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Das Versteck. In der Knockinaam Lodge trafen sich damals wie heute wichtige Menschen. Nicht alle, um zu entspannen.

© David Ibbotson

Schottland: 39 Stufen zum Versteck

In Schottlands abgeschiedenem Südwesten, im winzigen Ort Portpatrick, planten Eisenhower und Churchill den D-Day.

Diese Luft! Wie Samt und Seide. Ob General Dwight D. Eisenhower sie überhaupt genießen konnte, als er mit Winston Churchill in der Abgeschiedenheit der Knockinaam Lodge zusammenkam? Schließlich hatten die beiden den ultimativen Schlag gegen Nazi-Deutschland zu planen, an nur einem Tag, top secret. Die Welt erfuhr erst 50 Jahre später von diesem Treffen in Schottland.

Dabei ahnten die Einwohner von Portpatrick, jenem winzigen Küstenort in Schottlands äußerstem Südwesten, was in dem knapp zehn Kilometer entfernten Anwesen vorging – aber bei aller Distanz zu den Engländern: Darüber wurde kein Sterbenswörtchen verloren. „Ich erinnere mich, dass meine Eltern davon sprachen“, sagt Bill Cumming, pensionierter Physiotherapeut der schottischen Rugby-Mannschaft. Wir treffen ihn bei der Ruine von Dunskey Castle, wo er seine beiden Hunde ausführt. „Es war klar, dass der Premier bei der Familie war, aber auch, dass noch mehr dahinterstecken musste.“

„Die Familie“, das waren die Besitzer der 1869 erbauten Knockinaam Lodge, die Orr-Ewings, die dort all den Annehmlichkeiten nachgingen, mit denen britische Edelleute sich so die Zeit vertrieben: jagen, angeln, golfen, erlesenen Whisky trinken. Winston Churchill war ein Bekannter von Edward Orr-Ewing und bereits häufiger zu Gast gewesen. Das Zimmer, das er bei seinen Besuchen bewohnte, hieß damals „Her Ladyship“ und war der Raum der Dame des Hauses. Heute trägt die Suite natürlich den Namen „Churchill“.

Eisenhower schlief nicht auf Knockinaam, er kehrte nach Planung der Invasion in der Normandie auf das Schiff der US-Marine zurück, das vor der schottischen Küste auf ihn wartete. Das Risiko, die beiden wichtigen Männer unter einem Dach nächtigen zu lassen, wäre wohl zu hoch gewesen. Obwohl die Lodge durchaus zum perfekten Versteck taugt – bereits John Buchan hatte sie 1915 in seinem Spionagethriller „Die 39 Stufen“ als Zuflucht des Helden gewählt. Wer die Hügel hinter dem Anwesen erklimmt, dem bietet sich noch heute durch Büsche und Ginster hindurch genau der im Buch beschriebene Blick auf das graue Steingebäude inmitten riesiger Rasenflächen, die in die schützende Bucht münden; dahinter, keine 50 Kilometer entfernt, Nordirland.

Eine Zuflucht ist Knockinaam Lodge bis heute geblieben. Allerdings gänzlich ohne Besprechungen, Spionageabwehr, Kriegsstrategien. „Wir haben schon häufig Politiker zu Gast“, lässt David Ibbotson durchblicken, der das 1971 zum Hotel umgewandelte Haus seit zehn Jahren gemeinsam mit seiner Frau führt. „Aber sie kommen, um hier abzuschalten.“ Man tut dort wieder, was man vor dem Krieg tat: jagen, fischen, golfen, Whisky trinken – und, was damals in Großbritannien kaum möglich war: gut essen. Das Restaurant der Knockinaam Lodge hat seit 1991, und hält damit den Schottland-Rekord, einen Michelin-Stern. Man darf wohl davon ausgehen, dass Churchill das gefallen hätte.

Sanfte Hügelketten und hypnotisierendes Grün.

Gute Nacht! Im Corsewall Leuchtturm finden Urlauber auch ein Bett.
Gute Nacht! Im Corsewall Leuchtturm finden Urlauber auch ein Bett.

© Beate Baum

Die Planung des D-Day (6. Juni 1944) ist nicht das einzige Geheimnis, das der Südwesten Schottlands birgt. Jeder weiß, wie sehr sich Highlands und Lowlands unterscheiden – was für die allermeisten Besucher bedeutet, dass sie zügig gen Norden fahren. Höchstens das touristisch vermarktete Gretna Green wird noch besucht. Schade, denn in der dünn besiedelten, armen Region finden sich eine artenreiche Flora und Fauna, authentische Dörfer und offene, herzliche Menschen. Deren Dialekt allerdings, man muss es erwähnen, ist selbst für englische Muttersprachler mitunter schwer zu verstehen.

Auch hier also die Parallelen zum nahen Irland. Ebenso wie in der Landschaft, mit sanften Hügelketten und hypnotisierendem Grün. Das ist die Heimat von stattlichen Galloway-Rindern, zotteligen Eseln und Ponys sowie Heerscharen von Schafen – gern auch auf den schmalen Straßen unterwegs.

Faszinierend tobt das Meer rings um die Halbinsel Rhins of Galloway, in deren Mitte Knockinaam Lodge liegt. Mehr als 150 Schiffe sind in den Gewässern im Laufe der Jahre gesunken; trotz der beiden Leuchttürme, die im Norden und im Süden ihre Dienste versehen. Beide zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbaut vom Großvater des Autors Robert Louis Stevenson, beide bis heute in Betrieb.

Derjenige am Mull of Galloway kann sich rühmen, am südlichsten Punkt Schottlands inmitten eines Naturschutzgebietes zu stehen und mit dem „Logan Botanic Garden“ einen Park in der Nähe zu haben, in dem Pflanzen aus Südamerika, Asien und Australien gedeihen. Unglaublich, aber wahr. „Hier herrscht dank des Golfstroms ein ganz besonderes Mikroklima“, sagt Kurator Richard Baines. „Im vergangenen Winter hatten wir das erste Mal überhaupt Schnee.“ Kein Wunder, dass die Ursprünge des botanischen Gartens auf das frühe 14. Jahrhundert zurückführen. Heute wähnt sich der Besucher inmitten hundertjähriger Palmen in einem exotischen Garten Eden, in dessen samtiger Luft er gern stundenlang wandelt.

Vom Wandeln würde im Norden der Rhins of Galloway niemand sprechen. Zwar wird es auch hier nie wirklich kalt, der Wind aber könnte einen leicht über die Klippen ins stürmische Meer reißen. Da ist der Leuchtturm nicht nur Schiffen eine Hilfe, sondern auch Reisenden ein Schutz. Mit seinem kleinen, mehr als ordentlichen Restaurant, vor allem aber mit vier Gästezimmern im ehemaligen Leuchturmwärterhaus. 1994 wurde der Leuchtturm automatisiert, und schon ein Jahr später konnte man sich als Gast dort einquartieren. Eng ist es – und gemütlich. Wollte man der See noch näher sein, man müsste auf einem Boot übernachten.

Kaum Menschen trifft man hier, und es kann vorkommen, dass man über Nacht allein in diesem Refugium ist. Und wenn man dann nach einem guten Dinner und einem Whisky in die Schwärze der schottischen Nacht hinausschaut, versucht, die tosende See auszumachen und das beruhigend regelmäßig aufblinkende Licht aus dem Turm verfolgt, dann weiß man wieder, wie das Leben sich anfühlt ohne iPod und Facebook. Dann lauscht man auf den Wind, der das Gebäude umtost, kuschelt sich in das behagliche Bett und genießt die Sicherheit der 200 Jahre alten Mauern.

Beate Baum

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