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© GUIZIOU Franck / Hemisphere/laif

Elba: Die Kastanien von Napoleon

Der Kaiser war verbannt. Fast ein Jahr auf Elba. Er mochte die Insel - und veränderte sie. Touristen preisen das.

Wie müssen sie ihn gehasst haben! Als Knochenmetzger verspotteten sie ihn, der im Käfig zu seinem Verbannungsort gekarrt wird. Als kleine Kerze, der der brave General Blücher mit der Schere das Licht ausknipst. Oder als zappelnden Hampelmann, den die alliierten Bäcker auf der Brotschaufel in den Ofen Elba schieben. Dutzende von englischen Karikaturen vom Beginn des 19. Jahrhunderts sind auf Elba in der Galerie Demidoff neben der Sommerresidenz Napoleons ausgestellt. Und alle spiegeln die Erleichterung wider, dass der korsische Löwe, der Aufklärung und Verderben zugleich über Europa brachte, endlich seine Macht verloren hatte.

Die Insel Elba ist rund 30 Kilometer lang, knapp 20 Kilometer breit und liegt zehn Kilometer vom italienischen Festland entfernt. Auf der Weltkarte tauchte sie auf, als Napoleon auf das grüne und felsige Eiland verbannt wurde. Zehn Monate verbrachte er hier, der Kaiser, der zwar noch so hieß, aber keiner mehr war, vom 3. Mai 1814 bis zum 26. Februar 1815. In Portoferraio hatte er sich ein Offiziersquartier zur bescheidenen Stadtresidenz umbauen lassen, in San Martino einen Bauernhof zur schmucklosen Sommervilla. Stiche und Aquarelle erzählen dort von den Großtaten des kleinen Mannes, im „Ägyptischen Raum“ gaukeln Wandmalereien den Blick auf Pyramiden und Nilauen vor, ein Becken mit Papyrusgras vermittelt ägyptisches Flair.

Immer wieder, heißt es, durchstreifte der Verbannte sein Zuhause auf Zeit. Ein Pferd benutzte er dazu, während heutige Besucher lieber zu Fuß gehen: Wanderwege durchziehen die Insel kreuz und quer. Madonna del Monte, ein Kirchlein in den Bergen im Westen, war einer von Napoleons Lieblingsplätzen. Hier traf er in einem Zelt seine Geliebte Maria Waleska zum allerletzten Mal, bevor seine Ehefrau anreiste. Und noch immer scheint ein Hauch von Tragödie zwischen den knorrigen Olivenbäumen zu schweben.

Die Wanderung vom Kirchplatz über die Hochebene nach Süden führt zwischen Baumheide, Mastixbüschen und Zistrosen hindurch. Zartlila blüht der Rosmarin, violett die Herbstzeitlosen und die warzigen Früchtchen der Erdbeerbäume reifen jetzt von Gelb zu Rot. Zwischen hellem Stein und dunkelgrüner Macchia schimmert immer wieder das Thyrrhenische Meer. Der Abstieg ist gesäumt von einer Armee stachliger Feigenkakteen, die der Landschaft etwas Verwegenes und Verlorenes verleihen.

Elba ist von erstaunlicher landschaftlicher Vielfalt. Rund um San Martino verlaufen die Wege durch Steineichen- und Kastanienwälder. Die Schalen der Maronen bedecken den Boden wie aufgeplatzte hellgrüne Seeigel. Im Nordwesten, zwischen San Andrea und Marciana Marina, verläuft der Pfad entlang der Küste mal über ausgewaschene Felsen in Salz- und Pfefferoptik, mal hoch über der türkisfarbenen See durch Weingärten, vorbei an Villen, in deren Gärten letzte Feigen hängen. Unvermutet stößt man mitten im dichten Steineichenwald auf verfallene Terrassenmauern: Oliven wuchsen hier einmal, oder Trauben, und vor 50, 60, 70 Jahren konnte oder wollte der Bauer sich nicht mehr darum kümmern: Die Natur übernahm. Eine Kreissäge kreischt von fern, Pilzsammler kommen entgegen, und um 12 Uhr begrüßen die Glocken von Marciana Marina die Wanderer am Hafen, wo die weißen Boote vor dem Pisanischen Turm im Wasser dümpeln.

