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Ätna: Lockruf am Lavaberg

Der Ätna auf Sizilien zieht Tausende an. Die Besteigung ist für fast jeden machbar. Nur nicht im Alleingang.

Der Berg stinkt. Man muss das leider so sagen. Erhabene Gefühle? Ausgeschlossen, wenn schweflige Schwaden in die tränenden Augen stechen und es in der Lunge beißt, wenn alle vergeblich Tücher vor den Mund pressen und hustend nach Luft schnappen. Gewiss, man könnte sich jetzt abwenden, ein paar Schritte zur Seite treten, den tiefblauen Himmel und das phänomenale Panorama bewundern, die Weite Siziliens und des Ionischen Meeres, hier oben auf dem Dach der Insel. Aber dies ist schließlich der Ätna, der höchste und aktivste Vulkan Europas, und so geht der Blick - allen höllischen Ausdünstungen zum Trotz - wie magisch angezogen doch immer wieder in die Tiefe des Kraters.

Nun ja, viel ist momentan nicht zu sehen, selbst wenn man sich schwindelfrei glaubt und bis an die Abbruchkante wagt. Immer wieder verschwimmt der zerklüftete Vulkanschlund hinter Wolkenfetzen und Dämpfen aus dem Untergrund, und lange hält es dort ohnehin niemand aus. Lavaströme, Eruptionen? Hier sowieso nicht, und in diesen Tagen auch nirgendwo sonst am Ätna.

Das kann sich zwar sehr oft schnell ändern, denn der Berg ist hochaktiv und sehr flexibel. Doch die nächtliche Annäherung an das Feuer der Tiefe, die Andrea Ercolani, unser Führer, vor einer Woche noch in Aussicht gestellt hatte, ist mangels Feuer momentan nicht möglich. Auch Hephaistos, der für Göttervater Zeus, so glaubten die alten Griechen, genau hier die tödlichen Blitze schmiedet, braucht schließlich mal Ruhe.

Wir übrigens auch. Der stundenlange Aufstieg geht selbst halbwegs fitten Menschen auf die Knochen. Immerhin, die junge Frau, die einige Hundert Meter weiter unten fast schlapp gemacht hätte, ist nicht mehr ganz so blass um die Nase und hat sich halbwegs erholt. Sie hatte über Kopfschmerzen, Übelkeit und Atemnot geklagt, vage Symptome dafür, dass einem die mit zunehmender Höhe dünner werdende Luft nicht unbedingt so besonders gut bekommt.

Der Weg auf den mehr als 3300 Meter hohen Ätna ist auch - so viel sei gesagt - alles andere als ein Spaziergang. Weil die Luft nicht nur dünn, sondern auch bitterkalt ist. Selbst im Sommer. Zudem kann das Wetter arge Kapriolen schlagen. In der Regel fällt bereits im September der erste Schnee in den höheren Lagen. Schutz gibt es oben nicht mehr, nicht gegen Zeus' Blitze im Sommer und nicht gegen Schnee im Winter. Von den vulkanischen Gefahren ganz zu schweigen, obwohl der letzte tödliche Unfall Anfang Dezember nicht dadurch verursacht wurde: Ein 32-jähriger Hobbyfotograf und Vulkanfan aus Sindelfingen war alleine von Süden her aufgestiegen, hatte im Freien übernachtet, muss aber beim Abstieg auf einer Eisplatte ausgerutscht und in die Tiefe gestürzt sein. Er konnte noch eine Not-SMS senden, doch als man ihn endlich fand, war er erfroren.

Ein trauriger Einzelfall, der den Lockruf des Berges kaum mindern dürfte, doch eine Mahnung zur Vorsicht sollte er sein. Den Ätna im Alleingang? Eher nicht. Oder allenfalls bis zum Torre del Filosofo, einer beim Ausbruch 2002/03 verschütteten Berghütte am Südhang des Vulkans.

