zum Hauptinhalt
Zünftig. Schneeballschlachten kommen offenbar nie aus der Mode.

© Barbara Schaefer

Skiurlaub in Bormio: Chill mal deine Basis

Skiurlaub mit Teenagern: Warum Erwachsene in Bormio cool bleiben müssen.

Die vier Mädchen aus Berlin sind sich einig. „Voll peinlich!“ Zwischen 11 und 13 Jahre alt, sind Lucy, Carlotta, Lotti und Sina mit einigen wenigen Erwachsenen zum Skifahren nach Bormio in den italienischen Alpen gereist. Und die Erwachsenen sind jetzt nicht nur das Problem, sie müssen sich im Kreis der Kinder und Teenager auch auf einen etwas anderen Urlaub gefasst machen. Es ist Mittwochabend, in einem der zehn Hotels, in denen die riesige Gruppe aus Berlin untergebracht ist, wird „Bergfest“ gefeiert, Mitte des Skiurlaubs. Nicht genug, dass die Erwachsenen tanzen, nein, sie singen auch noch Karaoke. Für Jugendliche gibt es anscheinend nichts Peinlicheres als Erwachsene, die Spaß haben.

Mit sechs Bussen ist die Korona aus Berlin angereist: Freitagabend ging es los, morgens schon die Schweizer Grenze, viel Schnee und Sonne bis Bormio erhellten fortan die vornehmlich jungen Berliner Gemüter. Der „Bormio“-Bus eines Berliner Veranstalters hat seit mehr als 20 Jahren Tradition.

Skiverleih am ersten Nachmittag. Die Besatzung von zwei Reisebussen drängt gleichzeitig in den Sportkeller. Skischuhe werden anprobiert, Ski hin- und hergereicht. Es ist eng und unübersichtlich. Kleine Kinder greinen, ein Knirps bekommt einen Tobsuchtsanfall. Tief durchatmen, auch das geht vorbei.

Meine Fresse, ihr seid ganz schön sportlich

Am nächsten Morgen hat sich alles zurechtgerüttelt. Die Sonne gleißt über den dick verschneiten Alpen, und die Berliner verteilen sich auf Skikurse: Ha, wir bekommen den feschen Skilehrer Mattia. Der radebrecht auf Englisch, bringt aber auch den Fortgeschrittenen noch viel bei. Vor allem sagt er immer wieder: „Nicht so eng fahren, Beine auseinander. Open the ski!“ Da hat man sich Jahrzehnte abgemüht, und dann kommt der mit seinem Carvingstil daher – und alles geht plötzlich viel leichter. Am Ende der Woche stauben wir nur so die Pisten hinunter, in weiten Carvingschwüngen. Am Lift angekommen sagt Mattia: „Cavolo, sieti proprio atletici.“ Was etwa zu übersetzen wäre mit: Meine Fresse, ihr seid ganz schön sportlich. Na bitte.

Mittags verabreden sich Freunde und Familien regelmäßig in den Restaurants an den Pisten, etwa im Laghetti, einer gemütlichen Hütte. Speisekarten werden studiert, Gerichte bestellt. Die Jugend? Will immer nur Pommes und Pizza. Einer aber hat aus Versehen Pizzocheri verlangt, es klang wohl wie Pizza: „Das habe ich bestellt?“, fragt er nun entsetzt. Eine etwas unansehnliche, bräunliche Nudelmasse mit Kartoffeln und zu allem Übel auch noch Wirsing. Erwachsenen schmeckt das, sie genießen ein Glas Weißwein, blinzeln in die Sonne. Und Lucy, Carlotta, Lotti und Sina machen eine Schneeballschlacht, sind plötzlich noch mal ganz Kind. Finden es offenbar auch lustig, würden aber auf Nachfrage nur sagen: „Ja vielleicht, keine Ahnung.“

Nachmittags wird noch frei Ski gelaufen, das macht auch den wenigen Erwachsenen Spaß, die stolz den Kindern nachfahren. Nach der letzten Abfahrt am Nachmittag schlendern Alt und Jung durch die Fußgängerzone, schauen in nette Läden oder setzen sich in eine Bar mit altem, bunten Plattenspieler, trinken Spritz, heiße Schokolade – und wie so oft in diesem an Verben armen Urlaub ist der Satz zu hören: „Darf ich Cola?“

