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Abwärts durch den Tiefschnee. Allen Skifahrer bieten sich rund um das Alpbachtal in Tirol geeignete Piste an.

© picture-alliance/ dpa-tmn

Alpbachtal: „Der Mensch braucht Bewegung“

Wer wie Sepp Margreiter im Rollstuhl sitzt, weiß wovon er spricht. Im Alpbachtal gibt er Skikurse.

Die Glocken der Alpbacher Pfarrkirche läuten den Abend ein. Draußen vor der Zirmalm pfeift der Wind den Schnee von den Tannen, in der rustikalen Gaststube wuchtet Bäuerin Klara eine große Eisenpfanne auf das offene Kaminfeuer. Sorgfältig rührt sie Butter und Mehl ein, kippt Milch dazu, salzt den Teig und backt ihn zum Melchermus aus, dem Gericht schlechthin der Tiroler Almbauern. Dann streicht die 78-Jährige selbstgemachte Preiselbeermarmelade über das pfannkuchenartige Gericht und serviert es den Gästen. Am Tisch gleich neben dem Feuer sitzt Sepp Margreiter. Ein Skilehrer im Rollstuhl.

Der kernige Alpbachtaler ist Jahrgang 1952, Leiter der örtlichen Skischule und so etwas wie das sportliche Aushängeschild des Tals. Als junger Heißsporn träumte er von einer Rennläuferkarriere, fuhr bei Skiwettkämpfen Topzeiten, dann verhagelte ihm ein Beinbruch den Weg an die Spitze. Doch es kam noch schlimmer. Im Mai 1999 stürzte bei Forstarbeiten ein Baum in die falsche Richtung, erwischte Sepp im Rücken, brach ihm mehrere Wirbel, drückte ihm den Brustkorb ein und lädierte seine Lunge. „Ich hatte wohl einen superguten Schutzengel“, sagt er. „Nach wochenlangem Koma, künstlicher Beatmung, Querschnittslähmung und mehr als einem halben Jahr Reha saß ich zum Saisonstart wieder am Schreibtisch meiner Skischule.“ Doch ob der Bürostuhl für den Alpbacher eine Alternative zum Pulverschnee ist? Dazu später mehr.

Sepp war ein kleiner Bub, da pflügte ein gewisser Billy Patterson bereits seine ersten Spuren in die Tiefschneehänge des Alpbachtals. Der passionierte Freeride-Fan und Major im Dienste Ihrer Majestät, der Königin von England, hatte das beschauliche Irgendwo im Tiroler Nirgendwo per Zufall kennen und schätzen gelernt. Zurück in Old Britannia rührte er die Werbetrommel. Alsbald glühten die Telefone im Alpbacher Fremdenverkehrsamt. Ob Mother Hulda, Frau Holle, schon ordentlich die Betten schüttele und man zum Breakfast auch Porridge bekomme. „Yes“, lautete die Antwort, natürlich auf Englisch. Damit waren die Weichen für ein Brettldorado gestellt, das sich heute mit 145 Pistenkilometer, 47 Liftanlagen und der ADAC-Note „sehr gut“ für sein Preis-Leistungs-Verhältnis als Ski Juwel Alpbachtal-Wildschönau vermarktet und zu den Top Ten der Tiroler Skigebiete gehört.

Kunstschnee ist kein billiger Spaß

Man kann es drehen und wenden wie man will: Skifahren ist Massensport. Und mit den hypertaillierten, quasi wie von selbst um die Kurven flitzenden Carving-Latten auch keine ungefährliche Sache. Die Skipässe sind teuer und die Investition in Anlagen, Personal und Infrastruktur verschlingt Millionen. Einschlägigen Studien zufolge muss ein Skilifte mindestens 100 Betriebstage im Jahr laufen. Erst dann schreibt er schwarze Zahlen. Da Frau Holle aber nicht im Aufsichtsrat der Lifthersteller sitzt, es somit auch keine Schneegarantie gibt, wird bei fehlender Grundlage künstlich nachgeholfen, sprich: beschneit.

Das ist zwar ökologisch umstritten, für Liftbetreiber bei drei bis fünf Euro pro Kubikmeter Kunstschnee auch kein billiger Spaß. Mit anderen Worten: Die Wintersportregionen sind gut beraten, wenn sie neben Ski und Après-Ski ein paar Geldbeutel schonende, umweltverträgliche Zurück-zur-Natur-Erlebnisse (nicht nur) als Schlechtwetter-Alternative im Portfolio haben.