Nach den Zerstörungen vor sechs Jahren, von denen vor allem die Nordostflanke betroffen war, ist dies noch immer der beliebteste Weg, den Ätna zu erkunden. Über eine malerische, kurvenreiche Strecke geht es von dem Städtchen Nicolosi aus in die Höhe, vorbei an üppiger Vegetation und schwarz zerklüfteten Lavafeldern, Teil des 1987 eingerichteten Parco dell'Etna, bis zum Rifugio Sapienza. Das ist eine leider sehr touristische Ansammlung von Souvenirläden, Restaurants, Hotels, der Talstation einer Kabinenseilbahn - und der Treffpunkt von Andrea Ercolani mit seiner heutigen Gruppe.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - das gilt gerade auch und besonders am Ätna. Und so wirft Ercolani, diplomierter Vulkanführer für Ätna und Stromboli, also sozusagen mit dem Qualitätssiegel des regionalen Berufsverbandes versehen, erst einmal einen kritischen Blick auf die Ausrüstung der Runde. Turnschuhe, T-Shirt - nicht mit ihm! Doch hat er für solche Fälle das Passende dabei: knöchelhohe Wanderstiefel, Wind- und Regenjacke - ohne solchen Schutz läuft hier gar nichts und schon gar niemand mit dem Experten den Berg hinauf.

Der erste Abschnitt ist noch harmlos, Seilbahn eben, nur dass es bei Ankunft auf der Bergstation in der Ohren schon arg verdächtig knackt. In wenigen Minuten von 1927 auf 2500 Meter, das spürt man schon. Weiter geht es in Allrad-Bussen auf gewundenen Schotterpisten bis auf Höhe 2920, zum Torre del Filosofo, von dem nur noch eine Ecke aus der kalten Lava ragt. Bis jetzt ist das noch "Ätna light", ein Ausflug für Anfänger, von jedem halbwegs gesunden Touristen zu bewältigen. Und der Ausbruch von 2002 hat hier passenderweise auch gleich einen kleinen Nebenkrater hinterlassen, was manch einen schon genügend gruselt und er die Tour abbricht, um sich weitere Anstrengungen zu ersparen.

Unser Weg dagegen führt weitere 300 Meter in die Höhe, was nur der als harmlos abtun wird, der das selbst noch nie ausprobiert hat. Keine alpinistische Höchstleistung, gewiss, auch der zehnjährige Alexander, mit Abstand der Jüngste in der Runde, wird die mehrstündige Bergwanderung bewältigen, ohne groß zu klagen. Aber für das moderate Tempo, das der Führer anschlägt, sind ihm doch bald alle Teilnehmer sehr dankbar. Anfangs graue Aschehänge hinauf, auf einem unbefestigten Trampelpfad, dann in die erstarrten, so bizarr wirkenden Lavaströme hinein. Eine endlose Stolperfalle aus scharfzackig-zerklüftetem Gestein. Dabei die Augen am besten stur zum Boden gerichtet, bevor man festhakt, umknickt, sich Schienbein und Knie blutig reißt am versteinerten Auswurf des Ätnas. Über den weiß Ercolani eine Menge zu berichten, hält immer wieder an, formt mit den Händen die mehr als 500 000 Jahre hiesiger Vulkangeschichte an einem winzigen Aschehügel nach, weist auf diese oder jene geologische Besonderheit, die Schneereste auch, die es hier, isoliert unter einer dünnen Schicht des allgegenwärtigen schwarzen Staubs, selbst im Hochsommer noch gibt. Gefährlich sei der Abstecher zum Kraterrand normalerweise nicht, erklärt Ercolani einigen ängstlicheren Naturen. Er sei über Funk mit einer seismologischen Überwachungsstation verbunden. Dort werde jedes Grummeln des Berges wahrgenommen. Stehen größere Ausbrüche bevor, lasse sich das rechtzeitig abschätzen. Wenn jedoch einmal unvorhergesehen einige Gesteinsbrocken aus dem Bauch des Berges geschleudert würden, sei das natürlich weniger prickelnd.

Später, als die Gruppe sicher in tieferen Regionen angelangt ist, berichtet Ercolani von der unentwegten Beharrlichkeit, mit der sich die Vegetation nach jedem Ausbruch Jahr um Jahr wieder den Weg nach oben freikämpft - ein faszinierendes Schauspiel.

Derweil sind einige seiner Wanderer mal wieder außer Puste. Diesmal nicht wegen der dünnen Luft, die hier schon deutlich sauerstoffhaltiger ist, sondern wegen des rasanten Abstiegs die Aschehügel hinunter. Ein Wettlaufspaß in olympischem Tempo, jeder gegen jeden, und der Kleinste begeistert immer vorneweg - mehr ein gebremster Fall, mit Riesensprüngen in die Tiefe, beim Aufsetzen die Hacken tief in den weichen Grund gebohrt und weiter, nicht aufzuhalten und hier, fernab der messerscharfen Lavabrocken, auch ohne Gefahr, sich bei einem Sturz ernsthaft zu verletzen. Fast wie Surfen auf dem Mond.

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