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Pink geht immer. Hauptsache schrill muss das Outfit sein, in dem diese Ladies am 1. Januar untertauchen wollen.

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Großbritannien: Einfach mal ins Wasser hopsen

Silvester dauert eine Nacht? Nicht im schottischen Edinburgh. Dort feiert man Hogmanay – und das mehrere lustige Tage lang.

Jenny, Jenni, Judy und Laura haben sich herausgeputzt für das neue Jahr. Sie haben ihre schicksten Bikinis angezogen, T-Shirts drucken lassen, schräge Sonnenbrillen herausgesucht und neonpinke Plastikflamingos aufgepustet. Die vier Frauen wollen das Jahr, in dem sie alle ihren 40. Geburtstag feiern, mit einem echten Knall beginnen: Sie springen in die Nordsee. Die Ladys aus Perth, etwa eine halbe Stunde von Edinburgh entfernt, sind vier von rund 1000 Loony Dookers, die sich alljährlich in den Firth of Forth stürzen. Dort fließt der Fluss in die See.

Dass es in Strömen regnet, die Luft vielleicht acht Grad hat und das Wasser in South Queensferry kaum wärmer sein dürfte – das alles macht den Dookern nichts. Viele von ihnen kommen jedes Jahr aus der Umgebung in den Vorort von Edinburgh. Andere reisen aus Australien an, den USA oder Kanada und planen über den Jahreswechsel Urlaub in der schottischen Hauptstadt. Sie machen sich einen Spaß daraus, in das kalte Wasser zu springen. James Scrimgeour aus Perth zum Beispiel konnte die Startkarte eines Mannes übernehmen, der sich dann doch für eine wärmere Beschäftigung am Neujahrsmorgen entschieden hatte.

Neun britische Pfund kostet die Registrierung, 1000 Dookers werden zugelassen. In einer bunten, lauten Parade ziehen sie durch die Straßen des kleinen Ortes, ehe sie sich in die Fluten stürzen. Die einen einfach in Bikini oder Badehose, andere schick verkleidet – als Flugzeugcrewmitglied, als Pirat oder Meerjungfrau, als Monster von Loch Ness. Je bunter, umso besser.

Der Loony Dook ist die letzte Veranstaltung der dreitägigen Hogmanay-Feiern, mit denen in der schottischen Hauptstadt das neue Jahr eingeläutet wird. „Das ist auf jeden Fall das verrückteste Event“, sagt Faith Liddell, langjährige Chefin der Organisation, die zwölf Festivals in Edinburgh leitet. Hogmanay ist nur eines davon und das einzige, das im tiefsten Winter stattfindet.

Im Princess Street Garden gibt es einen Weihnachtsmarkt "german style"

„Der Jahreswechsel in Schottland ist etwas ganz Besonderes“, sagt Scott Ferguson. „Weil viele Schotten nicht mehr so religiös sind wie früher, messen wir Weihnachten nicht so große Bedeutung bei wie andere Länder“, sagt der Schneider, der seit Kindertagen den Traditionen folgt. Hogmanay, der Jahreswechsel, dauert gleich mehrere Tage. „Traditionell gehen wir von Haus zu Haus, besuchen unsere Freunde und Verwandten und wünschen das Beste für das neue Jahr.“ Die Märsche können dauern. Darum fängt man nicht am 31. Dezember an, sondern am Tag zuvor. „Denn man verquatscht sich ja bei jedem, und diese Besuche fressen Zeit.“

In Edinburgh gibt es nicht nur ein Feuerwerk, sondern gleich vier zum Jahresausklang: Stündlich eines.
In Edinburgh gibt es nicht nur ein Feuerwerk, sondern gleich vier zum Jahresausklang: Stündlich eines.

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Am 30. Dezember beginnen auch die offiziellen Feiern in der Hauptstadt – mit einer Fackelprozession von der Royal Mile hinunter in die neue Stadt und auf den Calton Hill hinauf. Zu zehn Pfund werden die Fackeln verkauft, der Erlös geht an wohltätige Zwecke – im vergangenen Jahr sind 35.000 Leuchten verkauft worden. Angeführt von den klassischen Dudelsäcken und Schlagzeugen, dauert die Parade gute zwei Stunden. Die Stimmung ist eine ganz besondere.

Wer es aufregender mag, kann sich auf einen der wilden Ritte begeben, die in der mittelalterlichen Stadt aufgebaut sind – ein Riesenrad, ein Kettenkarussell direkt an der Waverley Station und diverse andere Fahrgeschäfte, die auf dem Weg zum Mound hinauf auf wagemutige Besucher warten. Seit einigen Jahren sind die Princess Street Gardens Schauplatz eines Weihnachtsmarktes „german style“.

Auch auf der Burg am Ende der Royal Mile herrscht schon Tage vor dem Jahreswechsel Ausnahmezustand, sämtliche Aussichtspunkte sind mit großen Bauzäunen abgesperrt, die Kanonen abgedeckt. In Edinburgh gibt es nicht nur ein Feuerwerk, sondern vier.

Man liegt sich in den Armen und singt "Auld Lang Syne"

„Wir zählen runter, um 21, 22 und 23 Uhr gibt es jeweils ein kleines Feuerwerk über der Burg“, sagt Liddell. Und um Mitternacht dann der große Knall: ein lautes, buntes, wildes Feuerwerk über der Burg und gegenüber auf dem Calton Hill. Dann folgt eine weitere dieser schottischen Besonderheiten: Man liegt sich in den Armen und singt gemeinsam „Auld Lang Syne“, das berühmte Abschiedslied des Dichters Robert Burns. „Das gehört bei uns dazu, da muss jeder mitmachen“, sagt Liddell. Schwierig ist das nicht, denn der Text wird auf diversen Leinwänden angezeigt.

Der ganze Abend ist ein Gemisch aus schottischen Traditionen und Großstadtparty: Superstars beim Concert in the Gardens, das traditionelle Keilidh mit Livebands am Mound. Für jeden Geschmack ist etwas dabei – und alles ist voll. „Wir stehen seit heute Nachmittag an – und sind trotzdem ein paar Blocks von der Bühne entfernt“, schimpft James, der mit seinen Kumpels zum Konzert auf dem Mound gekommen ist. „Aber macht nichts, die Stimmung ist super“, ruft Peter, nicht mehr ganz nüchtern.

Und nach der Party ist vor der Party – zumindest für die, die sich an Neujahr in die Fluten des Firth of Forth stürzen. Denn allzu lange können die Dookers nicht schlafen nach der langen Silvesternacht. Bis mittags muss sich jeder der Teilnehmer in South Queensferry gemeldet haben, um 13.20 Uhr geht die Parade los. Und dann hinein ins kalte Wasser – mit vielen schrillen Schreien. Und bei den meisten Teilnehmern in der Überzeugung, auch das kommende Jahr wieder mit einem Sprung in die Nordsee zu begrüßen.

Verena Wolff

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