeinschaft sind, was soll da Robert sagen, der auf Fetlar Island dringend für Bevölkerungszuwachs sorgen soll? Robert ist „Entwicklungsmanager“ auf der Nachbarinsel von Unst und soll die Einwohnerzahl von 80 auf 81 bringen. Mindestens. Er sucht: Investoren, Auswanderer, Bauern, Romantiker – eigentlich jeden. Von ihm erfahren wir schließlich mehr über den „Steingarten der Shetlands“: Geologisch vielschichtig und mehrfach gefaltet berge die Insel botanische Raritäten.

Die, sagt Robert, seien „auf der anderen Seite des Hügels“ in großer Vielfalt zu finden. Wir arbeiten uns also voran, klettern über Weidezäune, platschen durch Feuchtwiesen. Schließlich stoßen wir auf den botanischen Schatz: Seltene Sumpforchideen in zartem Pink, Violett und Weiß lugen zwischen fluffigem Wollgras hervor.

Viele Vögel - immer und überall

Papageitaucher
Papageitaucher

© Mark Caunt, shutterstock

Martha, eine junge Biologin aus Leeds, begleitet uns anschließend zum Strand. Wir wollen Otter beobachten, doch „das können wir vergessen, da spazieren zwei Touristen!“, regt sich Martha auf. Der Strand sei „overcrowded“, völlig überlaufen. Auch die augenscheinlichen Reste eines Otter-Festmahls versöhnen sie nicht. Ausgefressene Krabben, Krebse und Muscheln waren das Frühstück der possierlichen Marder. „Die Otter sind über alle Berge, sobald sie die zwei Spaziergänger gerochen haben“, sagt Martha.

Es bleibt: Strandidylle. Davon gibt es auf den vielen großen und kleinen Felsbrocken zwischen Nordsee und Atlantik nun wirklich mehr als reichlich. Und wenn es auch heute keine Otter zu sehen gibt, dann jedoch Vögel. Viele Vögel. Immer und überall. Die größten unter ihnen sind die Raubmöwen, von den Einheimischen liebevoll „Bonxies“ genannt.

Ein Bonxie ist schon mal neugierig und auch angriffslustig. Daher gehen wir, argwöhnisch nach rechts und links schielend, über die Holzplanken durchs Heidesumpfige im Naturreservat von Hermaness. Ein paar flauschige Federbälle sieht man hin und wieder wacklig durchs Gras tappen. Die Bonxie-Ladys haben Junge, sind also in erhöhter Alarmbereitschaft. 750 Paare sollen hier brüten.

Fair Isle ist das Mekka für Vogelbeobachter

Wesentlich mehr Nachwuchs hatten in diesem Jahr wohl die Basstölpel, deren Ruf schon von Weitem zu hören ist. Die Hunderttausenderschar hat sich trotz heftiger Winde an den bis zu 170 Meter hohen Klippen eingerichtet. Während Tölpel ganz elegant durch die Lüfte gleiten, legen die Papageientaucher bruchpilotenhafte Flugmanöver hin. Stundenlang könnten wir dem „rab-rab-rab“ der Tölpel, dem Geschrei der Möwen zuhören und den Kapriolen der Papageientaucher zuschauen. Kann man Natur näher kommen?

Vielleicht auf Fair Isle. Die südlichste aller Shetlandinseln ist das wahre Mekka für Vogelbeobachter. Im Observatorium mit angeschlossener Jugendherberge treten die Vogelfreunde bereits aufgeregt von einem Bein aufs andere, fiebern dem morgendlichen „Fallen-Rundgang“ mit Ranger David entgegen. Um 7 Uhr checkt der, was nachts in die Netze geflattert ist und beringt werden kann oder aufgrund seiner Beringung wichtige Daten für die Seevögelforschung beizusteuern hat. Heute sind die Fallen allerdings enttäuschend leer.

Der New Yorker Tommy H. Hyndman zog nicht wegen den Voger hierher

Wir entscheiden, auf eigene Faust über Mooshügel zu stolpern und in die Vogelbaue zu spionieren. Es dauert seine Zeit, bis ein Tammy Norie, wie sie Papageientaucher hier nennen, an seinem Erdloch anlandet. Er hat eine Feder dabei und ein Büschel Gras. Letzteres jedoch wirft die Angebetete augenblicklich wieder aus dem Bau. Sie ist wählerisch. Bei uns Menschen kommt der putzige Vogel irgendwie besser an.

Den New Yorker Tommy H. Hyndman haben nicht die „Pinguine des Nordens“ hierhergezogen. Der Amerikaner hörte im Radio, ein Häuschen mit viel Platz und Ruhe stehe zum Verkauf. Seit fast zehn Jahren hat der Künstler nun sein Atelier neben dem Leuchtturm, kreiert Mützen und malt die Schönheit seiner Wahlheimat auf Papier, auf Holz und Muschelschalen.

Meistens dient ihm die bunte Vogelwelt als Motiv, manchmal aber auch einer der 65 Inselbewohner. Die hat er übrigens alle in seiner ersten Woche auf Fair Isle kennengelernt. So betrachtet haben wir während einer Woche von den etwa 22 000 Bewohnern der Shetlands doch nicht so viele getroffen.

Claudia Ottilie

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