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Gigant in der Landschaft. Vor 20 Jahren pflanzte ihn André Heller in Wattens. Der Riese markiert den Eingang zu den „Kristallwelten“. Foto: Swarovski Kristallwelten

© Swarovski Kristallwelten

Österreich: Im Schlund des Riesen

In der Tiroler Region Hall-Wattens ist der Advent besonders schön. Das liegt auch an den Swarovski Kristallwelten.

Stattliche Bauernhäuser, stolze Kirchtürme, gemütliche Gaststuben: So beschaulich sind die Dörfer im Tiroler Inntal, dass man am liebsten durch jedes spazieren möchte. Was aber tun viele Besucher der Ferienregion Hall-Wattens? Sie verschwinden im Schlund eines Riesen.

Vor zwanzig Jahren hat ihn André Heller hier in die Landschaft gepflanzt. Weit aufgerissene runde Augen hat er ihm gebastelt und einen breiten Mund, aus dem der liegende Gigant unaufhörlich Wasser spuckt. Er markiert den Eingang zu den Swarovski Kristallwelten, die in diesem Jahr noch einmal überarbeitet wurden. Mehr als zehn Fußballfelder groß ist das Erlebnisareal nun, das sich gleich neben dem Werksgelände ausbreitet.

1895 hatte sich der böhmische Glasschleifer Daniel Swarovski im Tal angesiedelt. Die Lage am Fluss und die Nutzung von Wasserkraft schienen ihm ideal, zudem konnte eine aufgelassene Tuchfabrik günstig gemietet werden. Bald wurden hochwertige Kristalle und optische Gläser produziert. Die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens begann, das noch heute als „Familienbetrieb“ funktioniert. Und immer neue PR-Möglichkeiten austüftelt, um von sich reden zu machen.

16 Wunderkammern befinden sich im Bauch des Riesen

„Mit der Erlebniswelt will sich das Unternehmen neu interpretieren“ sagt Stefan Isser, Geschäftsführer der „Welt des Staunens“. Und stellt gleich klar: „Wir zeigen dort nicht, wie Kristall hergestellt wird.“ Keine Chance also, den Werksarbeitern über die Schulter zu schauen. „Wir würden ja sofort kopiert“, sagt Isser. Es gebe schon Tausende Plagiate am internationalen Markt – aber das Geheimnis von Swarovski habe noch niemand entschlüsseln können.

Mittelalterlich. Hall bietet die perfekte Kulisse für einen Weihnachtsmarkt.
Mittelalterlich. Hall bietet die perfekte Kulisse für einen Weihnachtsmarkt.

© Kaiser

In den Kristallwelten bleibt das kristalline Glitzern erst recht rätselhaft. „Die Menschen suchen Verzauberung auf Zeit“, weiß Isser. Und so schlendern sie durch die 16 Wunderkammern im Bauch des Riesen. André Heller hatte sich die Idee zu diesen Grotten auf Schloss Ambras in Innsbruck geholt. Dort präsentierte im 16. Jahrhundert der sammelwütige Erzherzog Ferdinand II. an Wänden und in Vitrinen, was an Kunst und Kuriosem in der Welt zu finden war.

In der ersten Kammer wird – wen wundert’s – ein Kristall in Szene gesetzt. Über 300.000 Karat in 100 Facetten geschliffen strahlen im nachtblauen Raum. Anfassen ist erlaubt. „Oh, er ist gar nicht kalt“, stellt eine Besucherin erstaunt fest und eine andere spürt, dass er „Energie“ verströme. Nun, so vermuten wir, wird es glitzernd weitergehen. Und stehen umso erstaunter in der nächsten Kammer. Was ist denn da los? Das „Mechanische Theater“ ist in vollem Gange.

"Durch des Morgens blauen Kristall fort in das leuchtende All"

Erfunden und gebaut hat es der in London lebende Künstler Jim Whiting. Und was ihm dabei alles eingefallen ist! Eine nackte Schaufensterpuppe stolziert auf Highheels im funkelnden Kreis, über ihr schwebt ein Adonis, der beständig wie von unsichtbaren Händen zerlegt und wieder zusammengesetzt wird. In der Ecke dreht sich ein gedeckter Tisch immer schneller und schneller und mit ihm zwei wächserne Herren in Schlips und Kragen, die daran Platz genommen haben. Hemden auf Bügeln, befestigt an einer umlaufenden Deckenschiene, rücken vor, ohne jemals an ein Ziel zu gelangen.

Wer hier herausfindet, kann träumen im „Kristalldom“. 590 Spiegel füllen seine Kuppel aus. „Durch des Morgens blauen Kristall fort in das leuchtende All“ dichtete Charles Baudelaire, dessen Botschaft an der Wand den Weg in weitere Wunderkammern weist. In jene des russischen Künstlerduos Blue Noses etwa, die das Taj Mahal, die Cheops Pyramiden oder das Mausoleum von Lenin als Miniaturen in Kristall gestaltet haben. Wer nah rangeht, muss schmunzeln, denn jedes Gebäude birgt winzige Geheimnisse. In den Pyramiden dreht sich wild eine Bauchtänzerin, und Lenin schimpft mit gereckter Faust auf seiner Bahre.

So viel Kunst erschöpft. Doch die meisten Besucher haben offenbar noch Kraft genug, das zu tun, was sich Swarovski von ihnen erhofft: ausgiebig zu shoppen. Wer die Kristallwelten verlassen möchte, muss durch den „Store“. 4000 verschiedene Ringe, Ketten, Armbänder und Figürchen werden angeboten, viel mehr Artikel also als jeweils in den 2560 Läden, die Swarovski weltweit betreibt.