Gäste in weißen Bademänteln

Baden wie einst
Baden wie einst

© Barbara Schaefer

Abends, bei der gebuchten Halbpension, ändert sich die Sitzordnung nie mehr. Die Mädchen bleiben bei ihren Familien. Die größeren Brüder und deren Freunde, Indoor-Mützenträger allesamt, sitzen nicht mehr am Tisch der „Alten“. Vom italienischen Vorspeisenbüfett mit eingelegten Oliven, gebratenen Paprika, Involtini aus Zucchini und Artischockenböden kehrt einer von ihnen als Kundschafter zurück und sagt zu den Mützen: „Braucht gar nicht erst hinzugehen: Gibt nur Gemüse!“ Doch eigentlich kann man nicht meckern. Nur unser Hotel samt Tapeten hat schon besserer Zeiten gesehen. Das braun-grüne Blumenmuster muss mal fester an der Wand geklebt haben. Doch wer über so etwas nörgelt, bekommt von den Mädchen Sätze wie „Chill mal deine Basis“ zu hören.

Heute Abend hat sich das halbe Dorf versammelt, die Einheimischen haben sich für die Gäste in historische Kostüme geworfen, es wird Glühwein ausgeschenkt – ein kleines Fest halt. Wir könnten hingehen. Als die Mädchen jedoch hören, dafür müsse man einen Kilometer zu Fuß durch den Ort, verfallen sie in totale Sofastarre. Einen Kilometer!

Wer abseits von Piste und Kindern etwas unternehmen möchte, landet bald in einem der drei Bäder am Ort. Besonders nahe: die „Bormio Therme“, ein Schwimmbad mit Bademützenzwang. Interessanter sind die historischen Badeanstalten, Bagni vecchi – alte Bäder, und Bagni nuovi – neue Bäder. Neu heißt in diesem Fall gut 100 Jahre alt. An Quellen im Berg, weit oberhalb von Bormio, wurde 1845 das Grand Hotel Bagni Nuovi eröffnet. Ein herrlicher alter Kasten mit Blumenfresken in der Lobby, Glasfenstern bis zum Boden im Ballsaal, langen Gängen und geschwungenen Treppen.

Auch Leonardo da Vinci könnte hier geplantscht haben

Auslöser für den Bau abseits von großen Orten war das Projekt Passstraße. Ab 1820 ließ der österreichische Kaiser die Straße über das Stilfser Joch mit Nachdruck vorantreiben. Über diesen Pass reiste dann der Hof aus dem fernen Wien an – die Lombardei, in der Bormio heute liegt, war Teil des Habsburger Reiches. 1976 wurde das Hotel geschlossen, vor einigen Jahren restauriert und als Fünf-Sterne-Haus wiedereröffnet. Außen in Altrosa gestrichen repräsentiert es den Stil der Belle Epoque. Innen ist die noble Atmosphäre allerdings flöten gegangen. Gäste in weißen Bademänteln bestimmen das Bild, denn es gibt eine moderne Wasserlandschaft, gespeist aus bis 43 Grad warmen Quellen.

Das Hotel Bagni Vecchi hingegen ist weit älter, heute ein Drei-Sterne-Haus. Zuvor stand hier, auf 1400 Metern Höhe, eine Burg. Die Römer kannten es als „Hospitium balneorum“, ein Hospiz für Badende. Plinio der Ältere schrieb im 1. Jahrhundert von den Quellen, die Rede ist auch von einem Tempel, der im 12. Jahrhundert zur Chiesa di San Martino wurde. Im Mittelalter wandelte sich das Gebäude zum Xenodochium, einer von Mönchen geleiteten Art Hospiz sowohl für Reisende als auch für Kranke. Wie Mönche sehen auch die Gäste aus, die an der Chiesa vorbei vom Außenbecken kommen, die Kapuzen der Bademäntel tief in die Stirn gezogen als Schutz vor der Winterkälte.

Die sogenannten Bagni romani sind heute noch im Zustand von vor 2000 Jahren. Man tritt auf glitschigem Fels in eine künstliche Höhle mit fließend Warmwasser. Hier könnte auch schon Leonardo da Vinci geplantscht haben. Er besuchte 1493 die Region und schrieb: „In den Bergen des Valtellina liegt Bormio. In Bormio sind die Bäder.“ Eine Notiz, immerhin.

Ach, noch ein kleiner Hinweis: Wer in den Bagni Vecchi baden möchte, muss mindestens 14 Jahre alt sein. Kann ein Nachteil sein, muss aber nicht.

Wem der Sinn nach einer Busskireise nach Bormio steht: Wöchentliche Touren ab Berlin (komplett mit Halbpension ab 499 Euro) gibt es bis Mitte April. Prima Klima Reisen, Telefon: 030 / 787 92 70

Zur Startseite