„Natürlich“, sagt Toni Brantl, „kann man bei uns auch prima Ski fahren. Aber das Alpbachtal ist vor allem erst einmal Wasser.“ Wie er das meint, macht ein Blick aus seinem Restaurant klar. Direkt davor bettet sich der Reintaler See an die Hänge des 1800 Meter hohen Sonnwendjochs. „Im Sommer“, versichert Toni, „ist der See eine Top-Badeadresse. Superwarm, kristallklar und mit schickem Campingplatz am Ufer. Jetzt in der kalten Jahreszeit vermieten wir unsere Camper und Ferienhäuschen an Wintersportler. Der Skibus hält gleich vor dem Restaurant. In rund 20 Minuten ist man an den Liften.“

Die Metallhütten sind Geschichte

Ex-Skirennfahrer. Margreiter lässt sich von seiner Behinderung nicht bremsen.
Ex-Skirennfahrer. Margreiter lässt sich von seiner Behinderung nicht bremsen.

© GP

Tonis Geschäftsidee ist nicht neu. Dass man mit Wasser auch Geld machen kann, wussten die Stadtväter von Rattenberg bereits im Mittelalter. Das bilderbuchschöne, einen Schneeballwurf vom Reintaler See entfernte Historienstädtchen besteuerte die Innschifffahrt und verdiente sich damit eine goldene Nase. Im 16. Jahrhundert siedelten sich Kupfer- und Messinghütten an, 100 Jahre später zogen Glasbläsereien in die heute mit 420 Einwohnern kleinste Stadt Österreichs ein.

Der Inn war ein idealer Verkehrsweg, die Wälder des Alpbachtals lieferten Brennholz für die Öfen, Rohstoffe gab es reichlich und das Wasser kühlte und hielt die Schleifsteine und Pumpen in Schwung. Die Metallhütten sind heute Geschichte, die Glasbläserkunst ist geblieben und zieht mit ihren Shops und Showrooms vor allem im Sommer Touristen wie Motten das Licht an.

Man könnte ein ganzes Buch über die Alpbachtaler, ihr Verhältnis zum Wasser, zu den Bergen und natürlich zu ihrer Tradition schreiben. Neben Toni kämen darin viele Hobby-Schnapsbrenner vor, Georg Leitner füllte mit seiner kunstvollen Federkielstickerei ein Kapitel, ebenso die rund 100 ökologisch geführten Bauernhöfe des Alpbachtals und natürlich die köstlichen Käse der Heumilchkäserei, von rustikalen Jausenstationen ganz zu schweigen.

Ganz so einfach ist das nicht

Zurück zu Sepp Margreiter: An der Talstation der Pögelbahn wird der Skischulchef herzlich begrüßt. Ein Liftangestellter hilft ihm aus dem Rolli in die Gondel, dann gesellt sich seine Skischulteilnehmerin Sylvia dazu. Sie kommt aus Berlin, ist Mitte 40, hatte mit 17 einen schweren Motorradunfall und ist seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Aber sie hat den Schicksalsschlag angenommen, Medizin studiert, ist approbierte Ärztin, Mutter und aktiver (Winter-)sportfan. An der Bergstation warten bereits die Ski auf die beiden Handicapsportler. Sepp fährt einen hyperschnellen Monoski-Racer mit gefederter, aerodynamisch verkleideter Sitzschale, Sylvia hat vor drei Wochen der Firma Pratschberger in Kufstein die Abmessungen ihres Rollstuhls gemailt und von dem Hersteller für Handicapsportgeräte über Sepp einen entsprechend eingestellten Spezialsitz erhalten. Dieser wird wie ein Skischuh in die Skibindung eingeklickt – und ab geht die Fahrt.

Ganz so einfach ist das nicht. Beim Monoski für Rollifahrer liegt das Körpergewicht immer auf dem Ski. Gesteuert wird mit zwei Handskiern, also kurzen Stöcken mit zwei kleinen Skischaufeln am Ende. „Wer wie ein normaler Skiläufer den Schwung über die Kante auslöst, plumpst mit dem Mono einfach nur um“, sagt Sepp lachend. Sylvia nickt. Sie hatte den ungewohnten Bewegungsablauf zwei Tage auf flachem Terrain im Tal trainiert und traut sich nun auf den Hornbodenschlepplift. Wenn alles gut klappt, stehen morgen bereits die höheren Weihen der ersten roten Piste auf dem Plan.

„Hier im Alpbachtal“, schwärmt Sylvia, „sind Rollis eine Selbstverständlichkeit. Es gibt barrierefreie Hotels. Meine Kinder und mein Mann haben auf den familienfreundlichen Pisten ihren Spaß. Die Liftmitarbeiter kennen sich mit Rollstuhlfahrern aus. Sie wissen wie man Hilfestellung geben muss und wie Monoskis funktionieren. Kurzum, ich find’s toll. Und hab’ auch hier schon den nächsten Winterurlaub gebucht.“ Das hört Sepp natürlich gern. „Der Mensch braucht Bewegung. Vor allem, wenn er im Rollstuhl sitzt.“ Nun, der Skilehrer weiß schließlich, wovon er spricht.

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