Die historische Altstadt von Hall wird unterschätzt

Alles in Bewegung: Das "Mechanische Theater" von Jim Whiting.
Alles in Bewegung: Das "Mechanische Theater" von Jim Whiting.

© promo

Während viele Besucher nach den Kristallwelten gleich wieder in den Busshuttle nach Innsbruck steigen, rät Stefan Isser zu einem Stopp in Hall. „Dort gibt es eine tolle historische Altstadt, die völlig unterschätzt ist.“ Jetzt im Dezember hat sie sich in einen Adventskalender verwandelt. Zahlen von 1 bis 24 werden leuchtend auf die mittelalterlichen Fassaden projiziert. Zwischen Rathaus und Pfarrkirche sind die Buden eines Weihnachtsmarktes aufgebaut, in denen Handgemachtes aus der Region angeboten wird.

Das ehrwürdige Rathaus hat eine lange Geschichte. „Schauen Sie mal hoch“, sagt die Stadtführerin im großen Saal des Gebäudes, „die Lärchenholzdecke stammt aus dem Jahr 1450.“ Die Wände sind mit wohlriechendem Zirbenholz verkleidet, das aus dem nahen Karwendelgebirge stammt.

Zehn Millionen Tonnen Salz wurden im Halltal über die Jahrhunderte abgebaut – bis 1967. Heute wird die Geschichte von Saline und Bergwerk in einem Museum erzählt. Das Salz hatte die Stadt reich gemacht. In der Pfarrkirche St. Nikolaus hält ein goldener Engel ein Salzfass. Kunstvoll und gediegen gearbeitet sind die Erker der schönen alten Häuser, die Bürger mussten nicht sparen. In der Münze Hall – heute ein Museum – wurde 1486 der erste Taler der Welt geprägt. 300 Jahre war der „Haller Guldiner“ in Umlauf. Die Landesfürsten konnten ihr Porträt und ihren Namen auf den Münzen gleichsam in die Welt tragen.

Einst sah Rosina Bucher am Fenster die Jungfrau Maria

In der Stadt mit rund 13.600 Einwohnern gibt es zehn Kirchen. Und alle sind gut besucht. Die Menschen sind gläubig in dieser Gegend. So, wie die 18-jährige Rosina Bucher, der 1797 Maria erschienen sein soll. Die Stube im „Erscheinungshaus“ ist nahezu unverändert. Gerda Angerer, heutige Besitzerin des Hauses in Absam, lässt Besucher freundlich ein. „Dort war das Fenster, in dem Rosina das Marienantlitz gesehen hat. Sie versuchte es wegzuwischen, aber es schien immer wieder auf.“

Das Fenster wurde seinerzeit zur Untersuchung nach Innsbruck geschickt. Die bischöfliche Kommission konnte kein „Wunder“ erkennen, erklärte die Umrisse mit „verblassten Farbresten“. Da trug die Absamer Bevölkerung das Fensterglas in einer Prozession zur Pfarrkirche, in der es einen Platz im Seitenaltar bekam. Eindrücklicher aber ist die „Erscheinungsstube“. Ist es nicht lästig, wenn immer wieder Besucher klingeln? „Ach“, winkt Gerda Angerer lächelnd ab, „wenn man was hat, soll man’s herzeigen.“

Im Ort wohnt und werkelt auch Josef Prantner. Der 66-Jährige schnitzt Krippen. „Natürlich besitzt jede Familie im Dorf eine“, sagt er. Und wer eine kleine hätte, möchte bald eine größere. So bleiben die Aufträge nie aus. Prantner war mal zu Besuch in Gröden und dem sogenannten Krippental. Was er da sah, entsetzte ihn. „Die Krippen werden dort maschinell gefertigt, eine sieht wie die andere aus“, erzählt er und fügt hinzu: „Man kann sie sogar nach Katalog bestellen.“ Er schüttelt sich.

Dass Hall noch immer eine wohlhabende Stadt ist, hat auch mit Swarovski zu tun. Das Unternehmen beschäftigt 4700 Mitarbeiter in der Region, der wichtigste Arbeitgeber weit und breit. Hall profitiert. Die vielen netten Läden im Städtchen können über Kundenmangel nicht klagen, Restaurants sind gut besucht. Rund 15 Cafés gibt es. Platz nehmen und schwelgen. Eine Marillen-Topfen-Torte lässt jedes Swarovski-Glitzern vergessen.

Hotel im Glasturm mit Aussicht auf das Karwendelgebirge

ANREISE

Mit Lufthansa (über Frankfurt) oder mit Austrian Airlines (über Wien) nach Innsbruck. Von dort Shuttlebus nach Wattens oder mit der Bahn über Innsbruck nach Hall.

ÜBERNACHTUNG

Parkhotel Hall, Thurnfeldgasse 1, Hall. Der Glasturm direkt an der Altstadt ist kein architektonisches Juwel, bietet aber schöne Zimmer (ab 90 Euro pro Person mit Frühstück) und beste Aussichten. Tel: 00 43 / 52 23/ 53769.

EINKEHR

Restaurant Bretze, Hall, Tiroler Küche in schönem alten Gasthaus, Salzburger Straße 5-7, Tel.: 00 43/ 5223/ 56752.

KRISTALLWELTEN

Der Eintrittspreis in die Swarovski Erlebniswelt beträgt 19 Euro, Kinder bis fünf Jahre frei, von 6 bis 14 Jahren 7,50 Euro. Neues, sehr empfehlenswertes Restaurant „Daniels“ auf dem Gelände.

AUSKUNFT

Tourismusverband Hall-Wattens, Telefon: 00 43 /52 23 / 45 54 40.

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