Je länger man unterwegs ist, desto mehr wächst der Respekt für den großen kleinen Korsen. In nur zehn Monaten ließ er vorhandene Straßen ausbessern und neue ins Unwegsame bauen. Er befahl, Weinberge anzulegen, Kastanien zu pflanzen und Sümpfe trockenzulegen – in einer einzigen großen Anstrengung verordnete er der Insel Fortschritt. Deshalb versteht, wer durch Elba reist, das Kraftpaket Napoleon plötzlich ganz anders.

Abends wartet die Belohnung fürs Sich-Bewegen in schmackhafter Form. „Krake in Rotwein, Thunfisch mit Pistazienkruste, Penne nach Fischerart“ – jede Wahl ist schwer, weil sie ein halbes Dutzend anderer Möglichkeiten ausschließt. Dazu passt eine Flasche vom leichten Weißen aus Elba und hinterher das kalte Betthupferl aus der Gelateria: Fioridilatte, Ricotta mit Feige, Ananas mit Grapefruit – immer wieder findet sich eine bisher noch nicht gekostete Sorte Eis. Gratis dazu läuft in Portoferraio vor altem Gemäuer die abendliche Italien-Show live: Sonnenbrillendiven stöckeln übers Pflaster, Lederjackenmimen posieren vor den Fähren, Nachwuchssternchen machen bellissima figura und schweben hochmütig über unsichtbare rote Teppiche. Ergreifend ist der nächtliche Blick von Forte Falcone über die Stadt: Rosa Mauern, gelbe Lichter und ziegelrote Dächer fügen sich zu einem impressionistischen Stillleben zusammen. Das Meer malt dazu einen blauschwarzen Hintergrund. Die schönste aller Wanderungen führt von Porto Azurro im Osten entlang der Küste nach Ortano, von dort landeinwärts nach Rio nell`Elba, und quer übers Land zurück zum Ausgangspunkt. Hier, im Ostteil der Insel bauten schon die Etrusker sechs, sieben Jahrhunderte vor Christus Eisenerz ab. Dunkel funkelt der Sand, weißgelb und rötlichbraun ragen zerfressene Felsen in den blauen Himmel. Das rostige Eisengerüst einer ehemaligen Verladestation erinnert daran, dass noch bis 1982 Erz gefördert wurde.

Direkt hinter der Küste leuchtet, abgesperrt von einem Zaun, ein See laubfroschgrün – vergiftet vom Schwefel, der beim Abbau von Pyrit frei wurde. Beim Klettern in einsamen kleinen Buchten zerbröckelt der Fels unterm Schuh wie wurmstichiges Holz. Ein Fischer legt sein Netz aus. Am Ufer finden sich düsterrot schimmernde oder pechschwarz glitzernde Gesteinsbrocken – glücklich jetzt, wer kein Sammler ist: 170 Mineralien gibt es auf Elba, kein Rucksack würde die Ausbeute fassen. Und vom Festland grüßen ganz klein die Kräne und Schornsteine der Industriestadt Piombino herüber.

Zwei Kilometer Landstraße sind es bis Rio nell’Elba, das einstige Zentrum des Bergbaus. Schritt für Schritt geht es aus dem Städtchen hoch auf den Kamm des Cima del Monte. Wie ein Adlernest thront die Festung Volterraio über der Bucht von Portoferraio. Dahinter schneiden sich die Bergketten von Korsika in den Horizont wie ein schartiges Sägeblatt.

Von halber Höhe führt ein gekiester Weg in weiten Kehren zurück nach Porto Azurro. Wer sich freilich immer noch nicht müde gelaufen und satt gesehen hat an abenteuerlicher Landschaft und immer neuer Szenerie, nimmt den direkten Abstieg. Steil und düster ragen die Wände der enormen Schlucht empor. Knorrige Steineichen sperren den Durchgang zwischen Felsblöcken, Ziegen jagen aufgeschreckt davon.

Irgendwann aber steht sie urplötzlich hoch oben im Himmel schräg über Bäumen und Wanderern, eine Burg Gottes auf einem Felssporn, umgeben von einem Gürtel widerspenstiger Agaven: Die Wallfahrtskirche Madonna di Monserrato. Der spanische Gouverneur hat sie 1606 in diesem weltabgeschiedenen Tal bauen lassen und nach dem Kloster bei Barcelona benannt. Jetzt, am Abend, ist sie verschlossen, weder Andenkenverkäufer noch Pilger sind noch am Ort. Man sitzt, lässt die müden Beine baumeln, horcht in die Stille – und ist sich plötzlich sehr sicher: Hier saß auch er einmal. Der zahnlose korsische Löwe. Der Mann, der Elba auf die Weltkarte setzte.

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